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Politik: Kein Vorbild, aber Prügel

Türkische Gemeinde: Gewalt von Deutschen und Migranten ist ähnlich – wenn man Gleiches vergleicht

Berlin - Die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) erwägt ein eigenes Spitzentreffen der Migrantenorganisationen, nachdem die Bundesregierung es abgelehnt hat, den Nationalen Integrationsrat wegen der aktuellen Debatte um die Gewalt von Jugendlichen und jungen Migranten einzuberufen. Man wolle dazu beitragen, die öffentliche Diskussion zu versachlichen, sagte der Vorsitzende der TGD, Kenan Kolat.

Der Potsdamer Psychologieprofessor Haci Halil Uslucan, der 2002 und 2004 für das Bundesfamilienministerium gewalttätige junge Deutsche und Migranten beobachtet und verglichen hatte, kritisierte, dass die öffentliche Diskussion nicht korrekt geführt werde. Wenn man junge Türken mit ihren deutschen Altersgenossen vergleiche, ergebe sich „eindeutig, dass türkische Jugendliche stärker gewaltbelastet sind“. Dabei werde aber eine sozial gemischte Gruppe mit einer Gruppe verglichen, die mehrheitlich zur Unterschicht gehöre. „Es ist nicht fair, eine ganze Gesellschaft mit einer sozialen Schicht zu vergleichen“, sagte Uslucan. „Es waren nicht die Istanbuler Bankdirektoren, die in den 70er Jahren nach Deutschland gekommen sind, sondern Menschen, die weitestgehend der Unterschicht angehörten.“ Wenn man nur Deutsche und junge Migranten der Unterschicht vergleiche, sei der Abstand nur minimal. Auch die Argumente, mit denen beide Gruppen Prügel rechtfertigten, seien sehr ähnlich: „Es gibt keine kulturelle Anweisung zur Gewalt.“

Die Studie, die auf der Befragung von Hunderten Jugendlichen und ihren Eltern basiert, hat nach Darstellung von Uslucan auch herausgearbeitet, welche Erziehungsstile Gewalt fördern: Das ist einerseits die Erfahrung von Gewalt in der Familie – sowohl die, die sie am eigenen Leibe erlebt haben als auch die, die sie mitansehen mussten. Aber auch eine „inkonsistente Erziehung“ fördere Gewalttätigkeit: Wenn Kinder nie erkennen könnten, was ihre Eltern von ihnen erwarten, wenn sie für ein- und dasselbe Verhalten einmal gelobt, ein anderes Mal bestraft würden, dann entwickelten sie kein oder kaum „Kontrollbewusstsein“, also die Fähigkeit, die Reaktionen ihrer Umwelt vorauszusehen und auch mitzubestimmen. Stattdessen reagieren sie mit dem sicheren Mittel der Gewalt.

In diesem Punkt gibt es einen erkennbaren Unterschied zu deutschen Familien: „Inkonsistenz ist bei türkischen Eltern stärker“, sagt Uslucan. Unklarheit und Widersprüche bestimmten auch deren eigenes Leben stärker: etwa Konflikte zwischen den viel stärker auf „sichtbare Disziplin“ achtenden türkischen Milieus und den Ansprüchen der deutschen Umwelt, aber auch die zwangsläufigen Reibungen zwischen einem Ehemann der dritten Migrantengeneration und seiner anatolischen Frau.

Kritik am Ruf nach härteren Gesetzen kam gestern auch von den Kirchen. Der Präsident des katholischen Deutschen Caritasverbands, Peter Neher, wiederholte sein Nein: „Wir brauchen keine Verschärfung des Strafrechts“, sagte Neher, sondern mehr Engagement für die Integration. Die Caritas stellte ihre neue Kampagne „Achten statt ächten“ vor. Sie soll das Bewusstsein für die Lage sozial benachteiligter junger Deutscher und Migranten verändern helfen.

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