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Die Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche (Daimler AG), Harald Krüger (BMW) und Matthias Müller (Volkswagen) beim Autogipfel 2016.

© Andreas Gebert/dpa

Kartellabsprachen der Autoindustrie?: "Die Bundeskanzlerin wird die Raute machen, sonst nichts"

Der Spiegel berichtet über Absprachen großer Autohersteller in Zusammenhang mit dem Dieselskandal. Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer erklärt die Hintergründe.

Von Anna Sauerbrey

Herr Dudenhöffer, der Spiegel berichtet an diesem Wochenende unter dem Titel „Das Kartell“ über Absprachen zwischen den Autorherstellern Audi, BMW, Mercedes, Porsche und VW. Halten Sie ein solches Kartell für denkbar?

Ich halte es für denkbar, dass man Absprachen getroffen hat, zum Beispiel über eine einheitliche Größe der Tanks für AdBlue, den Harnstoff, den man zusetzen muss, um Dieselabgase so zu reinigen, damit die Stickoxyd-Grenzwerte der EU eingehalten werden.

Der Spiegel berichtet, dass in sogenannten „5er-Gruppen“, Arbeitskreisen zu verschiedenen technischen Fragen, Absprachen über sehr kleine Tanks für „AdBlue“ getroffen wurden. Ist aber nicht der technische Austausch auch ein Stück weit normal?

Dass man sich abspricht ist nicht per se illegal. Im VDA, dem Verband der deutschen Automobilindustrie, tauscht man sich regelmäßig in offiziellen Gesprächsrunden aus. Bei diesen Gesprächen bietet der VDA eine offizielle Bühne. Auch auf Fachtagungen und Messen informieren sich die Autobauer über ihre Technik. Wann der Austausch nicht mehr legal ist, wann technische Absprachen dazu dienen, den Wettbewerb zu beeinflussen oder Kartelle zu bilden, ist schwer zu fassen. Der Übergang ist oft fließend. In diesem Fall müssen nun die Kartellrechtler entscheiden. Bislang äußert sich das deutsche Kartellamt ja nicht. Wenn es aber so ist, wie in der Spiegel-Recherche beschrieben, halte ich es für denkbar, dass hier Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht vorliegen.

Könnten Sie in Beispiel für legale Absprachen nennen?

Die Autoindustrie entwickelt zum Beispiel ständig neue Normen. Das nennt man „Normierungskartelle“. Die sind auch nützlich – in vielen Bereichen helfen gemeinsame Standards. Aber dafür gibt es einen festen Prozess. Die Autohersteller beantragen eine neue Vorgabe beim Bundeswirtschaftsministerium, dass das dann an die EU weiterträgt. Harnstofftanks zu normieren, das ist allerdings seltsam. Das würde nicht durchgehen.

Warum sind kleine Tanks für „AdBlue“ bedenklich?

Ein Diesel-Pkw fährt im Jahr etwa 30.000 Kilometer, eher mehr. Um die Stickoxydgrenzwerte einzuhalten, bräuchte er im Jahr etwa 60 Liter Harnstoff. Wenn man den Kunden nicht zumuten will, den Harnstoff häufig nachzutanken, wäre zum Beispiel ein 30 Liter-Tank erforderlich. Bei kleinere Tanks, wie die, auf die sich die Autohersteller offenbar geeinigt haben, müssen die Hersteller anders nachhelfen, wenn sie nicht wollen, dass ihre Kunden häufig nachtanken müssen - zum Beispiel indem die Thermofenster so eingestellt werden, dass sie mit kleinen Tank zurechtkommen. Oder eben, indem man mit Software nachhilft, wie wir aus dem Dieselskandal wissen.

Was sind Thermofenster?

Bei niedrigen Temperaturen muss man den Katalysator vorheizen, um eine saubere Verbrennung und Abgasreinigung zu erhalten. Wenn ich also aus Kostengründen auf die Vorheizung verzichte oder noch kostengünstige Reinigungsverfahren, wie die Abgasrückführung nutze, kann ich das nur über bestimmten Temperaturen, wenn ich schädliche Ablagerungen im Motor vermeiden will. Also besteht der Trick darin, dem Kraftfahrbundesamt zu sagen, dass etwa unter 17 Grad Celsius die Abgasreinigung reduziert oder ganz ausgeschaltet wird. Damit brauche ich auch keinen großen Harnstofftank. Die Politiker in Berlin und Brüssel haben diese Thermofenster ganz explizit erlaubt. Der Bundesverkehrsminister tut nur so, als wären unsere Diesel-Pkw immer sauber, obwohl er weiß, dass dies ein bisschen „geschummelt“ ist.

Die neue Spiegel-Recherche zeigt wieder einmal, wie groß der technische Aufwand und die rechtlichen Risiken sind, die die Autohersteller eingehen, nur um den Diesel zu retten. Warum hängt die deutsche Autoindustrie eigentlich so am Diesel?

Der Diesel hat „auf dem Papier“ bessere CO2-Werte als Benziner, auch deshalb weil wir ein falsches Maß – eine Volumeneinheit wie Liter – und nicht eine Energieeinheit, wie etwa kWh, zugrunde legen, wenn wir den CO2-Ausstoß messen.  Wenn ein Autohersteller also mehr Benziner verkauft und weniger Diesel, hat er „auf dem Papier“ ein Problem bei den CO2-Werten. Deshalb hängt man am Diesel. Allerdings: Toyota zum Beispiel braucht keine Diesel. Toyota hat auf ein Hybrid-Modell aus Ottomotor- und Elektromotor gesetzt. Auch das zeigt, die  angebliche Klimanotwendigkeit des Pkw-Diesels ist ein Märchen.

Warum machen die deutschen Autobauer das nicht nach? Fehlt das Know-How?

Quatsch. Die könnten morgen früh damit anfangen! Hybridsysteme zu bauen ist nicht kompliziert. Die deutschen Autohersteller bräuchten nur die Produktionslinie umzubauen. Die Hybridteile sind bei den Zulieferern erhältlich. Man hat in den Diesel kräftig investiert und daher will man ihn retten und durch die staatliche Subventionierung von Diesel-Treibstoff funktionierte das Geschäftsmodell für die Autobauer.  Weltweit ist der Pkw-Diesel bedeutungslos. Es ist ein rein europäisches Phänomen, das derzeit scheitert.

Erwarten Sie, dass nach dieser neuerlichen Enthüllung die Politik vom Diesel abrückt und die deutsche Autoindustrie härter anfasst?

Nein. Seit 2010 wird die Bundesregierung immer wieder von Brüssel wegen Überschreitung der Stickoxydgrenzwerte verwarnt, 70 Prozent davon werden von Dieselmotoren verursacht, aber es geschieht nichts. Die Kanzlerin sagt immer wieder, der Diesel sei wichtig und die deutsche Regierung hat in Brüssel zahlreiche Ausnahmeregelungen für die Autobranche durchgesetzt, unter anderem die Thermofenster. Sie hat mit dem Kraftfahrtbundesamt eine Behörde zur Kontrolle eingesetzt, der der Sachverstand fehlt. Da kontrollieren Blinde! Demnächst trifft sich die Politik zum Autogipfel. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel wird die Raute machen, sagen, die Rede vom Ende des Verbrennungsmotors sei Panikmache und die Städte sähen doch schön aus. Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sieht das übrigens nicht anders!

Immerhin werden jetzt Wagen mit Software-Updates nachgerüstet

Ja, und kein Mensch sagt den Autofahren was die Software wirklich macht. Wenn die sogenannten Thermofenster verkleinert werden, also bei ein paar Grad weniger Außentemperatur die Abgasreinigung einsetzt, könnten sich Ablagerungen im Motor bilden. Die Software-Änderung könnte zu Mehrverbrauch führen, und, und, und... Man verabreicht Beruhigungspillen an die Bevölkerung, die man Software-Updates nennt. Das ist nicht fair. Völlig unverständlich ist, dass unsere Politiker dazu applaudieren ohne irgendetwas darüber zu wissen. Kurioserweise gilt das sogar für Grüne, wie etwa Winfried Kretschmann. Man will eine „geordnete“ Bundestagswahl.

Ferdinand Dudenhöffer ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen sowie Gründer und Direktor des CAR - Center Automotive Research. Von ihm erschien zuletzt "Wer kriegt die Kurve? Zeitenwende in der Autoindustrie" (Campus). Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.

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