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Politik: Kanadischer Balanceakt

Auch in Ottawa ist Föderalismus ein Streitthema – Zentrale und Provinzen haben beim Geld beide das Sagen

Im Herbst beginnen die Gespräche über die zweite Stufe der Föderalismusreform, in der es um die Bund-Länder-Finanzbeziehungen geht. Anlass für eine kleine Serie im Tagesspiegel: Finanzen im Föderalismus in Deutschland, der Schweiz, den USA, Kanada und Spanien. Teil 4: Kanada.

Seit Monaten wird Kanadas Politik von einem Thema beherrscht: Wie soll der Föderalismus reformiert werden? Angestoßen hat die Debatte Premierminister Stephen Harper. Nach seiner Wahl zu Jahresbeginn hat der Wirtschaftsliberale einen offeneren Föderalismus angekündigt. Das hat die Diskussion beflügelt. Zwar werfen Kritiker Harper vor, er habe seinen Worten bislang nur halbherzige Taten folgen lassen. Andere begrüßen es aber als Aufbruchssignal, dass der Regierungschef sich für ein flexibleres System stark macht, in dem die widerstreitenden Interessen der Provinzen und des Bundes besser in Einklang gebracht werden sollen.

Die Föderalismusdebatte wird weit emotionaler geführt als in Deutschland. Bereits die Gründung des kanadischen Bundesstaates 1867 war ein Kompromiss zwischen jenen Nachfahren der ersten Siedler, die ihre Wurzeln in Frankreich sahen, und jenen, die sich auf England beriefen. Das Ergebnis war ein Zwitter: Eine starke Zentralregierung in Ottawa bei gleichzeitig sehr starken Provinzen. Das hat zur Folge, dass es eine parallele Zuständigkeit für die Steuererhebung gibt. Sowohl der Gesamtstaat als auch die Provinzen haben für sämtliche Steuern die Gesetzgebungskompetenz und können die Abgaben kassieren. Ihre Grenzen findet die Steuerautonomie der Provinzen nur in der finanziellen Belastbarkeit der Bürger. Die Verteilung der Steuergelder ist daher Gegenstand permanenter Verhandlungen zwischen den dreizehn Provinzen und der Bundesregierung.

Auch um andere Gelder wird gestritten. Gut 7,5 Milliarden Euro umfasst ein Programm, das den ärmeren Provinzen hilft, ihre Bürger mit staatlichen Leistungen zu versorgen, die nur geringfügig unter denen der reicheren Provinzen liegen. Der Verteilungskampf wurde noch befeuert durch einen Bericht im Auftrag der Bundesregierung, der eine Aufstockung des Ausgleichsprogramms auf knapp 10,5 Milliarden Euro und eine stärkere Umverteilung zu Gunsten der ärmeren Provinzen nahe legte – was die reicheren Regionen kategorisch ablehnen.

Die Gleichzeitigkeit der Zuständigkeiten führt zu Entscheidungsblockaden: So wurden soziale Wohnbauprogramme und der öffentliche Nahverkehr immer wieder dadurch gebremst, dass unklar war, welche Ebene die Kosten zu tragen hat. Verschärft wird die Debatte durch die Rolle der Großstädte, die sich in der kanadischen Geschichte dramatisch gewandelt hat. Zur Staatsgründung vor 140 Jahren war das Land agrarisch geprägt, heute spielen die Städte die zentrale Rolle, ohne dass dies im kanadischen Föderalismus ausreichend gewürdigt wird.

Bei der aktuellen Debatte geht es aber um mehr als ums Geld, nämlich um die grundsätzliche Frage, wofür die Bundesregierung in Ottawa eigentlich zuständig sein soll, und wieso man den Provinzen nicht gleich die Hoheit über alle wichtigen Fragen gibt. Dazu kommt der Spezialfall Quebec. Die französischsprachige Provinz reagiert aus historischen Gründen allergisch auf Versuche, die Kompetenz der Bundesregierung zu stärken. Letztlich verschränken sich Fragen der Macht und des Geldes mit der hochsensiblen Frage der Identität. Das Verhältnis Zentrale-Provinzen steht stellvertretend für die Herausforderung, wie man es in einem Land von für Europäer unvorstellbaren Ausmaßen schafft, die Interessen aller Beteiligten in eine Balance zu bringen: Der Landbewohner wie der Großstädter in den Metropolen an der US-Grenze, der Frankophonen und der Anglophonen, der Ureinwohner, der Nachfahren der ersten Siedler und der neuen Einwanderer.

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