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Politik: Kein Paradies auf Erden

Von Richard Schröder

Wie kann Gott das zulassen?“, wird auch angesichts dieser Naturkatastrophe wieder gefragt. Kann er das nicht verhindern, dann ist er nicht allmächtig, will er nicht, dann ist er nicht gütig. Also ist der biblische Gottesglaube widerlegt, wir halten uns an die Naturwissenschaft.

Ich auch. Das Seebeben entstand, weil sich die Spannung zwischen zwei Kontinentalplatten entlud. Solche Erkenntnisse sind nützlich – für die Nächstenliebe. Je mehr wir über Seebeben und Tsunamis wissen, umso besser können wir uns vor ihnen schützen. Aber sie beantworten keine Sinnfragen. Denn wenn jemand sagte: Reg dich nicht auf, das ist alles ganz natürlich, dem würde ich entgegnen: Ich will mich aber aufregen. Ich lasse mir dieses millionenfache Leid nicht zur natürlichen Tatsache trivialisieren. Ich akzeptiere auch nicht die solcherart wütende Natur als Maß aller Dinge.

Es gibt eine religiöse Erklärung, die ich aus denselben Gründen nicht akzeptieren kann, die Karma- oder Reinkarnationsthese. Durch Schuld in ihrem vorigen Leben hätten sich die Opfer ihr Schicksal selbst zuzuschreiben. Ihr Leid werde ihnen für ihr nächstes Leben nützen. Das ist eine perfekte Sinngebung des Leids und eine wirksame Strategie zur Bewahrung der Seelenruhe, aber um einen hohen Preis. Denn diese Entskandalisierung des Leides ist Opium fürs Gewissen. Sie narkotisiert.

Individuelles Leid durch individuelle Schuld zu erklären, ist ungemein verbreitet, zumal es genügend Fälle für selbstverschuldetes Leid gibt. Aber schon im Hiobbuch der Bibel wird diese Gleichung angefochten. Hiob hat alles verloren und ist an Lepra erkrankt. Seine Frau rät ihm: Fluche Gott und stirb. Er weigert sich. Seine Freunde wollen ihn davon überzeugen, dass er gesündigt haben muss, wenn ihn so viel Unglück traf. Hiob lehnt diese Sinngebung seines Leides ab und klagt Gott an. Erzählt wird in diesem Lehrgedicht, dass Gott selbst auftritt. Er verteidigt Hiob gegen seine erklärungswütigen Freunde. Er tadelt sie ihrer religiösen Sinngebungsstrategie wegen, fragt aber Hiob, mit welchem Recht er mit ihm, Gott, rechtet.

Der barmherzige Samariter, von dem Jesus erzählt, hat nicht gefragt: Wie kann Gott das zulassen? Er hat auch nicht die Schuldfrage traktiert, sondern den gerettet, der unter die Räuber gefallen war. Das sei der rechte Gottesdienst. Diese Katastrophe kann uns außerdem an einiges erinnern. „Die Natur“ ist nicht die heile Welt. Die tropischen Küsten sind nur scheinbar das Paradies auf Erden – für die Einheimischen ohnehin nicht. Die touristische Glücksgier hat leichtsinnig gemacht. Auch in den Tropen geht der Riss durch die Schöpfung, den wir durch Sinngebungsstrategien nur verkleistern. Es gibt in unserer Welt das Sinnlose, das nicht sein soll. Der Glaube ist der Halt angesichts des Sinnlosen. Dafür steht das Kreuz, das dem Roten Kreuz den Namen gegeben hat.

Der Autor ist Professor für Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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