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Politik: Karlsruher Richter: Kopftuch-Streit ist ein schwieriger Fall Verfassungsgericht muss entscheiden / Muslimische Lehrerin aus Baden-Württemberg beruft sich auf Berufs- und Religionsfreiheit

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Dienstag über die Frage verhandelt, ob muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen mit Kopftuch unterrichten dürfen.

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Dienstag über die Frage verhandelt, ob muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen mit Kopftuch unterrichten dürfen. Die heute 30–jährige Fereshta Ludin sagte vor dem Gericht, sie erkenne die in Deutschland geltenden Freiheitsrechte und demokratischen Werte an. Diese Werteordnung gehöre ebenso zu ihrer Identität wie ihre Religion. Dennoch sei sie seit Jahren von Seiten der baden-württembergischen Schulbehörde Unterstellungen ausgesetzt. Man traue ihr nicht zu, als Lehrerin demokratische Werte zu vertreten „nur weil ich ein Kopftuch trage“, erklärte die Beschwerdeführerin. Der Zweite Senat wird das Urteil voraussichtlich Mitte Juli verkünden.

Ludin, die aus Afghanistan stammt, lebt seit 1987 in Deutschland und ist seit 1995 deutsche Staatsangehörige. Nach ihrem Referendariat wurde sie nicht in den Schuldienst übernommen, weil sie im Unterricht das Kopftuch tragen will. Nachdem sie mit ihrer Klage auch beim Bundesverwaltungsgericht verloren hatte, legte sie Verfassungsbeschwerde ein. Ihr Anwalt Hansjörg Melchinger hob hervor, dass es während ihrer Referendariatszeit nie zu Beanstandungen durch Lehrer oder Schüler gekommen sei. Nur wenn ein Lehrer indoktriniere, verletzte er seine Pflicht; das habe Ludin aber nie getan. Seine Mandantin trage das Kopftuch, um ihre Blöße zu bedecken. Müsste sie ihre Haare zeigen, würde sie sich schämen.

Melchinger brachte die baden-württembergische Schulbehörde in Begründungszwang: In Baden-Baden unterrichte schließlich eine Ordensschwester im Beamtenverhältnis, betonte der Anwalt. Der Prozessvertreter der Stuttgarter Landesregierung, Ferdinand Kirchhof, sagte, dabei handele es sich um einen „Abwicklungsfall“. Das Land habe eine kirchliche Grundschule übernommen, nur bis zur Pensionierung dürfe die Ordensschwester noch weiter unterrichten. Im Übrigen gehe es nicht um das Kopftuchtragen in der Öffentlichkeit, sondern allein um die Religionsausübung als Person des Staates. Der Staat und seine Amtspersonen müssten sich religiös neutral verhalten, sagte Kirchhof.

Der Vorsitzende des Zweiten Senats und Vizepräsident des Karlsruher Gerichts, Winfried Hassemer, sagte, die Richter müssten die Verfassung auf einen Fall anwenden, „den die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht voraussehen konnten.“ Es gehe um Grundsatzfragen, die mit der „Migration“ und der „Differenz der Kulturen“ verbunden seien. Ludin könne zwar die Religions- und Berufsfreiheit für sich beanspruchen. Schüler und Eltern aber das Recht, vom Staat nicht religiösen Einflüssen ausgesetzt zu werden. Der Fall sei komplexer, als er in der Öffentlichkeit erscheine.

Die Richter versuchten, sich ein Bild von den Motiven und Wirkungen des Kopftuchtragens zu machen. Dazu waren auch Sachverständige geladen worden. Eine Wissenschaftlerin aus Essen hatte in einer Studie in Deutschland aufgewachsene junge Musliminnen befragt, warum sie das Kopftuch tragen. Nach ihren in Karlsruhe vorgetragenen Erkenntnissen ist das Kopftuch bei jungen Musliminnen keineswegs Zeichen verweigerter Integration. Meist hatten sich die Befragten bewusst und nach eigener Auseinandersetzung mit dem Koran für das Kopftuch entschieden.

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