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Tausende demonstrierten am Sonntag in Barcelona gegen die Pläne der katalanischen Regionalregierung, die Unabhängigkeit der Region zu erklären.

© Emilio Morenatti

Kataloniens Streben nach Unabhängigkeit: Die spanische Demokratie im Würgegriff der Katalanen

Was der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont mit Boris Johnson und Donald Trump gemeinsam hat. Ein Gastkommentar.

Die Ereignisse in Katalonien sind die Konsequenz nationalistischer Selbstüberhöhung, mit der eine Splittergruppe eine ganze Region infiziert hat. Seit dem illegalen Referendum in Katalonien hat vor allem Regionalpräsident Carlos Puigdemont, völlig ungeläutert, mit markigen Sprüchen gegen die Madrider Zentralregierung und die EU nicht gegeizt. Mit unvorhersehbaren Konsequenzen für den Fortgang der Dinge.

Für ganz Spanien bedeutet das Vorgehen von Puigdemont und seiner Regierung im autonomen Katalonien ein Desaster. Das letzte Mal, dass in einer Region im Königreich Spanien Sezession versucht und die Unabhängigkeit zum ultimativen Ziel erklärte wurde, mündete dieses Verlangen in einen von den 1960-Jahren an dauernden Terror und eine Vielzahl von Morden: im Baskenland kämpfte die ETA erbittert gegen das Franco-Regime und später die demokratisch gewählten Regierungen in Madrid. Zahlreiche Gedenkstätten zeugen heute noch von dieser furchtbaren Zeit. Erst 2011 erklärte die ETA ihren Widerstand für beendet. Und erst im Frühjahr dieses Jahres war die paramilitärische Gruppe schließlich bereit, ihre Waffenverstecke offenzulegen. Der Friedensschluss mit der ETA wurde in einer Villa in der baskischen Hafenstadt San Sebastián unterzeichnet, die dem spanischen Diktator Francisco Franco als Sommerresidenz diente. Der Palacio Aiete beherbergt heute das „Haus des Friedens und der Menschenrechte“ als bleibende Mahnung an jene grausamen Jahre. Um die heutigen Stimmungen in Spanien zu verstehen, muss man an das Ende jener Franco-Diktatur zurückgehen. Auch der Vergleich zwischen dem Baskenland und Katalonien ist mehr als hilfreich, um den aktuellen Konflikt in Katalonien einzuordnen.

Puigdemont bedient sich der "We want our country back"-Rhetorik der Populisten

Beide, das Baskenland und Katalonien bekamen nach dem Ende der Diktatur Rechte und Möglichkeiten, ihre eigenen Bräuche und ihre Sprache zu pflegen, im Baskenland war während der Diktatur die heimische Sprache nur in der Kirche in der Verwendung im Gottesdienst gestattet. In einer Diktatur, die die regionalen Eigenarten durch Repressalien unterdrückt, ist das Aufbegehren Bürger- und Christenpflicht. Im Spanien der Gegenwart hingegen hat das keinen Platz und keinen Sinn. Der konstitutionelle Rahmen hat seit 1980 erfolgreich versucht, all diese Verschiedenheiten auszuloten. Wenn die regionale Führung unter Herrn Puigdemont nun versucht, einer internationalen Öffentlichkeit weiszumachen, dass die Katalanen wie unter Franco unterdrückt werden, dann bedient er sich einer heuchlerischen Rhetorik, die der eines „we want our country back“ der Brexit-Hasadeure um Nigel Farage und Boris Johnson oder dem „America First“ eines Donald Trump nicht unverwandt ist. Im Kern sind die Bewegungen, die zum Brexit und der Wahl von Donald Trump geführt haben, gespickt mit Falschaussagen, Verdrehungen und handfesten Lügen.

Die Folgen sind ebenfalls vergleichbar: Die Situation ist maximal polarisiert und aufgeheizt. Genau das ist es, was Populisten brauchen. Solange die Parteien noch miteinander reden, bestünde ja Aussicht auf Einigung. Im Fall Kataloniens geht es im Kern um das, was in Deutschland der Länderfinanzausgleich ist, der ja auch bisweilen die Gemüter erhitzt. Aber eine Einigung wollen die Populisten nicht. Im vergangenen Sommer wurde daher auch von Katalonien aus Richtung Baskenland geätzt: Die autonome Region, die ihren Frieden mit dem Königreich gemacht hatte, wurde als Verräterin verunglimpft. Der Hass auf die Basken hat einen Grund: Der einzige Unterschied zwischen den beiden ist, dass die Basken neben der Autonomie über Sprache, Schule, Polizei, Kommunales und Tourismus auch die Oberhoheit über die eigenen Finanzen haben – was Katalonien verwehrt bleibt.

Der Ruf auf Abspaltung Kataloniens hat in der Gegenwart keinen Platz

Spanien ist ein Flickenteppich regionaler Identitäten. Zwischen dem Baskenland und Katalonien liegt zum Beispiel Navarra, das auch einmal ein Königreich war. Ein Teil der Bevölkerung spricht Baskisch, würde sich aber nicht als baskisch definieren. Dieses Königreich nämlich war das einzige, dass die Reformation bei sich eingeführt hatte und eine Bibelübersetzung in der Landessprache in Auftrag gab, also eine andere Religionspolitik vollzog als der Rest Spaniens. Grund genug, sich bis heute von den Nachbarn als verschieden zu betrachten.

In Spanien hört Altes nie ganz auf, wenn Neues beginnt: Als die Diktatur zu Ende ging, zierten sich dessen Anverwandte nicht, das historische Mobiliar aus dem Palacio Aiete in San Sebastián, der zuvor Sommerresidenz der Königin Maria Cristina war, mitzunehmen, um ein bisschen Vergangenes in die neue Zeit zu retten. So hat auch der Ruf nach Abspaltung noch mächtigen Widerhall, der in der Franco-Zeit wohlbegründet war, in der Gegenwart aber keinen Platz mehr hat.

Alexander Görlach ist In Defense of Democracy Affiliate Professor der F.D. Roosevelt-Stiftung am College der Harvard Universität und Fellow am Center für Geisteswissenschaften der Universität Cambridge, UK. Im Sommer 2017 war er Gastwissenschaftler an der Universität des Baskenlandes.

Alexander Görlach

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