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Kampf um Wirtschaftsmetropole entbrannt: Syrische Regierung lässt Aleppo bombardieren

Die seit Tagen befürchtete Schlacht um Aleppo hat begonnen. Das Regime will die teilweise von den Rebellen kontrollierte Metropole mit schwerem Geschütz zurückerobern. Das Drama von Homs droht sich zu wiederholen.

Mit einem Großaufgebot an Panzern und Kampfhubschraubern hat die syrische Armee am Samstag ihre Offensive zur Rückeroberung der Stadt Aleppo begonnen. Regierungssoldaten umzingelten das von Aufständischen gehaltene Viertel Salaheddin. Schwere Artillerie ging auf die syrische Wirtschaftsmetropole nieder, während die Soldaten am Boden vorrückten. Zwei Tage lang hatte die syrische Armee Soldaten, Panzer und schwere Waffen rund um die zweitgrößte Stadt Syriens zusammengezogen, während sich die Aufständischen mit leichten Waffen und einigen Panzerabwehrraketen wappneten. In der Weltkulturerbe-Stadt droht nun ein Häuserkampf.

Kampfhubschrauber dröhnten am Samstag im Tiefflug über die Dächer. MiG-Düsenjäger operierten am Himmel über der syrischen Wirtschaftsmetropole, in der 2,5 Millionen Menschen leben. Mit dem Morgengrauen begannen die am Stadtrand aufmarschierten Truppen des Regimes, die süd-westlichen Bezirke Salah al-Din, Hamdaniya und Fardous mit schwerer Artillerie zu beschießen. Panzer operierten in den Straßen, während sich die Soldaten nach Angaben von Menschenrechtlern mit den in den Wohnvierteln verschanzten Rebellen heftige Gefechte lieferten. Auf Videos sind brennende Wohnungen zusehen sowie hohe Rauchwolken von Granatentreffern.

"Sie belagern unser Viertel", erklärte ein Bewohner gegenüber dem Sender CNN. „Es gibt keinen Strom, das Essen ist knapp.” In Panik suchten die Menschen Schutz in den unteren Etagen ihrer Häuser oder flüchteten sich in öffentliche Parks. Tausende hatten sich bereits in den letzten Tagen im Umland in Sicherheit gebracht.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, die internationale Gemeinschaft könne angesichts der Vorgänge nicht weiterhin Beobachter und Zuschauer bleiben. Westliche Staaten hatten tags zuvor vor einem drohenden Massaker gewarnt, während die syrische Staatszeitung „Al Watan“ für Aleppo „die Mutter aller Schlachten“ ausrief. Man werde alle Terroristen ausmerzen und dann werde Syrien wieder auferstehen, propagierte das Regimeblatt. Die russische Regierung sprach am Samstag von einer „heraufziehenden Tragödie“, zeigte aber als langjähriger Verbündeter Verständnis für das Vorgehen von Bashar al-Assad. Es sei unrealistisch zu glauben, eine Regierung könne akzeptieren, „wenn bewaffnete oppositionelle Gruppen eine Stadt wie Aleppo besetzen“, erklärte Moskaus Außenminister Sergei Lavrov. In Syrien gäbe es Gewaltexzesse von allen Seiten, sagte er und warf dem Westen vor, die Kämpfer der Opposition zu unterstützen. „Der Preis dafür ist noch mehr Blut.“ Der Iran bekräftigte durch seinen Energieminister Majid Namjou, Teheran werde Damaskus „in dieser schwierigen Situation nicht alleine lassen“.

Weite Teile von Aleppo gleichen einer Geisterstadt.

Weite Teile von Aleppo glichen derweil am Samstag einer Geisterstadt. Die Rebellen haben in Wohnungen Notlazarette eingerichtet. Ihre Kämpfer jedoch, die sich überwiegend aus Deserteuren rekrutieren, sind den loyalen Truppen Assads bei Ausrüstung und Bewaffnung stark unterlegen. „Nein“, antwortete einer ihrer Kommandeure auf die Frage eines CNN-Reporters, ob die Rebellen genug Munition hätten. „Es wird kommen wie in Homs.“

Der blutige Aufstand gegen Assad und die Kämpfe in Homs:

Dort hatte sich die „Freie Syrische Armee“ in bestimmten Stadtteilen verschanzt, die von Assads Truppen dann in wochenlangem Beschuss dem Erdboden gleichgemacht wurden. 80 Prozent von Homs sind inzwischen zerstört, mehr als eine Million ihrer Bewohner auf der Flucht. Am Samstag setzte sich mit Ikhlas Badawi das erste Mitglied des syrischen Parlaments in die Türkei ab. „Ich konnte die Grausamkeiten nicht mehr länger mit ansehen“, erklärte die Abgeordnete aus Aleppo und rief ihre Parlamentskollegen auf, sich ebenfalls der Revolution anzuschließen.

Aleppo ist mit 2,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Syriens und der  Wirtschaftsmotor des Landes. Die örtlichen Fabriken produzieren vor allem Textilien und Lebensmittel, Arzneien und Zement. Lange blieb Aleppo von den Kämpfen verschont. Es gab zwar größere Demonstrationen, die meisten Auseinandersetzungen aber beschränkten sich auf das Gelände der Universität. Die Altstadt mit der Zitadelle gehört zum Unesco-Weltkulturerbe, die Stadt selbst ist einer der ältesten urbanen Siedlungsplätze der Menschheit. Seit osmanischer Zeit ist Aleppo ein bunter Kosmos aus Volksgruppen und Religionen. Die Mehrheit der Bürger sind Sunniten, überwiegend Araber, aber auch Kurden. Alawiten machen etwa fünf Prozent der Bürger aus. In den wohlhabenden Stadtteilen wohnt die größte christliche Minderheit des Landes, zu der vor allem Armenier, Maroniten und Orthodoxe gehören. Wie Damaskus hat auch Aleppo an seinen Rändern große Trabantensiedlungen mit ärmerer Bevölkerung, die in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem ländlichen Umland zugezogen ist. Hier vor allem konzentriert sich der Widerstand gegen das Assad-Regime. (mit dpa/AFP)

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