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Kartelle: „Es ist Diebstahl“

Kartelle richten Milliardenschäden an. Trotzdem gilt die Tat nur als Ordnungswidrigkeit. Industrieökonom Ulrich Schwalbe im Gespräch über die mangelnde Strafverfolgung.

Wieso sind Kartelle bei uns nicht strafbar?

Qualitativ sehe ich keinen großen Unterschied, ob jemand einen Diebstahl begeht oder den Leuten mit überhöhten Preisen das Geld aus der Tasche zieht. Aber in Deutschland wird ein Kartell offenbar noch immer als nicht besonders verwerflich angesehen. Und auch in der Europäischen Union gibt es hierfür keine strafrechtlichen Bestimmungen. Darum werden Kartellvergehen auch auf EU-Ebene nur als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit Bußgeldern geahndet.

Man könnte ja auf nationaler Ebene eine Strafverfolgung verpflichtend machen, sobald die EU-Kommission einen Kartellverstoß feststellt.
In der Tat, in einigen Mitgliedsländern wie zum Beispiel in Irland und Großbritannien sind Kartellvergehen ja auch Straftaten – allerdings kommt es nur selten zu Verurteilungen. In Amerika dagegen werden die Verantwortlichen tatsächlich ins Gefängnis geschickt. Europäische Manager, die das erlebt haben, berichten auch, dass sie das ganz sicher nicht wieder riskieren würden. Insofern hat eine Gefängnisstrafe eine große Abschreckungswirkung. Darum bin ich mit vielen Ökonomen der Meinung, dass eine strafrechtliche Sanktionierung von Kartellverstößen sinnvoll ist. Das Problem ist doch: Würde man die Bußgelder so hoch ansetzen, dass sie tatsächlich abschreckend wirken, könnte das manche Unternehmen in den Konkurs treiben. Und das will ja auch niemand.

Die EU-Kommission und das Bundeskartellamt behaupten, die Bußgelder seien hoch genug, um abzuschrecken.
Zahlreiche empirische Untersuchungen zeigen, dass sie offenbar noch nicht hoch genug sind. Das sieht man auch daran, dass es so viele Wiederholungstäter gibt. Wenn Unternehmen ein Kartell bilden, dann überlegen die Beteiligten, wie weit können wir die Preise raufsetzen, und wie lange bleibt das Kartell stabil? Auf der anderen Seite wird das Risiko kalkuliert, erwischt zu werden. Das liegt nach bisherigen Erkenntnissen bei höchstens 30 Prozent. Das reduziert natürlich das erwartete Bußgeld. Und dann kommt hinzu: Das Bußgeld wird, wenn überhaupt, erst viele Jahre später fällig, muss also eigentlich noch abgezinst, diskontiert werden. Überspitzt ausgedrückt: Die Täter legen ihre Kartellgewinne an und zahlen das Bußgeld aus den Zinsen.

Wie hoch müsste das Bußgeld denn sein?
Je nach Preisaufschlag und Entdeckungsrisiko müsste es zwischen 75 und 450 Prozent des Jahresumsatzes der betroffenen Produkte liegen. Faktisch liegen sie aber meist deutlich niedriger. Das wären auch so große Summen, dass die Unternehmen das gar nicht bezahlen könnten. Schon heute können Bußgelder reduziert werden, wenn die Firmen belegen, dass sie sie nicht aufbringen können. Darum wären Haftstrafen bei schweren Kartellvergehen das bessere Instrument.

Das ist aber in Europa derzeit nicht durchsetzbar. Gibt es Alternativen?
Eine Möglichkeit wäre ein auf mehrere Jahre befristetes Verbot, die Verantwortlichen in leitender Stellung zu beschäftigen. Das wäre auch ein erhebliches persönliches Risiko, das vermutlich viele nicht eingehen würden.

Insider berichten, dass die Kartellanten nach der Aufdeckung oft an den Preisen festhalten, um den Geschädigten keine Munition für Klagen auf Schadensersatz zu liefern. Gibt es keine Nachverfolgung?
Da muss sicherlich noch was geschehen. Bisher gibt es da leider keine systematische Überprüfung. Diese Kritik muss man ernst nehmen. Das Kartellproblem sollte ohnehin viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Als damals beim Stromhandelskonzern Enron Bilanzbetrug und Insidergeschäfte aufgedeckt wurden, verfolgte das die ganze Welt. Aber Kartelle richten weit größere volkswirtschaftliche Schäden an, doch die Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz davon. Dabei müssten sie eigentlich viel intensiver bekämpft werden.

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