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Michele Bachmann

© Reuters

Kandidaten für US-Präsidentschaftswahl: Michele Bachmann siegt bei Testwahl

Wer soll bei den Republikanern im nächsten Jahr gegen Präsident Obama antreten? Bei einer Testwahl in Iowa hat sich die konservative Tea-Party-Anhängerin Michele Bachmann durchgesetzt. Vielen Beobachtern macht diese Entwicklung Sorge.

Die Schlange vor Tim Pawlentys Wahlkampfzelt ist kürzer, als sie befürchtet hatten. Nur 20 Minuten müssen die Frelighs anstehen, bis jeder einen Plastikteller mit Grillfleisch, roten Bohnen und Krautsalat in Sahnesoße in die Hand gedrückt bekommt. Das ist gut für den Familienfrieden. Um 15 Uhr hängen den Eltern und ihrer Teenager-Tochter die Mägen schief, und ihnen schmerzen die Füße vom stundenlangen Herumlaufen zwischen den Ständen der Waffenlobby, der Abtreibungsgegner und der Anwälte für Steuersenkungen.

Guten Appetit jetzt also erst mal. Sie setzen sich an einen der vielen Tische, die im Zelt aufgestellt sind.

Drüben bei Pawlentys Konkurrentin Michele Bachmann ist die Wartezeit angeblich auf zwei Stunden angewachsen; so groß ist der Andrang bei der neuen Ikone der Parteirechten, trotz der brennenden Sonne.

Ginge es nach Güte und Menge des Essens, müssten die Wartezeiten umgekehrt sein. Pawlenty hat die populäre Gaststätte „Famous Dave’s Barbecue“ mit der Verköstigung seiner Anhänger beauftragt. Bachmann dagegen hat auf die Zugkraft des Countrysängers Randy Travis gesetzt – und offenbar beim Essen etwas zu knapp kalkuliert. Jedenfalls sind im Verlauf der Mittagsstunden, als die Schlangen ihrer hungrigen Fans nicht kürzer werden wollten, die ausgereichten Portionen von „Pulled Pork“ immer kleiner geworden. Das am Stück gegrillte und dann in mundgerechte Bissen gezupfte Schweinefleisch ist eine Spezialität im Farmstaat Iowa.

Der Vergleich der Warteschlangen bringt die Frelighs ins Grübeln. Liegt es womöglich am politischen Menü, wenn die größeren Massen zu anderen Zelten strömen?

Sie wünschen sich, dass Tim Pawlenty, der Ex-Gouverneur von Minnesota und in ihren Augen ein gemäßigter Rechter, Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird. Deshalb sind sie an diesem Wochenende auf das Gelände der staatlichen Universität im unscheinbaren Städtchen Ames im Mittleren Westen der USA gekommen. Dort lassen die Konservativen die Basis bei der sogenannten „Straw Poll“, der Stroh-Wahl, im August vor dem Wahljahr über den Lieblingsbewerber abstimmen. Zwischen Iowas Maisfeldern, Rinder- und Schweineställen beginnt der lange Weg ins Weiße Haus, findet der erste ernsthafte Stimmungstest darüber statt, wie die Machtverhältnisse zwischen den Parteiflügeln aktuell verteilt sind: den Wirtschaftsliberalen, der religiösen Rechten und der jungen Fraktion der „Tea Party“, die das Establishment seit zwei Jahren das Fürchten lehrt.

Die Straw Poll ist ein Anhängsel der Landwirtschaftsmesse in Des Moines, der 50 Kilometer entfernten Hauptstadt Iowas. Die Messe zieht im Verlauf der elf Tage Dauer eine Million Besucher an mit ihrer Leistungsshow zentnerschwerer Kürbisse, der besten Zuchtbullen, Milchkühe und Eber, der Vorführung neuester Landwirtschaftsgeräte und mit ihren kulinarischen Angeboten, von geräucherter Truthahnkeule über den „Corndog“, ein in Maismehlteig gehülltes Würstchen, bis zu Rindersteaks und Bier. Sie dient den Bewerbern zugleich als Wahlkampfbühne – in der Hoffnung, dass möglichst viele Besucher am Samstag den Abstecher zur Straw Poll in Ames machen.

Sam Freligh ist Flugzeugmechaniker, seine Frau Peggy Krankenschwester. Sie sehen Amerika auf einem gefährlichen Weg. Die Wirtschaft stottert, die Staatsausgaben und die Schulden wachsen, die Sitten verfallen. Die Heiligkeit der Ehe ist bedroht, in immer mehr Staaten dürfen Homosexuelle jetzt heiraten. Die Regierung des Demokraten Barack Obama möchte jedem Bürger zudem eine Krankenversicherung aufzwingen, statt ihm die Entscheidungsfreiheit zu überlassen. Das alles muss sich wieder ändern. Insofern gefällt ihnen die Vehemenz, mit der Michele Bachmann diese Forderungen vertritt. Einerseits.

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Andererseits schreckt Bachmanns Kompromisslosigkeit die Eheleute ab. Zu allem sagt sie Nein und zu nichts Ja. „Man soll schon Werte und Prinzipien verteidigen“, sagt Sam Freligh, „aber was nützt es, wenn es nur Worte bleiben und keine Veränderung bewirkt?“ Bevor die Familie nach Iowa zog, hat sie im Nachbarstaat Minnesota gelebt, als Pawlenty dort Gouverneur war. Ihn kennen sie als soliden Arbeiter. „Er hat gegen die Demokraten gekämpft, aber am Ende Kompromisse geschlossen und etwas erreicht“, erzählt Freligh. Bei der Fernsehdebatte am Donnerstag sei ihm das noch mal so richtig aufgefallen. Bachmann habe die schärfere Rhetorik. „Wer jedoch Präsident werden will, muss regieren können und sich mit den Gegnern arrangieren.“

Was ist die richtige Mischung aus ideologischer Reinheit und Pragmatismus? Das ist die klassische Frage für eine Partei, die ihre Basis mobilisieren will, aber zugleich Wähler der Mitte anziehen möchte, ohne die ein Sieg über das gegnerische Lager rechnerisch kaum möglich ist. In Iowa schnitten die Radikalen bei den vergangenen Straw Polls schlecht ab. 2007 gewannen moderate Kandidaten, auch wenn sie gegen republikanische Prinzipien verstoßen hatten. Erster wurde damals Mitt Romney, Geschäftsmann und Mormone, der mit seiner Wirtschaftskompetenz warb, aber beim Abtreibungsverbot wackelte. Zweiter wurde Mike Huckabee, ein Gitarre spielender Pfarrer, der als Gouverneur von Arkansas die Steuern erhöht hatte. Kandidat bei der Wahl im November 2008 war dann allerdings John McCain, was zeigt, dass die Straw Poll ein Vorentscheid sein kann, aber keinesfalls sein muss. Es geht darum, einen guten Auftritt hinzulegen, zu überraschen oder gar zu verblüffen.

Im Sommer 2011 ist die Atmosphäre anders als 2007, aufgeheizter. Es herrscht Umsturzstimmung. In Washington ist in den Wochen zuvor der Streit um die Erhöhung der Schuldenobergrenze bis zur Unversöhnlichkeit eskaliert. Zur schlechten Konjunktur und der hohen Arbeitslosenquote ist nun auch noch die demütigende Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA hinzugekommen. Die „Tea Party“ bekämpft nicht nur die Demokraten, sondern droht auch moderaten Republikanern, die Kompromisse mit Obama schließen wollen, mit der Entmachtung.

Michele Bachmann hat sich an die Spitze dieser Bewegung gesetzt. Bei ihrem Auftritt auf der Landwirtschaftsmesse wirbt die nur einen Meter 60 große, zierliche Frau mit ihrem „Rückgrat aus Titan“. Die 55-Jährige ist eine Meisterin der scharfzüngigen Einzeiler und fordert ihr Publikum mit dirigierenden Handbewegungen auf, den Schlüsselsatz Silbe für Silbe mitzusprechen: „Let’s make Barack Obama a one term president!“ Mit vereinten Kräften werde man Obama 2012 nach nur einer Amtszeit aus dem Weißen Haus herauswählen.

Mit den Fakten nimmt sie es nicht so genau. Sie sagt, sie sei die einzige Person im Bewerberfeld, die republikanische Werte unbeugsam verteidige und, zum Beispiel, die Erhöhung der Schuldengrenze abgelehnt habe. Denn die sei „ein Blankoscheck für Barack Obama, 2,4 Billionen Dollar neue Schulden zu machen“. Tatsächlich schreibt ihm die Einigung vor, dass er eine noch höhere Summe aus dem Etat streichen muss. Sie behauptet auch, dass Obamas Finanzpolitik der Grund für die gesunkene Kreditwürdigkeit sei. In Wahrheit hat die Ratingagentur S & P die mangelnde Kompromissbereitschaft insbesondere der Rechten als Begründung angegeben.

Kürzlich haben Medien Bachmanns Gesundheit infrage gestellt. Sie leide unter Migräne und nehme dann starke Medikamente, die ihre Denkfähigkeit einschränken. Das Magazin „Newsweek“ bildete sie mit starrem Blick und der Titelzeile „Die Königin des Zorns“ ab. Bei ihren Auftritten in Iowa wirkt ihr Lächeln oft eingefroren und das Winken fahrig.

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Bis zum Frühjahr hatten die meisten Kommentatoren Bachmann nicht ernst genommen. Die Umfragen führte Mitt Romney an. Als dessen gefährlichster Herausforderer galt Pawlenty, weil er ein sympathisches Auftreten und republikanische Wertvorstellungen mit Regierungserfahrung verband. Deshalb traute man ihm am ehesten zu, Obama zu besiegen. Und falls überhaupt jemand vom rechten Flügel das Feld aufmischen könnte, dann war das im Frühjahr noch Sarah Palin. Sie machte freilich den Eindruck, als wolle sie sich die Strapazen einer Kandidatur nicht zumuten und kokettiere lediglich mit der Option, um ihren Marktwert zu halten, der sich in Buchhonoraren und Fernsehverträgen niederschlägt.

Am vergangenen Freitag konnte Palin sich nicht verkneifen, überraschend auf der Landwirtschaftsmesse aufzutauchen und den republikanischen Parteifreunden die Schau zu stehlen. Zwei Stunden schlenderte sie mit Ehemann Todd und Tochter Piper durch die Gänge zwischen Bratwurstständen und Fahrgeschäften, eingehüllt in eine Traube von Fernsehkameras und begeisterten Anhängern, die mit ihr für ein Foto posieren wollten. Palin stattete auch der berühmten „Butter Cow“ einen Besuch in deren Jubiläumsjahr ab: der lebensgroßen Skulptur einer Kuh, die seit 100 Jahren jede Saison aus Butter modelliert und während der Messetage stark gekühlt hinter Glas gehalten wird. Und stark gekühlt blieben auch ihre Antworten auf Fragen nach ihrer Kandidatur.

Die Schlagzeilen hat inzwischen ohnehin Bachmann erobert, sie hat in den Umfragen Pawlenty und Palin hinter sich gelassen und zu Romney aufgeschlossen. Ihr Erfolg hat auch die meisten Konkurrenten zu einer schärferen Sprache animiert. Rick Santorum, Ex-Senator aus Pennsylvania, nennt Obamas Gesundheitsreform jetzt „die größte Bedrohung der Freiheit für unsere Generation“. Auch Ron Paul, der 75-jährige Abgeordnete aus Texas, hat seine Wortwahl verschärft. Er vertritt eine besondere Gattung des Konservatismus. Er ist libertär, lehnt den Staat traditioneller Prägung ab, möchte die Bundesbank auflösen und zum Goldstandard zurückkehren. Er predigt Isolationismus und will alle Truppen aus dem Ausland heimholen. Damit begeistert er junge Leute.

In dieser gewandelten Atmosphäre haben sich zwei gemäßigte Präsidentschaftskandidaten entschlossen, erst gar nicht bei der Straw Poll anzutreten: Mitt Romney, der Sieger von 2007, und Jon Huntsman, ebenfalls ein erfolgreicher Geschäftsmann und Mormone und zudem bis vor kurzem Obamas Botschafter in China. Die Partei hat ihre Namen zwar auf die Stimmzettel gedruckt. Aber beide sind nicht nach Ames gekommen. Sie setzen auf andere Regionen der USA.

Tim Pawlenty kann es sich nicht leisten, abzutauchen und abzuwarten. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, hat kein Millionenvermögen wie Romney und Huntsman und ist auf Spenden angewiesen, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. Seine Strategie setzt auf eine Kette von Siegen hier im Mittleren Westen, wo ihn moderate, republikanische Wähler, Leute wie die Frelighs, kennen. Er wollte die Straw Poll gewinnen, um sich die beste Ausgangsposition für die Vorwahl in Iowa zu Beginn des Wahljahres 2012 zu verschaffen. Iowa macht traditionell den Auftakt, wenn die Bürger nach und nach in allen 50 Einzelstaaten ihren Wunschkandidaten für die Präsidentschaft bestimmen. Ein Sieg in Iowa soll Pawlenty an die Spitze katapultieren und Spendengelder anziehen, mit denen er die weitere Kampagne finanzieren kann.

Doch je länger sich die Frelighs auf der Straw Poll umgesehen haben und nach dem 15-Uhr-Snack weiter umsehen, desto größer werden nun ihre Zweifel an ihrem Wunschkandidaten. Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse konnten sie nicht nur an den Schlangen vor den Essensausgaben ablesen, sondern auch an der Farbe der Kleidung auf dem Gelände. Direkt um Pawlentys Zelt dominieren die grünen T-Shirts, die er an seine Anhänger verteilt hat, zwar noch. Doch anderswo gehen sie meist im Orange und Rot der Bachmann-Unterstützer unter. Und noch eine Farbe ist unübersehbar: das Bordeauxrot mit dem Namen Rick Perry.

Tagelang hat der Gouverneur von Texas mit der Ankündigung, dass er etwas anzukündigen habe, die Spannung geschürt – und dann hat er bei einem Auftritt im Bundesstaat South Carolina am Samstag seine Präsidentschaftskandidatur erklärt. Genau wie bei Palins Verhalten ist dieses Timing eine Bosheit, um den Parteifreunden die Aufmerksamkeit der Medien zu stehlen.

Als abends die Ergebnisse der Straw Poll verkündet werden, sind die Frelighs kurz ernüchtert. Michele Bachmann hat klar gewonnen, mit 4823 von 16 892 abgegebenen Strohwahl-Stimmen. Dicht auf den Fersen ist ihr Ron Paul, der Libertäre, mit 4671 Stimmen. Pawlenty hat nicht einmal halb so viele bekommen, er liegt auf Platz 3. Am Sonntag erklärt Pawlenty seine Kandidatur für beendet. Seine Wahlkampfkasse ist leer, auf neue Spendengelder konnte er nach diesem Abschneiden nicht mehr hoffen.

Die Frelighs haben jetzt einen neuen Hoffnungsträger: Rick Perry, 61. Der habe klare Werte plus Regierungserfahrung plus Durchsetzungsvermögen. Kann ein Republikaner aus Texas so kurz nach Bush schon wieder attraktiv sein für eine Mehrheit der Wähler? Das müssen die nächsten Monate zeigen. Wenn nicht, dann würden sie notfalls auch für Romney oder Bachmann stimmen. Begeistert klingt es nicht.

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