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Tschingvali

© AFP

Kaukasus-Konflikt: Verträge, Klageschriften – und hilflose Flüchtlinge

Der Riese und der Zwerg: Wie geht es weiter zwischen Russland und Georgien? Das Morden im Kaukasus geht offenbar weiter. Und die Versorgung der Menschen im Kriegsgebiet ist vielerorts unmöglich.

Was haben Moskau und Tiflis miteinander vereinbart?

Die Tinte der Unterschriften von Russlands Präsidente Dmitri Medwedew und EU-Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy, die am Dienstag nach fünfstündigen Verhandlungen in Moskau die Kämpfe im Kaukasus stoppten, war noch nicht trocken, als Georgien erste Änderungen durchsetzte. Im ursprünglichen Text war von internationalen Verhandlungen zum künftigen Status von Südossetien wie von Abchasien die Rede, das sich 1994 ebenfalls aus dem georgischen Staatsverband verabschiedet hatte. Garantiemacht für eine einvernehmliche Lösung sollte die EU sein. Im neuen Text ist nur noch von internationalen Verhandlungen über Stabilität im Kaukasus die Rede. Saakaschwili trieb bei dem Änderungsvorschlag offenbar die Furcht um, beide Regionen könnten bei Referenden erneut gegen einen gemeinsamen Staat mit Georgien votieren. Bei früheren Abstimmungen waren weit über 80 Prozent für Unabhängigkeit gewesen. Russland sieht das offenbar genauso und stimmte Georgiens Änderungswünschen ohne Widerspruch zu. Zumal Duma und Senat seit Jahren ein Gesuch Südossetiens für den Beitritt zur Russischen Föderation und Wiedervereinigung mit der Teilrepublik Nordossetien vorliegt. Doch Russlands Verfassung sieht nur den Beitritt ganzer Staaten und nicht den einzelner Regionen vor. Vor einem Anschluss müssten Südossetien wie Abchasien daher formell von Georgien, dessen territoriale Integrität Medwedew Sarkozy gegenüber nochmals ausdrücklich bestätigte, in die Unabhängigkeit entlassen und diese von neutralen Staaten anerkannt werden.

Einschlägige Zwänge kann Moskau nur mit einem völkerrechtlich äußerst riskantem Manöver außer Kraft setzen: Mit Berufung auf die sowjetische Verfassung, gegen deren Prinzipien Georgien bei seiner Souveränitätserklärung 1990 verstieß. Das alte Grundgesetz ließ formell zwar der Austritt von Sowjetrepubliken zu, schrieb dafür jedoch in deren Autonomien Plebiszite vor. Südossetien und Abchasien, das der UdSSR 1921 sogar als Republik und nicht als Autonomie beitrat, wurden damals jedoch nicht gefragt.

Haben die Kämpfe nun ein Ende?

Teile der georgischen Regierungstruppen wie der Separatisten-Milizen sind offenbar abgeschnitten und über den Waffenstillstand nicht informiert. Milizen jedenfalls brannten Mittwoch früh die acht vor ethnischen Georgiern bewohnten Dörfer südlich von Zchinwali nieder. Lokale Zusammenstöße zwischen Separatisten und Regierungstruppen aus Tiflis wurden auch aus der Kodori-Schlucht gemeldet, wo die Grenze zwischen Georgien und Abchasien verläuft. Auch bei der georgischen Stadt Gori, die auf halbem Wege zwischen Zchinwali und Tiflis liegt, sei es zu neuem Gefechten zwischen russischen und georgischen Einheiten gekommen, teilte der Sicherheitsrat in Tiflis gestern Nachmittag mit.

Politisch haben sich die Fronten ebenfalls weiter verhärtet. Tiflis hat den Internationalen Gerichtshof in Den Haag bereits angerufen, Moskau werkelt noch an einer Klage. Beide werfen einander Kriegsverbrechen vor.

Wie ist die Situation der Flüchtlinge?

Nach Darstellung von Tiflis wurden während der Unabhängigkeitskriege Anfang der Neunziger aus Südossetien und Abchasien bis zu 300 000 Georgier vertrieben. Tiflis macht dafür Russland als Schutzmacht der Separatisten verantwortlich. Der jüngste Konflikt in Südossetien hat nach Erkenntnissen der UN weitere 100 000 zu Kriegsflüchtlingen gemacht. Gezählt wurden dabei sowohl die Südosseten, die vor dem Ansturm der georgischen Truppen nach Russland flüchteten, als auch die Georgier, die aus den an das Krisengebiet grenzenden Gebieten in das Landesinnere flohen.

Zu vielen Gebieten haben internationale Helfer noch keinen Zugang. Nach Südossetien können sie derzeit überhaupt nicht gelangen. Das gleiche gilt für Nordossetien, das zu Russland gehört, denn die Regierung hat sämtliche Hilfsangebote ausgeschlagen. Lediglich mit Georgien gab es erste Treffen, um Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Dementsprechend schlecht sieht die Lage der Flüchtlinge aus. Viele Menschen aus Südossetien sind Hals über Kopf aus ihren Häusern geflohen, sagt Stefan Telöken, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks.

Wie sehen jetzt die Chancen für einen Nato-Beitritt Georgiens aus?

Nach seiner Militär-Offensive kann sich das Land keine Hoffnungen mehr machen, bald in die Nato aufgenommen zu werden. Nach Meinung von Kaukasus-Experte Hans-Henning Schröder kann man erst über einen Beitritt nachdenken, wenn Georgien die Spannungen mit seinen Minderheiten in den Griff bekommt. Russland-Experte Alexander Rahr sieht noch ein anderes Problem: „Hätten westliche Bündnispartner Georgien im Konflikt mit Russland beispringen müssen, hätte uns das an den Rand eines dritten Weltkriegs führen können.“

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