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Update

Kampf um Doppelspitze: Gysi befürchtet Auseinanderbrechen der Linken

Fast ein Dutzend Kandidaten aus den zerstrittenen Flügeln rangelt um die Führung – eine Zerreißprobe für die Partei. Kann sie die Krise überwinden?

Von Matthias Meisner

Katja Kipping aus Sachsen, eine der Kandidatinnen für den Vorsitz, fühlt sich an „Verbotene Liebe“ erinnert. „Es gibt tausend Kombinationsmöglichkeiten“, sagt sie zur möglichen Zusammensetzung der neuen Führung, die an diesem Wochenende in Göttingen bestimmt werden soll. Alle Versuche, in Hinterzimmerrunden eine Verständigung zwischen den zerstrittenen Flügeln zu finden, sind gescheitert. Selten hatten die Delegierten eines Parteitages mehr Macht. Aber auch selten war eine Partei so in der Bredouille.

Der Vorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, warnt seine Partei sogar vor einem Desaster auf dem Parteitag am Wochenende. Er hoffe, dass die Delegierten den Ernst der Situation erkennen, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ und fügte wörtlich hinzu: „Entweder es gelingt ein Neubeginn oder es endet in einem Desaster bis hin zu einer möglichen Spaltung.“ Ziel müsse eine kooperative Führung sein, in der Repräsentanten von Volkspartei und Interessenpartei gezwungen seien, wirksam und gemeinsam zu handeln. Er appellierte an die Delegierten, doch noch lagerübergreifende Kompromisse zu finden.

Hat Gysi recht, wenn er die Spaltung der Linken auf ihrem Parteitag befürchtet?

Vor fünf Jahren hat sich die westdeutsche WASG, von frustrierten Sozialdemokraten aus Protest gegen Gerhard Schröders Agenda 2010 gegründet, zusammengetan mit der SED-Nachfolgepartei PDS. Ein Antrag, dieses Bündnis aufzulösen, liegt in Göttingen nicht vor. Aber Fakten in diese Richtung schaffen können die Delegierten doch – wenn ein Flügel als klarer Sieger aus dem Wettstreit ums Personal hervorgeht. Dann wäre das Projekt einer gesamtdeutschen Linken praktisch gescheitert. „Verantwortlich für den Abwärtstrend der Linken ist das Einnisten der verschiedenen Parteiströmungen in Schützengräben“, analysiert Kipping.

Klar sind die Mehrheitsverhältnisse in Göttingen nicht: Von 550 Delegierten kommen 228 aus dem Westen und 272 aus dem Osten, weitere 50 stellen die innerparteilichen Zusammenschlüsse wie der Jugendverband. Die meisten Delegierten werden einen Kompromiss wollen, aber kaum einer hat eine Ahnung, wie der aussehen soll. Der neu ins Rennen geschickte Verdi-Gewerkschafter Bernd Riexinger aus Stuttgart wünscht sich einen gemeinsamen Aufbruch mit Kipping, die wiederum will mit Katharina Schwabedissen aus NRW führen – Letzteres wiederum ein Bündnis, über das es bei den Reformern heißt: „Lieb gemeint, aber nicht gut gemacht“. Umgekehrt graut dem Lafontaine-Lager davor, Kipping und der Reformer Dietmar Bartsch könnten die neue Doppelspitze bilden. „Das wäre dann wieder die alte PDS“, sagt einer.

Könnte die Linke als Ost-Regionalpartei überleben?

In dieser Frage geht es den Ost-Verbänden kaum besser als denen aus dem Westen: Zwar haben sie ihren Platz in den Landesparlamenten absehbar sicher. Doch schon jetzt verweist die SPD sie dort fast überall, auch wenn rot-rote Mehrheiten rechnerisch möglich sind, auf die Oppositionsbänke – Brandenburg ist nur noch die letzte Ausnahme. Der Einfluss schwindet. Umgekehrt wären die West-Verbände ohne Verankerung im Osten gar nichts mehr, das Scheitern bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gab nur den Vorgeschmack. Die Genossen sind also aufeinander angewiesen, obwohl sie sich nicht leiden mögen.

Lafontaine steht als Parteichef nicht mehr zur Debatte. Seine Karriere in Bildern:

Welche Rolle spielen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch?

Sahra Wagenknecht, eines der bekanntesten Gesichter der Linken mit Ausstrahlung über das Milieu hinaus, will, wie Vertraute sagen, „partout nicht“ Vorsitzende werden. Doch Genossen sind überzeugt, dass sie in Göttingen dann antreten wird, wenn sie damit einen Vorsitzenden Bartsch verhindern kann. Diese Variante gilt etwa dann als wahrscheinlich, wenn im ersten – nur Frauen vorbehaltenen – Wahlgang die von Gregor Gysi geförderte „Zentristin“ Dora Heyenn aus Hamburg gewinnt. Erst für den zweiten Platz in der Doppelspitze dürfen sich auch Männer bewerben. Nach Heyenn hätte dann der Ostdeutsche Bartsch gute Chancen. Bartsch, langjähriger Bundesgeschäftsführer von PDS und Linken, 2010 geschasst auf Druck von Oskar Lafontaine, strebt offensiv nach dem Amt. Aus Sicht von Wagenknecht will Bartsch aus der Partei eine „Linke light“ machen. Stellvertretend für das Lafontaine-Lager meint auch Wolfgang Neskovic, Justiziar der Bundestagsfraktion, Bartsch stehe für Macht ohne Charisma und ohne Inhalte. Mit einer Doppelspitze aus Wagenknecht und Kipping indes würde die Linke „zwei begabte Problemlöserinnen“ gewinnen, sagt Neskovic. Und der so angegiftete Bartsch keilt zurück, es sei „nur noch hochnotpeinlich, wenn ältere Herren mit professoralem Gehabe Frauen benoten“. Der Ton ist also keinesfalls freundlich vor der Wahlschlacht in Göttingen. Und das, obwohl Bartsch sich eine Doppelspitze mit Wagenknecht hätte vorstellen können. Die lehnt die Ex-Wortführerin der Kommunistischen Plattform aber strikt ab. Wenn Wagenknecht antritt, dann wohl in einer Kampfkandidatur gegen Bartsch. Denn die Forderung, er solle seine Kandidatur zurückziehen, nennt der „wirklich skurril“.

Wie steht es um die Chancen der Linken bei der Bundestagswahl?

Auf 11,9 Prozent kam die Linke bei der Wahl 2009, inzwischen wird sie von den Demoskopen auf fünf Prozent taxiert. SPD und Grüne haben die Partei bei Überlegungen über ein neues Regierungsbündnis im Bund nicht mehr auf dem Zettel. Sahra Wagenknecht hat vermutlich recht, wenn sie die Krise ihrer Partei als existenziell bewertet. Bartsch spricht von einer notwendigen „gemeinsamen Integrationsleistung“. Sie ist nicht vollbracht. (mit dapd)

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