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Politik: Kein guter Zug

Die Autobiografie des Bürgerrechtlers Kasparow ist von der Moskauer Buchmesse verbannt

Über die Internationale Buchmesse, die am Mittwoch in Moskau ihre Pforten öffnete, berichten hiesige Medien nur im Zusammenhang mit einem Werk, das bereits in den Vorankündigungen als Höhepunkt genannt war, nun aber nicht erscheinen darf. Der Verlag will von politischen Gründen nichts wissen, der Autor behauptet das genaue Gegenteil: Ex-Schachweltmeister Garry Kasparow. Er vermutet eine Retourkutsche für die Anti-Putin-Märsche, die seine oppositionelle Vereinigte zivile Front im Frühjahr in mehreren russischen Großstädten organisiert hatte. Weitere „Märsche der Andersdenkenden“ sind für Oktober geplant, wenn der Wahlkampf beginnt. Im Dezember wählt Russland ein neues Parlament, im März einen neuen Präsidenten. Der Verlag selbst, sagte Kasparow dem russischen Dienst von US-Auslandssender Radio Liberty, habe anfangs darauf gedrängt, sein Werk auf der Moskauer Buchmesse vorzustellen, die Geschäftsführung sei vom kommerziellen Erfolg des Projekts überzeugt gewesen. Es müsse daher „sehr gewichtige Gründe“ gegeben haben, „das Vorhaben einfach platzen zu lassen“. Denn im heutigen Russland sei nur politischer Druck stärker als das Streben nach Gewinnmaximierung.

Sogar loyale Medien sprechen von einem Sturm im Wodkaglas und fürchten neuen Schaden für das internationale Russlandbild. Zu Recht: Die Kasparow- Truppe ist nur eine Bewegung – keine Partei – und darf daher bei Wahlen keine Kandidaten nominieren. Auch das verhinderte Buch „Schach als Lebensmodell“ ist politisch unbedenklich. Kasparow hat es als eine Art Autobiografie angelegt und versucht, mit konkreten Beispielen aus der Geschichte und seinem eigenen Leben zu beweisen, dass Entscheidungen in Wirtschaft und Politik, aber auch im Alltagsleben in etwa der gleichen Logik folgen wie beim Schachspiel.

Das Buch wird momentan in mehrere Sprachen, darunter auch ins Deutsche, übersetzt und soll zum Jahresende in Westeuropa auf den Markt kommen. Die Chancen, bis dahin auch in Russland einen neuen Verleger zu finden, stehen fünfzig zu fünfzig. Er würde sich nicht wundern, sagte Kasparow, wenn die Tugendwächter der von Putin reanimierten Kulturbehörde unseligen sowjetischen Angedenkens sein Buch wegen Extremismusverdacht auf den Index setzen. Denn ein derartiges Verfahren gegen die sozialliberale Jabloko-Partei und den prominenten Politologen Andrei Piontkowski, der zum Vorstand gehört, läuft bereits.

Jabloko hatte Piontkowskis „Ungeliebtes Land“ – eine ätzende Kritik an Putins Sonderweg zur Demokratie – auf die Homepage der Partei gestellt und dafür eine Abmahnung kassiert. Rechtsgrundlage war ein linguistisches Gutachten des Inlandsgeheimdienstes FSB ohne konkrete Beweise für den Extremismusverdacht. Jabloko focht die Verwarnung daher gerichtlich an und gewann in erster Instanz. Die Kläger, die Staatsanwaltschaft im südrussischen Krasnodar, gingen jedoch in Berufung.

Wird die Abmahnung rechtskräftig, darf Jabloko nicht an den Dumawahlen teilnehmen. Zwei weitere gelbe Karten reichen für ein Parteiverbot.

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