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Politik: Kann Amerika uns nicht mehr verstehen, Herr Kornblum? Wie der ehemalige US-Botschafter in Berlin das transatlantische Verhältnis sieht

Der 11. September 2001, Herr Botschafter, war ein Tag, der erst weltweites Entsetzen hervorrief, dann eine Betroffenheit, die alle vereinte.

Der 11. September 2001, Herr Botschafter, war ein Tag, der erst weltweites Entsetzen hervorrief, dann eine Betroffenheit, die alle vereinte. Nun, ein Jahr später, zeigen sich zwischen Amerika und Europa tiefe Gräben. Waren sie je so tief wie jetzt?

Ich glaube nicht, dass es Gräben gibt. Es gibt eine heftige, teilweise emotionelle Debatte innerhalb Amerikas, innerhalb Europas und auch zwischen Amerika und Europa. Aber man kann nicht sagen, dass die Trennlinie mitten durch den Atlantik verläuft. Vielleicht durch den Ärmelkanal. Und ein Grund für die heftigen Debatten besteht darin, dass wir immer noch dabei sind, die Konsequenzen dieses großen Ereignisses zu verstehen und zu verdauen. Der 11. September hat die Welt doch sehr durchgeschüttelt, auch wenn wir es im Alltag nicht so merken.

Der 11. September löste so etwas wie einen metaphysischen Schrecken aus. Nichts sollte mehr so sein wie vorher. Man hat den Eindruck, dass davon nicht mehr viel präsent ist…

In den USA schon. Nicht, dass die Leute auf der Straße ängstlich wären. Aber die Psychologen in den USA haben noch immer viel mit dieser Erinnerung zu tun. Das beeinflusst das politische Verhalten, aber natürlich auch die Stimmung im Land.

In diesem Schrecken steckte ja auch der Imperativ des Zusammenstehens. Wo ist dieses Gefühl hin? Und woher kommt stattdessen die Entfremdung, die in den Debatten über die Haltung zu Irak sichtbar wird?

Ich würde es bezweifeln, dass es da wirklich eine Entfremdung gibt. Ich glaube, es gibt Unsicherheiten, es gibt eine neue Qualität der Probleme und es gibt auch eine Debatte darüber, was man jetzt machen soll. Doch gerade vor ein paar Tagen hat eine Meinungsumfrage gezeigt, dass die Sicht der Dinge in Europa und Amerika sehr ähnlich ist. Gut, 50 Prozent der Europäer meinen, die Amerikaner hätten selbst Schuld. Das ist nicht erfreulich. Aber insgesamt sind die Meinungen doch erstaunlich nahe beieinander.

Andererseits gibt es Leute auf beiden Seiten des Atlantiks, prominente Köpfe wie zum Beispiel Klaus Naumann, der frühere Generalinspekteur, und Jeff Gedmin, Chef des Aspen-Instituts, die zur Charakterisierung der Lehre nach dem 11. September die Formulierung benutzen, Deutsche und Amerikaner lebten auf zwei verschiedenen Planeten. Weil eben die Reaktionsmuster auf den Terror des September vergangenen Jahres völlig verschieden gewesen seien.

Ich glaube nicht, dass wir auf einem anderen Planeten leben. Die Reaktion ist verschieden, das stimmt. Aber wir sollten nicht vergessen, wie extrem zum Beispiel in Deutschland auf den Golf-Krieg reagiert wurde. Sprach man damals davon, dass Deutsche und Amerikaner auf verschiedenen Planeten leben? Ich glaube, man muss sehr, sehr vorsichtig sein mit so weitreichenden historischen Prognosen – auf der Basis von nicht mal einem Jahr Erfahrung! Die Versuchung dazu ist sehr stark. Doch wenn man so lange mit den amerikanisch-europäischen Beziehungen zu tun gehabt hat wie ich, weiß man, wie viele schwierige Phasen und Konfrontationen es in diesen Beziehungen gegeben hat. Jedes Mal hat sich die Lage nachher etwas anders dargestellt. Wirkliche Brüche hat es nicht gegeben. Man muss in der Lage sein, solche Spannungen in ihrem Auf und Ab zu sehen und sie nicht nur nach den Maßstäben von voller Übereinstimmung oder unheilbarem Dissens zu beurteilen.

Vor einem Jahr titelte „Le Monde“: „Wir sind alle Amerikaner“ und sprach damit fast der ganzen Welt aus der Seele. Fühlen sich jetzt wieder nur die Amerikaner als Amerikaner? In dem Sinne, dass Amerika von dem Gefühl heimgesucht ist: Wir bringen ein Opfer für die ganze Welt und die Welt würdigt das nicht?

Schwer zu sagen. Amerikaner reagieren auf Bedrohungen anders als Europäer. Und das nicht erst seit gestern. Lassen sie mich das so sagen: Die Amerikaner sind eigentlich ein friedfertiges Volk. Ihr Ziel ist es, „the American way of life“ aufzubauen und zu schützen. Im Bedrohungsfall wehrt man sich zunächst seiner Haut, schützt diesen way of life. Dagegen war man in Europa über die Jahrhunderte hinweg immer bedroht und neigt deshalb dazu, Schutzmauern, Strukturen aufzubauen, um solche Drohungen auf Dauer zu verhindern. Die Reaktion ist also nicht so wie in Amerika: Bestrafen wir die Schuldigen, sondern: Bauen wir doch Strukturen auf.

Muss es dann nicht fast schon als Verrat empfunden werden, wenn auf die – Zitat Schröder – „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands die uneingeschränkte Absage an die Teilhabe am nächsten Schritt wird?

Ich glaube, der entscheidende Punkt besteht darin, dass differenziertere Betrachtungsweisen, auch Handlungsmöglichkeiten gesucht werden müssen. Und dass man sich gleichzeitig vor ahistorischen Betrachtungsweisen hüten muss. Für mich ist die große Frage: Warum entzünden sich die Beziehungen zwischen Amerikanern und Europäern immer wieder in der gleichen Weise? Ich könnte ein halbes Dutzend Beispiele nennen, die ziemlich so verlaufen sind wie der gegenwärtige Konflikt. Warum reagieren wir immer so emotionell und irgendwie so grundsätzlich auf Debatten zwischen uns?

Geben Sie die Antwort. Ihre Antwort!

Ich glaube … weil die gegenseitige Abhängigkeit so groß ist, auch seitens der Amerikaner, ob sie das erkennen oder nicht. Wenn es irgendwie zu wackeln scheint, dann wird man gleich sehr aufgeregt und sehr nervös. Denken wir – nur ein Beispiel – an die Debatte von 1982 …

Über das Erdgasröhrengeschäft?

Ja, das war fast eine richtige Krise. Ein Jahr später war das völlig vergessen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich will nicht leugnen, dass sich vieles geändert hat und dass die Beziehungen vielleicht sehr strapaziert sind. Aber ich will dafür plädieren, das alles mit einem gewissen Abstand zu betrachten. Und man sollte jetzt wirklich ein bisschen Geduld haben und vielleicht sogar ein bisschen Verständnis für die Politiker. Sie versuchen Fragen zu behandeln, die auf einer herkömmlichen Weise wahrscheinlich nicht behandelt werden können.

Könnte die Belastung des europäisch-amerikanischen Verhältnisses auch daher rühren, dass die grundsätzliche Veränderung, die sich in Amerika mit dem 11. September ereignet hat, Europa eigentlich doch nicht erreicht hat – allem Mitfühlen zum Trotz? So dass es auch keinen Grund gibt, die gewohnten Handlungsmuster zu überdenken?

Ich glaube, ein Problem für Europa besteht darin, dass man seit 1945 so einen Riesenerfolg gehabt hat mit den Strukturen, die nach dem Krieg aufgebaut worden sind, ob es sicherheitspolitisch, ob es wirtschaftlich, ob es sozial ist. Bis 1980 hat Europa fast ein perfektes Muster aufgebaut für das Management der Nachkriegszeit. Aber seither – bestimmt seit 1990, noch mehr seit dem 11. September –, hat sich die Welt wirklich grundsätzlich geändert. Und die Verarbeitung dieser Änderungen ist für Europa vielleicht schwieriger als für Amerika oder andere Länder.

Und die Eindämmung, Containment, das Gefahren-von-sich-weghalten spielt immer noch eine größere Rolle im außenpolitischen Denken Europas …

Natürlich. Man will sich die Bedrohungen vom Leibe halten …

Während sich für Amerika die Option Containment mit dem 11. September erledigt hat?

Ja sicher. Sie ist uns nicht gelungen! Aber Amerikaner, wenn sie bedroht werden, reagieren ohnedies mit aktiven Strategien.

Könnte man aus Ihren Worten den Vorwurf heraushören, dass Europa nach wie vor zu eurozentrisch denkt und deshalb seinen Anteil an diesen aktiven Strategien schuldig bleibt?

Helmut Schmidt sagte neulich: Weshalb sollten sich die Europäer engagieren? Sie haben genug zu Hause zu tun. Und ein bisschen stimmt das. Nach dem furchtbaren Krieg, der Europa vor mehr als einem halben Jahrhundert erschüttert hat, ist es immer noch dabei, sich wieder irgendwie zusammenzubauen. Und das kostet sehr viel Energie.

Aber das ist eine für die USA nicht akzeptable Haltung?

Ich würde den Ausdruck nicht benutzen. Ich würde sagen, die USA können sich nicht immer von der Rücksicht darauf leiten lassen. Sehr oft sagen unsere europäischen Partner zu uns: Sie haben Recht, aber Sie müssen uns Zeit geben. Ich habe diesen Satz mindestens fünfhundert Mal gehört. Und ich glaube, die Antwort ist: Wir haben im Moment keine Zeit.

Die islamistischen Terroristen, die vor einem Jahr Amerika angriffen, gingen davon aus – zumindest gibt es diese These –, dass der Westen innerlich verrottet sei – eine Art spätrömisches Reich. Dann hat das vergangene Jahr zumindest den Beweis erbracht, dass sie sich verschätzt haben?

Ja, wir befinden uns zwar mitten in einer sehr schwierigen Zeit, ohne Frage, und wahrscheinlich ist sie schwieriger, als viele meinen. Aber es ist eine Tatsache, dass das Finanzsystem steht, der Handel floriert, die demokratischen Institutionen werden teilweise debattiert, aber sie sind stark. Wenn die Terroristen die Vorstellung gehabt haben, man könne mit dem Angriff auf dieses Nervenzentrum der westlichen Zivilisation dieses zum Einsturz bringen, dann haben sie sich getäuscht.

Obwohl auch der Kampf gegen die Terroristen bislang nur zum Teil erfolgreich war und auch die Weltwirtschaft sich noch nicht von den Folgen des 11. September erholt hat?

Ich glaube, dass wir uns insgesamt in einer langen, langen Phase der Konsolidierung befinden. Sehen Sie, wir haben innerhalb von kaum mehr als zehn Jahren einige Riesenänderungen und Riesenschocks zu bewältigen gehabt, positive und negative – den Fall der Mauer, das Ende der Sowjetunion, aber auch Probleme wie das Verhältnis von Indien und Pakistan, auch eine durchaus positive Entwicklung in China etc. etc. Das erinnert mich an den Anfang meiner Laufbahn, als mir Henry Kissinger – der mich damals stark beeinflusste – sagte: Die schwierigste Zeit für das internationale System ist, wenn es neue Players gibt. Jetzt gibt es eine Menge davon. Und es wird einige Zeit dauern, die neuen an die Regeln zu gewöhnen und neue Regeln zu erfinden und das wird auch einige Umwälzungen mit sich bringen. Um wieder auf Europa zurückzukommen, ich glaube, dass es die Notwendigkeiten dieser Umwälzungen nicht so ganz klar gesehen hat, wie vielleicht andere Länder, andere Erdteile.

Dieser erste Jahrestag des 11. September rückt die Soll-Seite des deutsch-amerikanischen Verhältnisses ins Licht. Was steht auf der Haben-Seite?

Trotz allem, auch der gegenwärtigen Schwankungen: Die sieht durchaus positiv aus. Wenn Sie sitzen, wo ich jetzt sitze, nämlich in der Repräsentanz einer großen, internationalen Bank, dann sehen Sie, wie dieses Verhältnis nicht nur in der Politik, sondern in der Geschäftswelt und der wissenschaftliche Welt zu einem Kreislauf geworden ist. Die deutsche Wirtschaft und die amerikanische Wirtschaft sind miteinander vernetzt wie noch nie, ebenso das intellektuelle Leben. Das ist wahrhaftig nicht nur einseitig. Der deutsche Einfluss in Amerika ist sehr bedeutend. Und dieser Kreislauf wird nicht nur weiter bestehen, sondern wachsen. Aber alle diese Aufgaben sind kaum zu definieren, geschweige denn zu lösen. Denn es sind immer mehr Probleme, die uns gemeinsam betreffen, doch wir versuchen immer noch, sie als nationale Aufgaben zu lösen.

Dann wäre es eine Chance auch für die Zusammenarbeit über den Atlantik hinweg, das Augenmerk jenseits der Außen- und Sicherheitspolitik auf diese vergleichbaren Problemlagen zu richten, zumal in der Innenpolitik?

Sicherheit ist wichtig, und ich glaube, Außen- und Sicherheitspolitik müssen gerade in Krisen-Phasen an erster Stelle stehen. Aber ich plädiere doch für eine breitere Sicht – damit man wahrnimmt, dass das, was das vorhandene Beziehungsnetz in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ausmacht, für das Verhältnis von Deutschland und Amerika viel mehr Stabilität und auch Ertrag bringt als die Debatten glauben lassen, in die wir uns immer wieder verstricken.

Das Gespräch führten Gerd Appenzeller, Robert von Rimscha und Hermann Rudolph

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