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Politik: Kein Anschluss unter dieser Nummer

Bundestag lehnt die längere Telefondatenspeicherung schon ab – auch in der EU hat Schily wenig Chancen

Berlin/Brüssel - Die von Innenminister Otto Schily (SPD) zur Terrorabwehr auf EU-Ebene vorangetriebene längere Speicherung sämtlicher Telefondaten aller Bundesbürger verstößt möglicherweise gegen EU-Recht. Der vorliegende Entwurf eines entsprechenden EU-Rahmenbeschlusses der europäischen Innen- und Justizminister wird nach Informationen des Tagesspiegels in einer vertraulichen juristischen Stellungnahme jetzt als nicht vereinbar mit der europäischen Gesetzgebung beurteilt.

Die so genannte Datenvorratsspeicherung für mindestens ein Jahr war vom Bundestag im Februar bereits abgelehnt worden. Mit der juristischen Expertise gerät nun auch die Initiative der europäischen Innen- und Justizminister, dieses Vorhaben auf Europa-Ebene zu regeln, in die Defensive. Die Speicherung der Verbindungsdaten – nicht der Telefonate selbst –, der in Deutschland die Koalitionsfraktionen wie Datenschutzbeauftragte und Industrieverbände widersprochen hatten, könnte deshalb insgesamt scheitern.

Die europäischen Minister stehen jetzt vor einem Dilemma: Die Stellungnahme, die vom juristischen Dienst des Ministerrats selbst stammt, besagt in der Konsequenz, dass die anvisierte Regelung nicht über einen Rahmenbeschluss der Minister herbeigeführt werden kann. Für einen Rahmenbeschluss wäre keine Zustimmung des Europaparlaments nötig. Stattdessen, folgt aus der Stellungnahme, müsste eine Richtlinie (europäisches Gesetz) beschlossen werden – unter Mitentscheidung des Parlaments.

Setzen sich die Minister jetzt über die juristischen Bedenken hinweg, riskieren sie eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Eine Klage erwägen bereits Mitglieder der EU-Kommission und des EU-Parlaments. Beteiligen die Minister indes das Parlament, ist ein Scheitern fast vorhersehbar. „Ich gehe davon aus, dass das Parlament der Vorratsspeicherung wie jetzt vorgesehen nicht zustimmt“, sagte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro, der vom Europaparlament bestellte Experte, dem Tagesspiegel.

In einem Bericht, den Alvaro für das Parlament erstellt hat, weist er die vorgesehene Vorratsspeicherung scharf zurück. Diese sei unverhältnismäßig, stelle eine unzumutbare Härte für die Betroffenen dar, und es sei sehr fraglich, wie sie mit dem Prinzip der Unschuldsvermutung zu vereinbaren sei. „Bei einem Grundrechtseingriff derartiger Intensität“, sagte Alvaro, „wollen wir erst einmal einen Bedarf dargelegt bekommen.“ Alvaro ist sicher, dass sein Votum von allen Fraktionen mitgetragen wird. Eine Abstimmung über den Bericht steht im Juni im Europaparlament an. Allerdings will die EU-Kommission nun offenbar bis zum Sommer einen eigenen Richtlinienentwurf vorlegen, der die Ratsinitiative ersetzen würde.

Kommende Woche beraten in Berlin die SPD- und Grünen-Experten über die Frage. Bei der SPD gibt es laut Innenpolitikerin Cornelie Sonntag-Wolgast „ein geteiltes Meinungsbild“. Bei den Grünen herrscht Ablehnung vor. Deren Innenexpertin Silke Stokar fordert die Mitentscheidung des Europaparlaments. Zudem lehnt sie eine längere Speicherung sämtlicher Daten ab. Denkbar sei vielmehr die längere Speicherung in konkreten Fällen für die Terrorabwehr. Im Justizministerium zeigt man sich abwartend. Zum jetzigen Zeitpunkt seien die Folgen der Entwicklung nicht abzusehen. Beim Innenministerium hieß es: „Der bisher eingeschlagene Weg ist der richtige.“

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