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Politik: Kaukasischer Teufelskreis

Von Lorenz Maroldt

Oberstes Ziel sei es, das Leben und die Gesundheit der Opfer zu bewahren, hatte der russische Präsident Putin noch am Donnerstag gesagt. Das ist misslungen, wieder einmal – auch deshalb, weil Putin ein zweites oberstes Ziel hat: kompromisslos Stärke zeigen gegenüber kaukasischen Rebellen. Beide Ziele lassen sich offenbar nicht vereinen.

Wie bereits vor zwei Jahren, als Sicherheitskräfte ein Moskauer MusicalTheater stürmten, kamen auch jetzt, beim Geiseldrama um die Schule in Beslan, weit mehr als hundert Geiseln kaukasischer Terroristen ums Leben, wurden hunderte verletzt. Es wäre zynisch gegenüber den Opfern, einen bestimmten Unterschied ganz besonders herauszustreichen: In Moskau starben die meisten Geiseln am Gas, das die Russen ins Theater pumpten; in Beslan starben sie überwiegend durch Kugeln und Bomben der Attentäter. In beiden Fällen haben die Einsatzkräfte fatale Fehler begangen, und wie schon in Moskau folgte der Stürmung das Chaos, fehlten Krankenwagen für Verletzte. Schuld am Tod und Leid der Unschuldigen aber sind die Terroristen.

Wer über Ursache und Wirkung des Dramas von Beslan spricht, wer den Anfang der Kette sucht, den führt der Weg in den Kaukasus, zu Krieg, Terror und Unterdrückung, zu den Menschenrechtsverletzungen, die Russen dort begehen. Der Weg führt aber noch weiter: zum Beispiel in die alte Sowjetunion. Putin ist, im doppelten Sinn, Erbe deren brutaler Nationalitätenpolitik. Doch damit nicht genug: Von Beslan aus führen Spuren auch nach Amerika – und nach Berlin.

Der Terror gegen Russland ist nur auf den ersten Blick allein die Folge eines Regionalkonflikts. So stieß die amerikanische Untersuchungskommission bei der offiziellen Aufklärung der Anschläge vom 11. September 2001 auch im Zusammenhang mit Al Qaida auf den Kaukasus. Demnach hatten sich die Mitglieder der Hamburger Zelle um Mohammed Atta 1999 entschieden, in Tschetschenien gegen die Russen zu kämpfen. Ein Zufallstreffen in einem Zug in Deutschland führte dazu, dass sie ihren Plan änderten, nach Afghanistan reisten und später Amerika attackierten. Unter den Attentätern von Beslan aber waren auch Araber. Der islamistische Terror ist international, der Kampf gegen den Terror ist es auch. Putin lässt die USA in Guantanamo und Abu Ghraib gewähren, Bush schweigt zu Tschetschenien. Und Schröder?

Die Bundesregierung wirkt, um es sanft zu sagen, sehr zurückhaltend gegenüber Russlands skrupelloser Kaukasuspolitik. Sie fällt damit hinter die eigenen politischen und moralischen Ansprüche zurück. Außenminister Fischer wiederholte nach dem Sturm auf die Schule in Beslan die Parole: den Terror bekämpfen, eine politische Lösung vorantreiben. Mag sein, dass dazu im Verborgenen etwas geschieht, wie die Regierung behauptet. Tatsache ist jedoch, dass der Bundeskanzler „keine empfindliche Störung“ der so offensichtlich zugunsten von Putins Wunschkandidaten manipulierten Wahl in Tschetschenien erkennen konnte oder wollte. Diese Art von Sehschwäche ist nicht demokratisch vornehm. Sie treibt auch keine diplomatische Lösung voran, sondern: Sie hintertreibt sie.

Russland hat sich viele Feinde gemacht, nicht nur die Tschetschenen, auch Inguschen, Osseten. Der ganze Kaukasus ist ein Pulverfass. Wenn Putin die Lunte von alleine nicht austreten will, müssen ihn andere drängen. Das ist dann zwar noch längst nicht das Ende des Terrors. Aber es wäre ein Anfang: Der Kampf gegen den Terrorismus würde Boden gewinnen.

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