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Aufgebrachte Menge. Polizisten verhaften auf dem Tahrir-Platz in Kairo einen Mann, der verdächtigt wird, ein Muslimbruder zu sein. Foto: Khaled Desouki/AFP

© AFP

Politik: Kampfansage der Islamisten

In Ägypten suchen Muslimbrüder erstmals seit der Auflösung ihrer Protestcamps die Konfrontation mit den Sicherheitskräften.

Viele sind vermummt. „Allah ist groß“, hallt es durch die Häuserfluchten. Tränengaswolken wabern über den Asphalt, immer wieder fallen Schüsse. Hubschrauber kreisen über den Dächern. In Kairo, aber auch vielen anderen Städten Ägyptens suchten die Muslimbrüder am Sonntag zum ersten Mal seit der Räumung ihrer Protestlager in Nasr City und Dokki die große Konfrontation mit der Armee. In oberägyptischen Minia gab es bis zum frühen Abend bereits drei Tote, in Kairo und Alexandria eskalierten die Krawalle von Stunde zu Stunde. Angaben über Tote oder Verletzte gab es bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht. Viele Demonstranten trugen Poster und Stirnbänder mit vier gelben Fingern, dem Symbol für Rabaa al Adawiya. Mitte August hatten Sicherheitskräfte das zentrale Protestlager der Muslimbrüder mit Gewalt aufgelöst. 600 Demonstranten starben, die meisten durch gezielte Schüsse der Sicherheitskräfte – das größte Polizeimassaker in der jüngeren Geschichte Ägyptens.

Erklärtes Ziel der islamistischen Märsche am Sonntag war der Tahrir-Platz in Kairo. Seit dem frühen Morgen hatten dort die Anhänger der neuen Mächtigen ihr Idol gefeiert, Armeechef Abdel Fattah al Sissi, sowie den 40. Jahrestag des Jom-Kippur-Krieges, den Ägypten als großen Sieg über Erzfeind Israel betrachtet. Auf dem Galaa-Platz gegenüber dem Tahrir am anderen Nilufer, wo es bereits am Freitag schwere Feuergefechte zwischen Mursi-Anhängern und der Polizei gegeben hatte, war ein Großaufgebot an gepanzerten Fahrzeugen postiert. Sämtliche Zugänge zum Tahrir-Platz wurden von Armee, Polizei und Geheimdienst hermetisch abgeriegelt. Überall waren Metalldetektoren aufgestellt, wie sie bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen üblich sind. Auf den Nilbrücken lagen dicke Stacheldrahtrollen bereit, die quer über die Fahrbahn gezogen werden können.

Die jubelnden Armee-Anhänger auf dem legendären Kreisverkehr haben keine Zweifel an der Mission ihrer neuen Herrscher. „Die Muslimbrüder haben sich aufgeführt, als seien sie die einzig wahren Muslime“, schimpft Samy al Mangy, pensionierter Professor für Tiermedizin. Wie praktisch alle hier, hat der 72-Jährige für die Reaktionen in den USA und Europa auf die Absetzung von Mohammed Mursi kein Verständnis. „Wir wollen kein Geld mehr von euch“, ruft er aus. Die Muslimbrüder seien Terroristen – „und Ägypten wird der ganzen Welt zeigen, wie man Terroristen wirklich bekämpft“. Zwischen den Diskutierenden sammeln Aktivisten Unterschriften für General al Sissi als nächsten Präsidenten. Hissam al Feky ist Scheich an der AlAzhar-Universität. Er hat ein Flugblatt getippt, das seine beiden Assistenten unter das Volk bringen. „Muslime und Christen – wir sind alle ein Volk“, heißt es in seinem Text, der gespickt ist mit Koranzitaten. Für Ägypten erhofft sich der 50-Jährige „Stabilität, Sicherheit, frische Ideen und eine bessere Wirtschaft“. Nur Hassan Saber hält sich etwas abseits. Der Ingenieur war Bürgerrechtler der ersten Stunde, war 2004 bei der Kefaya-Bewegung gegen Hosni Mubarak dabei und 2008 bei der Demokratiebewegung „6. April“. Am ersten Tag des Volksaufstands am 25. Januar 2011 gegen Mubarak „habe ich an derselben Stelle gestanden wie heute“, sagt er. Mit der Machtübernahme der Armee ist er einverstanden, sonst hätte Ägypten in seinen Augen geendet wie der Irak und Libyen. „Die Muslimbrüder haben uns betrogen, unsere Revolution verraten und unseren Traum ruiniert.“ Die Demokratiebewegung habe keine andere Wahl gehabt, als sich an die Armee zu wenden. Aber er macht sich keine Illusionen. „Der 25. Januar ist vom Winde verweht, die Aussicht auf Demokratie dahin.“

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