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Politik: Kein Grund zum Grübeln

Die Union glaubt, eine schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung sei ihr nun sicher – aber das ist ein Irrtum. Die Entscheidung fällt in Bayern und Bremen

Edmund Stoiber wünscht sich eine Frau im höchsten Staatsamt. Andere Unionspolitiker haben eher allgemeine Kriterien genannt. Eine oder einer der Ihren sollte die Nachfolge von Johannes Rau antreten. Seit Sonntag scheinen die Weichen auch in diese Richtung gestellt. Schwarz-Gelb hat nach den gewonnenen Wahlen in Hessen und Niedersachsen eine knappe Mehrheit in der Bundesversammlung. Angeblich können die ausstehenden Wahlen in Bremen und Bayern daran nichts ändern. Angela Merkel, die Frau, an die Stoiber vielleicht gedacht hat, ist vorsichtiger. Sie hält die Debatte für verfrüht – und sie hat Recht, aus mehreren Gründen.

Einer davon heißt Johannes Rau. Der Bundespräsident hat sich nie geäußert, ob er noch einmal antreten will. Aus seiner Umgebung hört man sowohl, dass der Gedanke an eine zweite Amtszeit ihm nicht fremd sei, als auch das Gegenteil. Rau wäre am Ende einer zweiten Wahlperiode 78 Jahre alt. Das Amt des Bundespräsidenten ist gerade wegen der vielen repräsentativen Aufgaben sehr anstrengend. Und wenn schon nicht das Alter Rau zum Nachdenken über weitere fünf Jahre im Schloss Bellevue bringen sollte, dann vielleicht seine Frau und die Kinder. Über die Mehrheiten in der Bundesversammlung muss er jedenfalls zurzeit noch nicht grübeln. Man kann zwar davon ausgehen, dass er kaum in der Gewissheit antreten würde, nicht gewählt zu werden. Aber auf welche Seite sich die Gewichte in der Bundesversammlung neigen, kann man abschließend erst nach den Landtagswahlen in Bremen und Bayern sagen.

Die Bundesversammlung, deren einzige Aufgabe die Wahl des Staatsoberhauptes ist, setzt sich aus den Abgeordneten des Bundestages und einer gleichen Zahl von Vertretern der Bundesländern zusammen. Das sind 1206 Frauen und Männer. Die absolute Mehrheit davon sind 604. Union und FDP verfügen über 610 Stimmen, also sechs über der Mehrheit. Die parteipolitische Zusammensetzung der Entsandten richtet sich nicht nach der jeweiligen Landesregierung, sondern nach den Mehrheitsverhältnissen im Landesparlament.

Wie viele Delegierte die Länder stellen, ist festgelegt. Bremen (dort wird am 25. Mai gewählt) entsendet fünf Wahlfrauen und Männer, das viel größere Bayern (Landtagswahl am 21. September) hingegen 88. Drei Bremer Vertreter schickt die SPD, zwei die CDU. Leichte Verschiebungen sind denkbar. Noch wahrscheinlicher sind sie in Bayern. Von dort kommen jetzt 53 Stimmen für die CSU, 29 für die SPD und sechs für die Grünen. Bei der letzten bayerischen Landtagswahl 1998 hatte die SPD schwache 28,7 Prozent. Bereits bei leichten Verschiebungen hin zur SPD oder den Grünen – schon vier der 88 Stimmen reichen ja – würde die Mehrheit in der Bundesversammlung wieder wechseln. Fest steht somit im Moment nur eines: Ob Johannes Rau, so er denn überhaupt noch einmal antreten wollte, eine Chance hat oder nicht, wissen wir am Abend des 21.September. Vorher ist jede Debatte überflüssig.

Gerd Appenzeller

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