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Kandidat Bundespräsident: Joachim Gauck: Der Herausfordernde

SPD und Grüne schicken Joachim Gauck ins Rennen. Warum ihn?

Von Matthias Schlegel

Seinem Selbstverständnis nach ist Joachim Gauck eine politische Allzweckwaffe. Als „linker, liberaler Konservativer“ bezeichnete er sich unlängst. Das war während einer Podiumsdiskussion im Januar dieses Jahres, die – seinem Wunsch gemäß – zugleich eine Art öffentliche „Vorfeier“ seines 70. Geburtstages war. Er erhielt sanften Widerspruch. So etwas gebe es gar nicht, hielt ihm eine Christdemokratin entgegen, die ihm zumindest bescheinigte, er passe in keine Schublade. Und ihn aber ansonsten über die Maßen würdigte.

Es war keine Geringere als die Vorsitzende der CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die dem damaligen Fast-Jubilar reizende verbale Kränze flocht. Er sei ein Mahner und Versöhner, mit seinem Eintreten für die Annäherung von Ost und West habe er sich große Verdienste um Deutschland erworben.

Solche Worte wären auch zur Begründung einer Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten geeignet. Und ohne Zweifel ist das konservative Element in dem parteilosen Joachim Gauck hinreichend ausgeprägt, dass er auch als Merkels Kandidat denkbar gewesen wäre, wenn die Kanzlerin denn jenen mahnenden Stimmen aus dem Oppositionslager gefolgt wäre, die ihr nahelegten, einen überparteilichen Bewerber vorzuschlagen. Dass es nun SPD und Grüne tun, ist auch Retourkutsche dafür, dass Merkel sich dieser Forderung verweigerte.

Gauck ist eine honorige Persönlichkeit, ein brillanter Redner und Rhetoriker, gelegentlich auch ein Mann des sehr klaren, des scharfen Wortes. Immer dann zum Beispiel, wenn es um die jüngere deutsche Vergangenheit geht. Wenn ihm Verklärung und Verniedlichung jener DDR begegnen, in der er den größten Teil seines Lebens verbrachte, kann er unerbittlich und aufbrausend werden. Das hat mit seinem Lebensweg und mit seinem Erfahrungen zu tun. Der in Rostock geborene Sohn eines Seemanns musste miterleben, wie sein Vater 1951 verhaftet und nach Sibirien deportiert wurde. Weil er den erhofften Studienplatz für Germanistik nicht bekam, widmete er sich der Theologie, wurde Pfarrer in Lüssow, später in Rostock. Er musste mitansehen, wie junge Leute aus seiner Gemeinde inhaftiert wurden, weil sie DDR-kritische Parolen an die Wände gesprüht hatten. Fundamentalopposition sei er selbst nie gewesen, sagte Gauck einmal. Gleichwohl wurde er 1989 Sprecher des Neuen Forums in Rostock und führte die Proteste auf der Straße an.

Die Auswüchse des Regimes hat er nicht nur am eigenen Leibe erfahren. Er wurde später, in seinem Amt als erster Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen, mit vieltausendfachen Leidensschicksalen und der Perfidie eines gnadenlosen Repressionsapparates konfrontiert. Die Aufarbeitung der Vergangenheit, die vor allem von dieser Perspektive bestimmt ist, kann unversöhnlich machen gegenüber jeder Art von Relativierung des überwundenen Systems. Und wenn er dann redet, empfinden auch jene, die gar nicht gemeint sind, ihr Leben in der DDR werde entwertet, weil da einer vor allem das Unrecht benennt – und sie beschämt, weil sie dem nicht widerstanden. Der Mann, dessen Name zum Bestandteil der Bezeichnung der von ihm geführten Behörde wurde, wird wie die Behörde selbst beurteilt: Den einen ist er Lichtgestalt der Abrechnung mit dem System, den anderen erscheint er als gnadenloser Rächer von bundesdeutschen Gnaden. Zumindest im Osten Deutschlands wird Gauck nicht von allen als der Brückenbauer und Versöhner empfunden, als der er in den Elogen der Politiker erscheint. Vielleicht haben diesen Punkt die, die ihn jetzt vorschlugen, unterschätzt. Aber vielleicht ist es ihnen auch nicht wichtig genug, weil jene noch nicht im geeinten Deutschland Angekommenen eine zu vernachlässigende Größe – zumal in der Bundesversammlung – sind.

Immer mal wieder wurde Gauck als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt. Die Vorschläge kamen auch aus dem Unionslager. Stets war dann das Wort von der „moralischen Instanz“ zu hören, die er verkörpere. Solches mag ihm gefallen, weil er, wie viele prominent gewordene Menschen, nicht frei von Eitelkeit ist. Aber es ist überdies auch richtig, weil Gauck immer wieder aus der Erfahrung entbehrter bürgerlicher Rechte und Grundfreiheiten heraus den Wert des Rechtsstaates hervorhebt. Und sich nicht scheut, in diesem Zusammenhang solche großen Worte wie Dankbarkeit und Glück zu gebrauchen. Parteipolitischen Avancen hat er bislang stets widerstanden. Die größte Annäherung zu einer Partei gab es vielleicht im März 1990, als er für Bündnis 90 in die letzte DDR-Volkskammer einzog.

Als Gauck im Jahr 2000 als Chef der Stasi-Behörde aufhörte, weil das Gesetz eine weitere Amtszeit nicht ermöglichte, tat er das, wozu er besonders befähigt ist: reden, argumentieren, streiten, gelegentlich dozieren. Er wurde 2003 Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – für Demokratie“, er fuhr quer durchs Land als, wie er sich selbst nannte, „Vortragsreisender in Sachen Erinnerung“. Er versuchte sich kurzzeitig als Fernsehmoderator. Als ihn dann viele Leute fragten, warum er denn das alles nicht mal aufschreibe, wagte er sich an ein Buch. In „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ arbeitet er sein eigenes Leben und die Beschwernisse des Pfarrer-Seins in der Diktatur auf.

Der vierfache Vater und Großvater sagt von sich selbst, er sei altersmilder geworden. Es wäre eine gute Voraussetzung für ein Amt, in das zu gelangen er dennoch wohl keine Chance hat.

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