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Politik: Karlsruhe gegen Straßburg

Deutsche Richter sind nach Auffassung des Verfassungsgerichts nicht zwingend an EU-Urteile gebunden

Karlsruhe/Berlin - In der Sache ging es um das Umgangsrecht eines Vaters mit seinem Kind – in der Welt der Juristen aber um das Kompetenzgerangel zwischen dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht und dem Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte: Hinter dem Urteil der Karlsruher Richter unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1481/04, das am Dienstag veröffentlicht wurde, verbirgt sich auch die Frage, wer juristisch das letzte Wort hat – die Europäische Union oder der deutsche Nationalstaat. Ergebnis: Nach der Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts sind Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von deutschen Gerichten zu berücksichtigen, die Straßburger Vorgaben sind aber nicht zwingend.

Im Ausgangsfall, der jetzt zum Streit um das Rangverhältnis zwischen deutschem und europäischem Gericht führte, kämpft ein Vater um seinen nichtehelich geborenen Sohn. Das Kind wurde gleich nach der Geburt im August 1999 von der Mutter zur Adoption freigegeben. Der Vater klagte auf Übertragung des Sorge- und Umgangsrechts, verlor aber vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg in Sachsen-Anhalt. Auch seine Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen.

Der Vater zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der ihm im Februar 2004 bescheinigte, dass ihm als leiblicher Vater zumindest das Umgangsrecht nicht abgesprochen werden durfte. Bei seiner erneuten Klage wies das OLG Naumburg das Umgangsrecht aber wieder ab und sah sich an die Straßburger Entscheidung nicht gebunden. Auf die Verfassungsbeschwerde des Vaters hin hob der Zweite Senat das Naumburger Urteil jetzt auf und wies den Fall an einen anderen Senat des Gerichts zurück. Das OLG müsse das Straßburger Urteil berücksichtigen. Aber: Die Karlsruher Richter stellten gleichzeitig auch ausdrücklich fest, dass das OLG weiterhin nicht festgelegt ist. Es müsse sich bei der erneuten Prüfung des Umgangsrechts nur mit der Straßburger Entscheidung „lediglich auseinandersetzen“. In der Begründung des 35 Seiten starken Beschlusses heißt es, die Europäische Menschenrechtskonvention habe den Rang eines Bundesgesetzes, nicht aber von Verfassungsrecht.

Der Berliner Europarechts-Experte Ingolf Pernice kritisiert daher auch, dass in dem Karlsruher Urteil erstmals von einem Souveränitätsvorbehalt Deutschlands die Rede ist: „Das stört mich ein wenig“, sagte der Direktor des Walter-Hallstein-Instituts für Europäisches Verfassungsrecht dem Tagesspiegel. Im Grundsatz sei das Urteil aber zu begrüßen. Die Karlsruher Richter hätten eine „Entscheidung zu Gunsten einer effizienten Anwendung der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs“ gefällt.

Der CDU-Europaabgeordnete Klaus Lehne, der dem Rechtsausschuss im Europaparlament angehört, sagte dem Tagesspiegel, solange das Verfassungsgericht nicht den Vorrang des europäischen Rechtes anerkenne, könnten die anstehenden Probleme zwischen den beiden juristischen Ebenen nicht rechtlich, sondern nur politisch gelöst werden.

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