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Tausende demonstrierten kürzlich in Tunis gegen die Rückkehr tunesischer Islamisten aus dem Ausland.

© REUTERS

Kampf gegen Terror: Die große Keule gegen Herkunftsländer

Staaten, die abgehlehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, sollen weniger Entwicklungshilfe erhalten. Das Beispiel Tunesien zeigt, wie schwierig es ist, Hilfsgelder als politisches Druckmittel einzusetzen.

Herkunftsländer, die bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber nicht kooperieren, sollen künftig weniger Entwicklungshilfe erhalten. Jedenfalls vereinbarten das am Dienstag Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) legte allerdings sofort Protest ein, und auch Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) meinte am Mittwoch, „im internationalen Umgang ist die große Keule meistens keine Lösung“. Gleichwohl müssten Staaten, die „Obstruktion betreiben“, Konsequenzen spüren.

Henrik Meyer von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis sagt, die Entwicklungshilfe für Tunesien, das Land, aus dem der Berliner Terror-Attentäter Anis Amri stammte, sei in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockt worden, um Perspektiven für junge Leute zu schaffen und so Fluchtursachen zu beseitigen. Eine Kürzung der Hilfe sei daher kontraproduktiv. An anderer Stelle sieht der Landeskenner allerdings durchaus Druckpotenzial auf die Regierung in Tunis. So unterstütze Deutschland Tunesien auch bei der Grenzsicherung zum benachbarten Libyen, in dem Bürgerkrieg herrscht. „Das wäre möglicherweise ein besserer Hebel“, sagte Meyer dem Tagesspiegel. Grundsätzlich sei Tunesien sehr an guten Beziehungen zu Deutschland interessiert und angesichts von fast 291 Millionen Euro Entwicklungshilfe jährlich auch abhängig von Deutschland.

Kombination aus Kriminalität und Islamismus

Für den Schutz der Grenze zu Libyen erhält Tunesien aus Deutschland zusätzlich zur Entwicklungshilfe Ausrüstung für Grenzschützer und elektronische Sicherungsanlagen. Deutsche Beamte bilden zudem tunesische Grenzschützer aus. Ganz unproblematisch wären Mittelkürzungen wohl auch hier nicht, denn die libysche Grenze ist ein neuralgischer Punkt. Im vergangenen Frühjahr hatten IS-Kämpfer aus Libyen versucht, die tunesische Grenzstadt Ben Guerdane einzunehmen. In der Grenzregion blüht laut Meyer außerdem die organisierte Kriminalität. „Dort entwickelt sich eine gefährlich Kombination aus Kriminalität und Islamismus.“ Viele junge Tunesier haben sich schon radikalen Gruppen in Libyen oder dem IS in Syrien oder dem Irak angeschlossen.

„Die Frage, wie Tunesien mit Rückkehrern aus diesen Bürgerkriegsregionen umgehen soll, ist ein großes Thema in der öffentlichen Debatte.“ Am vergangenen Sonntag demonstrierten viele Tunesier gegen die Rückkehr von Extremisten aus den IS-Gebieten – und auch aus Europa. „Frau Merkel, Tunesien ist nicht die abfall von Deutschland“ stand – wörtlich – auf einem der Protestplakate. Die Debatte zeuge von einer gewissen Hilflosigkeit, sagt Meyer. Deradikalisierungsprogramme gebe es in Tunesien praktisch nicht. Die Tatsache, dass das Land gemessen an seiner Einwohnerzahl die meisten ausländischen IS-Kämpfer stelle, werde verleugnet. „Damit setzen sich die Eliten kaum auseinander.“

9000 Nordafrikaner sollen ausreisen

Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, verließ seine Heimat freilich nicht schon mit der Absicht, Terroranschläge zu verüben. Er radikalisierte sich erst in Europa. Er war zunächst nur als Kleinkrimineller aufgefallen und gehörte wohl zum großen Heer junger Männer, die der Misere in ihrem Heimatland zu entfliehen suchen. Denn trotz der hohen Entwicklungshilfegelder liegt die Wirtschaft Tunesiens nach wie vor am Boden. Eine Bleibeperspektive haben Nordafrikaner in Deutschland aber kaum. Die Anerkennungsquoten für Asylbewerber aus Algerien, Marokko und Tunesien liegen zwischen ein und drei Prozent. Knapp 9000 Personen aus diesen Ländern waren 2016 ausreisepflichtig. 600 davon verließen Deutschland freiwillig, abgeschoben wurden etwa 350. Laut Bundesinnenministerium hat sich die Kooperationsbereitschaft der Länder bei Rücknahmen seit einer Reise von Innenminister Thomas de Maizière (SPD) im Frühjahr 2016 zwar verbessert. Im Einzelfall wird die Zusammenarbeit aber weiter als schwierig beschrieben. Aus den Maghreb-Staaten heißt es, um Ersatzausweise für Staatsangehörige ohne gültige Papiere ausstellen zu können, müssten klare Belege für die Identität geliefert werden. Im Fall Amri traf der Ersatzausweis zwei Tage nach dem Anschlag in Deutschland ein.

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