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Kampf gegen Taliban: Pakistan - ein Atomstaat im Bürgerkrieg

Pakistans Offensive gegen Taliban im Swat-Tal stärkt den Unmut in der Bevölkerung. Unterdessen hat die Regierung eine neue Offensive gegen die Taliban gestartet und baut Notcamps für 500.000 erwartete Flüchtlinge.

Nur drei Monate währte die fragwürdige Waffenruhe zwischen Taliban und Regierung, nun ist der Krieg ins Swat-Tal zurückgekehrt. Islamabad blieb kaum etwas anderes übrig, weil die Taliban einen im Februar vereinbarten Friedensdeal immer ignorierten. Die Militanten kontrollieren nach eigenen Angaben 90 Prozent des Swat-Tales, ein früheres Urlaubsgebiet nur 150 Kilometer entfernt von Islamabad. Unklar blieb, welchen Umfang die Offensive hat. Eine zunächst erwartete „Großoffensive“ wurde vorerst abgeblasen. Die Regierung sei noch nicht bereit gewesen, grünes Licht für einen breiten Angriff zu geben, erklärte der örtliche Militärsprecher Major Nasir Khan.

Die Regierung rechnete mit 500 000 Flüchtlingen und ist hektisch dabei, Notcamps zu errichten. Zu Fuß, auf Lastern und in heillos überfüllten Bussen versuchten Menschen, sich aus dem Kampfgebiet zu retten. „Es herrscht Krieg. Überall schlagen Raketen ein“, sagte der 33-jährige Laiq Zada, der flüchten konnte, laut AP. In Mingora drohte ein Waisenhaus ins Kreuzfeuer zu geraten. Der Leiter fürchtete um das Leben der Kinder.

Die Regierung setzt Kampfhubschrauber und Bodentruppen ein. Doch die Taliban scheinen entschlossen, erbitterten Widerstand zu leisten. Schon seit Tagen hatten sie sich gerüstet: Sie sollen Landminen gelegt, Stellung auf Dächern bezogen sowie Regierungsgebäude und Polizeistationen besetzt haben. Angeblich haben sie sich auch mit Einwohnern als Geiseln in Häusern verschanzt.

Sprach man bisher davon, dass Pakistan ein Bürgerkrieg drohe, so befindet sich der Atomstaat mittlerweile bereits im Krieg. „Es ist offensichtlich, dass wir im Krieg sind“, schreibt „The News“. Das Land erlebe nicht mehr eine schleichende, sondern eine „galoppierende Talibanisierung“, warnt der Publizist Ahmed Rashid. Die Taliban sind nicht mehr nur im bergigen Grenzgebiet zu Afghanistan aktiv. Sie rücken ins Landesinnere vor. Seit über einer Woche versucht das Militär bereits, die Rebellen aus den Nachbarbezirken Lower Dir und Buner zu vertreiben. Buner liegt nur 100 Kilometer von Islamabad entfernt.

Der Zeitpunkt für die jüngste Militäraktion scheint kein Zufall zu sein. Nicht nur weilt Präsident Asif Ali Zardari derzeit in Washington. Der US-Kongress berät auch über ein 200 bis 400 Millionen Dollar schweres Hilfspaket für Pakistan. Doch im Westen wachsen die Zweifel, ob Pakistan mit den Taliban fertig wird. Die scheinen ihren Kampf teilweise von Afghanistan nach Pakistan zu verlagern, um den Westen auszumanövrieren. Sie zwingen den islamischen Staat mit seinen 170 Millionen Einwohnern damit in eine Zerreißprobe. „Die Menschen wissen immer noch nicht, ob dies unser Krieg oder Amerikas Krieg ist. Und keiner in der Regierung hat den Mut, zu sagen, wie gefährlich die Talibanisierung ist“, sagt der frühere General Talaat Masood. Zwar hatten manche Einheimische die Militäroperationen gegen die immer dreister auftretenden Taliban zunächst begrüßt – doch die kritischen Stimmen nehmen mit der Zahl der Opfer und mit dem wachsenden Leid der Überlebenden zu.

„Dies ist nicht unser Krieg“, sagt der Händler Abdul Rahman aus dem umkämpften Distrikt Buner. „Für wen kämpfen wir? Für diese egoistischen Amerikaner, deren Mägen voller gutem Essen sind und die mit ihren Familien in ihren gemütlichen Schlafzimmern schlafen.“

Vielen im Militär gilt Indien weiter als größter Feind. Die Taliban werden dagegen als „Reservearmee“ angesehen, die im Notfall gegen Indien zur Verfügung steht. Die meisten der etwa 600 000 pakistanischen Soldaten sind an der Grenze zu Indien massiert. Die USA drängen Pakistan, von der „Obsession mit Indien“ zu lassen und mehr Soldaten zum Kampf gegen die Taliban abzustellen. Darüber hinaus mangele es Pakistans Armee an Kenntnissen im Anti-Guerilla-Kampf, sorgt sich US-Verteidigungsminister Robert Gates. Den Kampf am Boden überlässt die Armee meist schlecht ausgerüsteten Paramilitärs und der Polizei. Zardari versicherte am Mittwoch gegenüber dem Fernsehsender CNN, seine Regierung sei durch die jüngste Offensive der Taliban nicht bedroht. Auch das Atomwaffenarsenal des Landes sei „in sicheren Händen“.

Wie schwer der Kampf gegen eine Guerilla zu gewinnen ist, lässt sich in Sri Lanka beobachten, wo 100 000 Soldaten seit drei Jahren gegen anfangs 10 000 Rebellen kämpfen. Dabei ist die Insel nur etwa so groß wie Bayern. Mit Singhalesen und Tamilen stehen sich Parteien mit unterschiedlicher Sprache und Religion gegenüber. Ganz anders in Pakistan: Hier kämpfen Muslime gegen Muslime, Landsleute gegen Landsleute. Von einem „Bruderkrieg“ sprechen viele. In diese Kerbe hauen auch die Taliban: „Alles wird gut, wenn unsere Regierung aufhört, sich Amerika zu beugen“, lockt Taliban-Sprecher Muslim Khan.

Christine Möllhoff[Neu-Delhi]

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