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Politik: Kanzler der verängstigten Mitte

SCHRÖDERS WAHLKAMPF

Von Christoph von Marschall

Sechs Wochen vor der Wahl hat Gerhard Schröder es nun doch noch geschafft. Er zwingt Edmund Stoiber einen Lagerwahlkampf auf. Nur, wie sieht der denn aus? Der Amtsinhaber stürmt über den Flügel, der Kandidat verteidigt im Zentrum. Die Kampa hatte sich die Inszenierung gerade umgekehrt gedacht: der Kanzler in der neuen Mitte, der Bayer in der rechten Ecke. Doch Stoiber entzog sich dem Richtungsstreit. Kein böses Wort gegen die Gewerkschaften oder die EU, auch er beruhigt die kleinen Leute, sagt Familien, Rentnern und dem armen Osten seine Hilfe zu. Was für ein Gedrängel um den Platz im Zentrum!

Jetzt nicht mehr. Denn Gerhard Schröder ist bereits sechs Wochen vor der Wahl in die Opposition gewechselt – die Opposition gegen den Kanzler der Mitte. Irgendeiner muss die Bürger schließlich vor den gierigen Kapitalisten retten, die die Bilanzen fälschen und sich mit Millionenabfindungen davonmachen, statt Arbeitsplätze zu schaffen. Da kann man keinen Genossen der Bosse gebrauchen, der Brioni trägt. Irgendeiner muss die Menschen auch vor dem wild gewordenen Texaner schützen und verhindern, dass eine Unionsregierung ihm in uneingeschränkter Solidarität in einen Irak-Krieg folgt.

Für die Schröder-Wähler von 1998 mag es schwer zu verstehen sein, wie ihr Kanzler plötzlich Wahlkampf gegen sich selbst führt, Positionen preisgibt, die er doch erst mit kämpferischem Stolz besetzt hatte. Aber was soll er auch machen angesichts der Umfragen? Wenn nicht einmal seine Sympathiewerte und die des noch populäreren Außenministers gegen die schlechten Zahlen aus der Wirtschaft, von der Börse und vom Arbeitsmarkt ankommen. Wenn die neue Mitte nicht mehr zieht und es die alte Mitte zu Schwarz-Gelb drängt. Wenn der Herausforderer den Weg über den rechten Flügel konsequent verweigert, um nur ja nicht die fehlende Mobilisierung roter Stammwähler gegen den gefährlichen Schwarzen zu besorgen. Was bleibt dem SPD-Vorsitzenden da anderes übrig, als Mitte Mitte sein zu lassen und die Klassenkampflieder der guten alten Arbeiter-und-Lehrer-SPD anzustimmen?

Oder ist es am Ende gar nicht der Mut der Verzweiflung, sondern kluges Kalkül? Weil Schröder sich und seinem Politikstil mit dieser – wenn auch späten – Wendung treu bleibt. Wie sich die Zeiten ändern, so auch er. Deshalb war er zunächst ein bisschen neoliberal, ein Genosse der Bosse und machte sich daran, Deutschland zu modernisieren. Nach dem 11. September übte er sich in Verantwortungspathos und warb für eine erweiterte Rolle in der Welt, auch eine militärische. Mittlerweile haben viele Deutsche ihre Zuversicht verloren, dass seine Reformen sich für sie auszahlen.

Aus der neuen Mitte ist eine verängstigte Mitte geworden. Und Schröder will auch jetzt ihr Klassensprecher sein. Er beruhigt – keine weiteren Zumutungen, ich weiß, wo’s lang geht. Da sieht Schröder seinen Amtsbonus: Zu einer selbstbewussten Leistungsschau bietet die gefühlte Lage des Landes wenig Anlass, aber hat er nicht die höhere menschliche Kompetenz? Wem von den beiden würden sich die Bürger mit ihren persönlichen Problemen wohl eher anvertrauen? Der Edmund Stoiber, der wirkt selbst noch etwas unsicher und verängstigt vor der neuen, großen Aufgabe. Gerhard Schröder kann natürlicher auf die Menschen zugehen und hat so was Selbstverständliches im Auftreten.

Es ist eine abenteuerliche Volte. Schröder stellt sich hin und sagt: Ich schütze euch vor den Folgen meiner eigenen Politik. Wenn es aber stimmt, dass sein Linksruck einem Linksruck der neuen Mitte von 1998 entspricht, dann könnte das Finale doch noch spannend werden.

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