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Politik: Kann die Union mit den Grünen, Herr Wulff?

Niedersachsens künftiger Regierungschef über Geldnot und Clements Dusche

Vor zwölf Jahren haben Sie mit Blick auf den neuen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder gesagt, es sei unglaublich, wie sich die Behandlung eines Menschen von einem auf den andern Tag ändert, wenn er ein Amt besetzt. Woran merken Sie, dass Sie demnächst Ministerpräsident von Niedersachsen sind?

Das merkt zum Beispiel meine neunjährige Tochter, die jetzt von Leuten umarmt wird, die ihr dazu gratulieren, dass ihr Vater Landesvater ist. Und die fragt sie dann: Landesvater? Das ist doch mein Vater. Ich selbst merke das an einem ungeheuren Zuwachs an Aufmerksamkeit.

Und Sie genießen ihn.

Gerade in Deutschland ist man sehr stark fixiert auf Regierungen. Ich habe unter der mangelnden Aufmerksamkeit für die Opposition neun Jahre lang häufig gelitten. Das ist nur zu ertragen, wenn man daran glaubt, dass man eines Tages Regierung ist. Dass das gelungen ist, das ist eine sehr schöne Erfahrung. Früher hätte ich einen Kopfstand machen müssen, um auf unser Programm aufmerksam zu machen. Diese Aufmerksamkeit ist heute automatisch da.

Auch für Sie persönlich?

Ich bin stolz darauf, dass ich als Kandidat aus der Opposition heraus am Ende des Wahlkampfs eine Zustimmung von 70 Prozent hatte. Und das, obwohl es mir mehr liegt auszugleichen als anzugreifen. Ich war, das kann ich jetzt ja zugeben, deswegen kein begnadeter Oppositionsführer. Aber ich möchte aus diesem Grund ein guter Ministerpräsident sein.

Haben Sie denn von Ihren Vorgängern Gabriel und Schröder etwas gelernt?

Ihre Ansprechbarkeit, ihr unkompliziertes Auftreten – da kann man von beiden lernen. So schroff allerdings, wie sie parteipolitisch Gräben ziehen, das werde ich nicht tun. Als ich Schröder 1994 im Landtag Zusammenarbeit anbot, antwortete er: Wir sind die Mehrheit, und das wird für die nächsten Jahre so bleiben. Wir haben jetzt die größte Mehrheit, die es je im niedersächsischen Landtag gegeben hat. Aber wir werden jeden ernst zu nehmenden Vorschlag prüfen, egal von wem er kommt.

Nachtragend sind Sie also auch?

Ich versuche, mir treu zu bleiben. Ich habe das Angebot damals ernst gemeint. Und ich glaube auch, dass diese Schaukämpfe, die Medieninszenierungen von Politik ihre große Zeit hinter sich haben. Im Augenblick wollen die Leute etwas ganz anderes von uns.

Was denn?

Dass wir den Unterschied zwischen WellnessHotel und Intensivstation kennen. Wenn ich Massagen und Lockerungsübungen brauche, da kann es schon eine Rolle spielen, ob mir die Therapeutin sympathisch ist. Vor einer lebensbedrohlichen Operation will ich nur wissen, ob der Chirurg das kann. Dass Schröder von ihm sagte, er rede oft, bevor er nachgedacht habe, das war der Todesstoß für Gabriel.

Sie werden ja nicht nur Niedersachsen regieren, sondern über den Bundesrat auch Deutschland…

Ein bisschen…

Seit dem 2. Februar ein bisschen mehr. Welche Chancen hat denn Ihr Motto „Der beste Vorschlag gewinnt“ in der Bundesratsstrategie der Union?

Gute. Wir sind ja sehr flexibel. Erstens: Die 48 Steuer- und Abgabenerhöhungen, die die Regierung Schröder will, die werden wir sicher ablehnen. Dafür haben wir jetzt ein sehr eindrucksvolles Votum der Bürger und die Sachverständigen auf unserer Seite. Dann gibt es zweitens Punkte, wo wir zu Lösungen mit der Regierung bereit sind, also Aufbrechen des zubetonierten Arbeitsmarktes, neue Möglichkeiten für Zeitarbeit, für Leih- und befristete Arbeit, Sonderregelungen für Existenzgründer und für kleine und mittlere Betriebe. Wir haben das Interesse, uns da zu einigen, weil wir Wachstum brauchen, auch uns steht das Wasser bis zum Hals in den Ländern und Kommunen, in denen wir regieren. Wir werden nicht blockieren, sonst fahren wir alle gegen die Wand.

Heißt das große Kooperation statt großer Koalition?

Ja. Wir müssen Brücken bauen, wo es möglich ist.

Warum eigentlich nicht gleich eine große Koalition?

Weil das voraussetzt, dass in der Regierung über ihr Ende geredet würde. Aber das geschieht ja nicht, Rot-Grün will durchziehen. Und eine Opposition, die über Dinge nachdenkt, die nicht real sind, lähmt sich.

Wenn diese Diskussion geführt würde, dann wären Sie also dabei?

Nein. Aber wenn Schröder auf uns zukäme und sagen würde, wir brauchen euch zur Lösung der deutschen Probleme, dann würde diese Diskussion wenigstens geführt. Wir müssen uns aber jetzt darauf einstellen, dass Rot-Grün dieses Land bis 2006 regiert. Das sollte die Verhandlungsgrundlage sein, sonst habe ich zu viele Leute, die über zu viele Kabinetts- und Staatssekretärsposten reden statt über Politik. Wir brauchen im Moment die große Kooperation.

Warum legt denn die Union nicht auf den Tisch, was sie anstelle der rot-grünen Vorhaben durchsetzen will?

Das ist eben der dritte Punkt: weil die Regierung die Pflicht hat, Vorschläge zur Gesetzgebung zu machen, und man sie da nicht aus der Verantwortung entlassen kann. Mit dem ganzen Apparat ihres Ministeriums hinter sich hat Ministerin Schmidt die Pflicht, einen Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform vorzuschlagen, der dann beraten werden kann. Gleiches gilt für Steuern, Bürokratieabbau, Alterssicherung. Die SPD und die Grünen sind zum Regieren gewählt und verurteilt, und wenn sie es nicht tun, dann können wir es nicht übernehmen. Dann müssten sie sagen: Wir können es nicht. Das war’s.

Sie haben Angst davor, oder?

Last und Lust sind beim Regieren eng beieinander, und wer Lust hat, muss auch die Last tragen. Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir das als Opposition täten. Die Regierung könnte immer sagen: Na, so schlimm wie die sind wir aber nicht. Das Konkrete muss schon die Regierung machen, darauf bestehen wir. Sollen wir wirklich auf alle Ideen anspringen, die Herrn Clement jeden Morgen unter der Dusche einfallen?

Ist Clement kanzlerfähig?

Ich halte ihn für überschätzt. Er hat noch keine Mehrheit in der SPD-Fraktion hinter sich gebracht. Wir wissen nie: Ist das jetzt Clement, ist es die Regierung oder die SPD? Ich würde zehn Autogramme von Clement gegen einen Riester tauschen.

Wie lange hält das denn eine Opposition durch: Wir warten auf Vorschläge und reagieren dann im Bundestag und im Bundesrat? Könnte man sich nicht mal zusammensetzen und Tacheles miteinander reden?

Darüber habe ich auch schon nachgedacht.

In Lahnstein haben sich 1992 zum Beispiel der damalige Gesundheitsminister Horst Seehofer und sein Gegenspieler von der SPD, Rudolf Dreßler, über die Grundlinien der Sozialreform geeinigt.

In Lahnstein lag aber ein Entwurf der Regierung vor. Ohne einen Entwurf wäre es dazu nie gekommen, das wäre eine Abiturprüfung gewesen, ohne dass vorher eine schriftliche Arbeit abgegeben worden wäre. Bei den Rentenkonsensgesprächen haben wir das doch erlebt, und deswegen haben wir sie auch verlassen. Da hatte Florian Gerster Ahnung…

… damals Sozialminister in Rheinland-Pfalz, jetzt Präsident der Bundesanstalt für Arbeit…

…und Katrin Göring-Eckardt von den Grünen hatte Durchblick. Alle anderen von Rot-Grün hatten entweder ideologische Barrieren oder null Ahnung, mit denen konnte man keine Rentenreform machen.

Mit den Grünen hätte man gekonnt?

Die haben auch einige gute Leute, ja.

Gut genug für eine Koalition?

Mit Metzger, Scheel, Göring-Eckardt könnte man Politik machen.

Und wäre Angela Merkel nicht die richtige Kanzlerin einer schwarz-grünen Koalition?

(lacht) Angela Merkel saß mit Guido Westerwelle im Cabrio. Da hätte Rezzo Schlauch gar nicht reingepasst.

Jetzt aber eine richtige Antwort!

Sagen wir so: Ich glaube, dass die Union heute gut beraten ist, 2006 auf eine CDU-geführte bürgerliche Mehrheit von CDU/CSU und FDP zu setzen.

Zurück zum Konsens zwischen den jetzt Regierenden und Opponierenden. Zwischen Lahnstein und heute liegt das Zuwanderungsgesetz. Da gab es keinen Konsens mit der Regierung, obwohl die Ihnen immer weiter entgegenkam.

Moment! Beim Zuwanderungsgesetz gab es erstens den Bruch des Koalitionsvertrags in Brandenburg, den Stolpe offen erklärte. Außerdem verweigerte die Regierung ein Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat, und schließlich haben sie noch die Verfassung bei der Verabschiedung gebrochen. Da ist gerade nicht austariert und verhandelt worden, wie das jetzt geschehen muss. Und jetzt wird es geschehen, weil wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen.

Das ist das eine, das andere sind die Steuern. Wir hören immer, das Steuergesetz lehnen wir ab. Das können Sie sich doch gar nicht leisten, weil sie die Mehreinnahmen daraus brauchen, Sie in Niedersachsen erst recht.

Doch, weil wir sicher sind, dass sich die Wirtschaft besser entwickelt, wenn es schnell beerdigt wird. Nehmen Sie die Dienstwagensteuer: 41 Prozent aller deutschen Firmenwagen sind von VW und Audi. Wir haben einen deutlichen Rückgang der Bestellungen. Das trifft die Arbeitsplätze in Emden, in Ostfriesland massiv, weil dort der Passat gebaut wird.

Das hat Gabriel auch immer gesagt.

Eben nicht. Das haben wir ihm erst klar gemacht. Die rot-grünen Koalitionsvereinbarungen hat er noch unter der Überschrift „Rot-grüner Koalitionsvertrag gut für Niedersachsen“ im Landtag vorgestellt. Und als in Berlin die Koalitionsverhandlungen liefen, war er in der Ägäis segeln, wofür er inzwischen viel mehr Zeit hätte als seinerzeit.

Aber zunächst werden Ihnen Einnahmen fehlen, Ihnen in Hannover sowieso. Sie haben versprochen, in Niedersachsen 2500 neue Lehrer einzustellen. Woher soll das Geld denn kommen?

Wir werden jetzt einen radikalen Sparkurs fahren und eine durchgreifende Verwaltungsreform machen. Dabei sind wir sicher, dass wir noch ein paar Leichen im Keller finden werden, wenn wir die Ministerien erst übernommen haben.

Und Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbeln?

Steuern zu senken, das ist im Moment nicht möglich, ohne dass wir gegen Maastricht verstoßen. Ein Moratorium – Steuern und Abgaben steigen vorerst nicht – das wäre schon etwas. Fürs Erste. Eine faire Steuerreform mit niedrigen Sätzen bei Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bleibt allerdings das notwendige Ziel.

Wir warten immer noch auf eine Antwort auf die Frage nach dem runden Tisch. Warum haben Sie denn Stoiber und Merkel nicht vorgeschlagen, sich einmal mit den Parteichefs der anderen Seite zusammenzusetzen?

Weil es naiv wäre.

Haben Sie Angst, naiv zu wirken, wenn Sie etwas für Deutschland tun?

Naivität braucht unser Land nicht.

Es gab 1998 eine Vereinbarung zwischen Rudolf Scharping und Wolfgang Schäuble zur Steuerreform. Erinnern Sie sich?

Sie meinen das, was dann Oskar Lafontaine mit seiner Blockadestrategie gegen die Regierung zerstört hat.

Auch Kohl wollte den Konsens nicht. Wollen Sie so etwas noch einmal?

Wir müssen uns vielleicht tatsächlich wieder auf Leute wie Abraham Lincoln und Friedrich den Großen besinnen: Viele Steuerquellen, die wenig Steuern zahlen, bringen dem Staat tausendmal mehr als immer weniger Steuerquellen, die immer höhere Sätze zu zahlen haben. Im Moment spüren die Leute doch bei jedem zusätzlich verdienten Euro brutal den Zugriff des Staates, wenn sie fleißig sind und etwa am Wochenende oder nachts arbeiten. Eine Steuerreform mit niedrigeren Steuersätzen, die aber von viel mehr Menschen gezahlt werden als heute. Das würde sehr dazu beitragen, dass die Menschen sich gerechter behandelt fühlten, Leistung würde sich wieder lohnen. Das wäre ein Segen für unser Land. Die Pleitenwelle und die Arbeitslosenzahlen müssen endlich reduziert werden.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum, Stephan-Andreas Casdorff und Andrea Dernbach.

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