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Kanzleramtschef Thomas de Maizière: „Ich fürchte mich nicht“

Kanzleramtsminister Thomas de Maizière spricht mit dem Tagesspiegel über belastbare Achsen, Überraschungen und Ideologie.

Nach der Koalitionseinigung zum Mindestlohn hat Vizekanzler Franz Müntefering den Kompromiss scharf kritisiert. Hat Sie das überrascht?

Ja. Nach allem, was wir vorher besprochen hatten, konnte er so enttäuscht eigentlich nicht sein.

Hat Müntefering Parteipolitik vor Regierungspolitik gestellt?

Wir haben einen Kompromiss erzielt, der beiden Seiten nicht leichtgefallen ist. Er geht über das hinaus, was in der Koalitionsvereinbarung steht. Das weiß auch Herr Müntefering. Ich finde, alle sind gut beraten, jetzt gut und fair an der Umsetzung dieses Kompromisses zu arbeiten.

Sie haben die Frage nicht beantwortet!

Das stimmt. Aber ich bin der Chef des Kanzleramts. Ich sehe meine Rolle darin, die Enden dieser Regierungskoalition zusammenzuführen. Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, wichtige Vertreter der Koalition öffentlich zu kommentieren.

Darf man diese Zurückhaltung als Zeichen nehmen, dass es gerade sehr nötig ist, die Koalition zusammenzuhalten?

Man sollte solche Vorgänge nicht überbewerten, sondern sie in den Rahmen unserer gesamten Arbeit stellen. Wir haben eine gute Präsidentschaft der G 8 und der Europäischen Union hingelegt – und wenn ich „wir“ sage, meine ich nicht nur die Kanzlerin, sondern ausdrücklich alle Ressorts. Wir haben die Unternehmensteuerreform verabschiedet. Wir nehmen eine Pflegereform in Angriff, die die akuten Probleme der wachsenden Anzahl von Demenzkranken aufgreift, ohne dass die Lohnnebenkosten steigen. Die Bahnreform ist auf gutem Wege. Wir werden nächste Woche einen Haushalt verabschieden, der bis 2011 die Neuverschuldung auf null senkt. Das sind alles nicht Zeichen von Streit, sondern Zeichen von gemeinsamer Anstrengung. Wir sollten nicht das kleinschreiben, was die Regierung erreicht hat und erreichen will.

Wenn der Vizekanzler drinnen Kompromisse schließt und sie draußen kritisiert – was heißt das für die Koalition?

Das müssen Sie ihn fragen.

Der Vizekanzler sagt: In dieser Koalition ist dazu nicht mehr rauszuholen.

Das ist wahr. Aber erst mal muss der Kompromiss ja umgesetzt werden. Darüber hinaus hat jede Partei ihre Grundsatzpositionen. Dabei werden die Parteien bleiben. Aber das gibt es in anderen Politikfeldern auch.

Sie malen uns zu viel Pastelltöne!

Ich möchte trotz Ihrer hartnäckigen Fragen das Thema eher entdramatisieren als dramatisieren. Erstens, weil ich das für richtig halte, und zweitens, weil es meine Aufgabe ist.

Das verstehen wir schon. Nur sind es ja nicht die Medien, die das Thema dramatisieren. SPD-Chef Kurt Beck spricht davon, dass sich das Koalitionsklima abgekühlt habe. So was bleibt doch nicht folgenlos für die künftige Arbeit!

Diese Stimmungsberichte – die verändern sich ständig. In den ersten Monaten der großen Koalition haben alle vom Honeymoon geschrieben und dass es für die Demokratie ganz ungesund sei, wenn man so viel kuschelt. Dann hatten wir eine Phase, rund um die Gesundheitsreform und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, da war die Stimmung schlechter als jetzt. Dazwischen hatten wir sehr gute Phasen. Jetzt war es mal wieder kurzfristig etwas schwieriger. Das ist so im Leben.

Müntefering hat harte Kritik an der Kanzlerin geübt: Angela Merkel verhalte sich zu sehr als CDU-Politikerin, man habe Ideologie vor Problemlösung gestellt, von sozialer Kälte war die Rede …

Ich kann eine Arbeitsteilung nicht akzeptieren, in der die eine Seite für sich die reine Vernunft in Anspruch nimmt und der anderen Ideologie unterstellt. Jede Seite in dieser Debatte hat gewichtige Argumente für sich. Die einen sagen: Man muss ein ungerechtes Lohndumping auf dem Rücken der Arbeitnehmer verhindern. Und die anderen sagen: Der Staat soll sich raushalten aus Tarifverträgen, außerdem ist ein gesetzlicher Mindestlohn sinnlos, wenn er zu tief angesetzt wird, und vernichtet Arbeitsplätze, wenn er zu hoch ausfällt. Ich darf daran erinnern, dass in dieser Frage alle Institute und der gesamte wirtschaftliche Sachverstand auf der Seite der CDU/CSU stehen. Das finde ich mit „Ideologie“ nicht ganz treffend beschrieben.

Es wird auch argumentiert, es sei nicht marktwirtschaftlich gedacht, wenn man Lohndumping dulde und mit Staatsmitteln auch noch subventioniere.

Es gibt Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit ihr Bestes geben, aber von der Entlohnung nicht alleine leben können. Das ist nicht die Schuld dieser Menschen, sondern Folge einer Marktsituation, in der ihr Arbeitgeber nicht genug für das Produkt erlösen kann. Da greift seit Jahrzehnten die ergänzende Sozialhilfe ein. Bei Hartz IV gibt es die Aufstocker. Wir führen Kombilöhne für Jugendliche unter 25 und für „Arbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen“ ein. Das ist alles für einen begrenzten Personenkreis vertretbar. Wenn dies ein Massenphänomen würde, müsste man neu reden. An dem Punkt sind wir aber nicht.

Kritik an dem Kompromiss gibt es auch aus der CDU/CSU, dem Wirtschaftsflügel geht er viel zu weit.

Das hat ein Kompromiss so an sich.

Fürchten Sie nicht, dass bei der Umsetzung sich beide Seiten noch einmal so verhaken, dass die Sache wieder in einer Nachtsitzung hier im Kanzleramt landet?

Ich fürchte mich nicht.

Franz Müntefering war immer der in der SPD, der auch seiner eigenen Partei ganz besonders Koalitionsdisziplin gepredigt hat. Müntefering und Merkel, das erschien als die belastbare Achse der Koalition. Geht die jetzige Verstimmung nicht doch etwas tiefer ins Gefüge?

Nein. Die Achse ist voll belastbar.

Und das wird auch gelten, wenn wir ab 2008 in Wahlkämpfe marschieren?

Am Donnerstag vor der Bundestagswahl wird das sicher etwas anders sein. Aber ich halte es für sicher, dass die Bundeskanzlerin und der Vizekanzler immer ein respektvolles und von gegenseitiger Achtung geprägtes Verhältnis haben werden.

Müssen wir eigentlich damit rechnen, dass bald auch die Bundespolitik nur noch eine Art Dauerwahlkampf führt?

Es wäre ja völlig naiv, wenn ich leugnen würde, dass große Landtagswahlen wie 2008 in Hessen, Niedersachsen oder Bayern ihren Einfluss haben. Aber umgekehrt wären wir nicht klug beraten, die Bundespolitik deswegen einzustellen. Wähler haben ein feines Gespür dafür, ob man etwas nur unterlässt, weil demnächst Wahlen sind. Politikstillstand wegen der Wahlen würde vom Wähler ganz sicher nicht belohnt.

Vor einem Jahr haben wir Ihnen die Frage gestellt: Wann erleben wir den Neustart der großen Koalition?

Was habe ich damals geantwortet?

„Ein Neustart ist nicht notwendig.“

Genau.

Damals hatten Sie recht. Diesmal ist der Eindruck verbreitet, dass der Koalitionsvertrag abgehandelt ist und es an Projekten für die zweite Halbzeit mangelt.

Wenn jemand sagt, der Koalitionsvertrag sei in kuzer Zeit im Wesentlichen abgehandelt, kann ich darin zumindest keinen Tadel sehen, sondern eher ein Lob. Aber das bedeutet ja nicht, dass wir mit diesem Programm fertig wären. Seine Umsetzung bleibt eine gewaltige Aufgabe. Mindestlohn, Gesundheitsreform, Reform der Erbschaftsteuer, Bahnreform, Pflegereform – um nur einige Themen zu nennen –, das alles muss in Gesetze gegossen oder umgesetzt werden. Wir haben im Herbst die Überprüfung der Instrumente der Arbeitsmarktpolitik vor uns. Wir haben die Föderalismusreform II mit dem ehrgeizigen Zeitplan, vor und trotz der Bundestagswahl fertig zu werden. Wir haben den Energiegipfel, den Integrationsgipfel. Das sind doch alles große Vorhaben!

Aber das ist doch wirklich nur noch das Abarbeiten alter Pläne, oder?

Nein. Ich weiß im Übrigen nicht, ob wirklich die Menschen darauf warten, dass man immer ein ganz großes neues Projekt hat. Wir wollen ordentlich unsere Arbeit tun. Die Sehnsucht nach dem großen Wurf treibt, glaube ich, eher die politische Klasse als die Bevölkerung um.

Und warum will dann das Kabinett Ende August in sich gehen und zusammentragen, was man noch tun könnte?

Weil das Kabinett, wie übrigens jede Führungsgruppe oder Redaktion auch, dies von Zeit zu Zeit macht oder machen sollte. Im Ernst: Die Kabinettsklausur in Schloss Meseberg ist nicht Ausdruck eines Ungenügens. Wir wollen besprechen, in welchen Schritten wir was im kommenden Halbjahr machen. Das ist nicht die Neubegründung einer Koalition. Das ist normal.

Die Kanzlerin hat an das Projekt große Koalition die Erwartung geknüpft, dass es gelingen könnte, bei den Menschen wieder Vertrauen in Politik zu schaffen.

Wir haben immer gesagt, „das Land wieder in Ordnung bringen“.

Wenn Sie Halbzeitbilanz ziehen: Ist das halbwegs gelungen?

Ja. Wir haben natürlich ein bisschen Glück mit der wirtschaftlichen Entwicklung gehabt. Die ist nicht nur Ergebnis unserer Politik, aber auch. Der Weg aus dem Schuldenstaat ist dadurch erleichtert worden. Der wird mit dieser großen Koalition verbunden bleiben. Wir haben uns auch auf anderen Gebieten ehrlich gemacht. Wir nehmen bei der Steuerschätzung nicht mehr die optimistischste Variante. Wir kündigen keine Rentenerhöhung an, die wir dann doch nicht umsetzen können. Wir haben deshalb akzeptiert, dass es gar keine oder nur kleine Rentenerhöhungen gibt. Das ist alles nicht populär. Aber es ist ein Ausweis für Geradlinigkeit.

Vor dem Energiegipfel haben Konzernvertreter praktisch mit Blockade gedroht, wenn die Bundesregierung an ihren Klimazielen festhält. Sehen Sie überhaupt Chancen auf eine Einigung?

Durchaus. Dabei sind nicht so sehr die Klimaziele umstritten, sondern die Wege zu deren Erreichung. Hier bin ich zuversichtlich, dass wir uns auf gemeinsame Verfahren einigen können. Klar ist aber: Für politische Zielvorgaben und Gesetzespakete ist die Politik zuständig. Zu dieser Verantwortung stehen wir. Klar ist auch, dass wir die entscheidenden Akteure auf allen Ebenen einbinden wollen.

Sie waren, bevor Sie nach Berlin kamen, Innenminister in Sachsen. Jetzt wird ihnen vorgeworfen, Sie hätten keine rechtzeitige parlamentarische Kontrolle der mutmaßlichen Korruptionsaffäre ermöglicht.

Ich kenne diese Vorwürfe. Ich halte sie für falsch und würde gerne dazu öffentlich vortragen. Es handelt sich aber um geheime Vorgänge und geheime Sitzungen. Deshalb kann und darf ich das nicht.

Sie müssen damit rechnen, dass Ihnen das als Ausflucht ausgelegt wird.

Ich kann mich nicht richtig öffentlich verteidigen; da sieht man immer nicht gut aus. Das ärgert mich, aber ich kann’s nicht ändern. Wenn ein Untersuchungsausschuss die Geheimhaltung aufhebt, darf ich öffentlich reden. Sonst nicht.

Wie haben Sie sich eigentlich mit Berlin angefreundet? Sie sind ja immer noch Pendler?

Ich gestehe, dass ich von der Stadt Berlin so gut wie nichts mitbekomme. Ich arbeite hier von morgens bis abends und gehe dann in meine kleine Wohnung in Mitte. Mein Radius sind zwei Quadratkilometer um das Kanzleramt herum.

Aber Ihre Begeisterung für die bundespolitische Ebene scheint eher zu wachsen, oder?

Klar. Ich musste mich erst einarbeiten, aber das ist jetzt längst so weit.

Können Sie sich vorstellen, in den nächsten Bundestag zu gehen?

Das ist ja noch lange hin.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Tissy Bruns. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

HUGENOTTENSPROSS

Thomas de Maizière,geboren 1954, entstammt einer französischen Hugenottenfamilie. Sein Vater war Berufsoffizier, Cousin Lothar 1990 der letzte Ministerpräsident der DDR.

LERNEN IM OSTEN

Das politische Geschäft hat de Maizière bei Aufbau Ost gelernt. Ende der Neunziger war er Chef der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, später in Sachsen.

FÜR DEN AUSGLEICH

Als Kanzleramtschef

gehört es zu seinen Aufgaben, trotz unterschiedlicher Interessen der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD für einen reibungslosen Regierungsablauf zu

sorgen.

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