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Politik: Keine Heimat: Drei Ostdeutsche, die mit der Einheit nichts anfangen können

Klaus Fischer träumte von einem gerechten Land. Doch nun er fühlt sich als "vaterlandsloser Geselle".

Klaus Fischer träumte von einem gerechten Land. Doch nun er fühlt sich als "vaterlandsloser Geselle". Der Redakteur der linken Tageszeitung "junge welt" ist nicht im vereinten Deutschland angekommen. "Ich versuche, die Sache zu verarbeiten", sagt er und zieht an seiner Zigarette, "aber ich weiß nicht, ob ich das jemals fassen kann".

Zu DDR-Zeiten ging es Fischer gut. Mit den Jungen Brigaden der FDJ baute er Brunnen in Angola oder Nicaragua - sozialistische Entwicklungshilfe nannte sich das damals. Er sah ein Stück von der weiten Welt, war SED-Mitglied und führte auch sonst ein "ordentliches Leben". Dass seine Landsleute auf die Straße gingen und nach der D-Mark riefen, hat er nicht verstanden.

"Der einzige Gott in dieser Gesellschaft ist das Geld", resümiert Fischer. Er spricht von Individualisierung, einer "darwinistischen" Arbeitswelt und von Sozialabbau. Er erzählt von seiner 18-jährigen Tochter, die aufwächst, um Wohlstand und Spaß zu haben. Ein Rezept gegen diesen Zeitgeist hat Fischer nicht. "Man ist ratlos und manchmal depressiv", sagt er. Fischer trauert um die deutsche Linke, wie er sagt. Trauert er auch um die DDR? Dazu sagt der Journalist nichts. Er schreibt lieber - für die "junge welt", das ehemalige Zentralorgan der FDJ.

Eigentlich hat er es satt, sich zu rechtfertigen. Doch er tut es geduldig. Denn er weiß um die Ursachen für das Desaster. Da wäre zum einen der ganze "Beitritt", mit dem die Reste der DDR "unters schwarz-rot-goldene Bettuch geholt wurden". Da wären westdeutsche Richter, die von ostdeutschen Problemen keine Ahnung hätten. Und da wäre die "Stasi-Keule". Die Ostdeutschen, meint Fischer, könnten gar nicht nach vorne schauen, weil sie sich ständig entschuldigen müssten. Und wofür müssen sie sich entschuldigen? "Zum Beispiel für die vielen Olympiamedaillen von 1988", antwortet Fischer. Er lächelt - zum ersten Mal.

Niemand diskutiert über die Träume von einer gerechten Welt. Das verwirrt Fischer. Mit einem Begriff wie Heimat kann der 49-Jährige nicht viel anfangen. "Der deutsche Staat ist keine Heimat, das steht fest." Vielleicht ist es das Einzige, was noch fest steht in Klaus Fischers Leben.

Reinhard Schult träumte von einem Land ohne Geheimdienste, ohne Armeen und ohne Atomkraftwerke. Der Traum war für ihn zum Greifen nahe, damals beim Umbruch 1989/90. Doch dann wurde die Revolution "abgewürgt", wie Schult sagt. Seitdem geht es für den Bürgerrechtler bergab.

Auch Schult ist 49 Jahre alt - und auch er meint, die DDR sei "zu retten gewesen". Natürlich nicht die alte DDR, dieser lethargische Unterdrückerstaat. Nein, das demokratische Kind der Revolution wollte Schult erhalten. Dafür hat er das "Neue Forum" mitgegründet und die Stasi-Zentralen gestürmt. Er war dabei, als Waffen der Volksarmee vernichtet und die ersten Akws vom Netz genommen wurden. "Davon ist das Licht nicht ausgegangen", sagt Schult. Warum nur will das heute keiner hören?

Reinhard Schult guckt mit großen Augen über den Tisch. Im Flur seines Berliner Büros warten Flugblätter auf Verteilung. In der Uckermark, wo Schult stellvertretender Bürgermeister eines Dorfes ist, sieht es nicht anders aus. Schult hat Material, um seine Thesen zu vertreten. Und er hat harte Worte. Zum Beispiel das Wort "Kulturimperialismus". Damit meint Schult die westliche Vereinnahmung der ostdeutschen Gesellschaft. "Selbst die Ost-Autonomen wurden von ihren West-Kollegen angeleitet", erzählt er.

Für Schult stimmen die Maßstäbe nicht mehr. Die "blöden Brummi-Fahrer" demonstrieren für Subventionen, aber über den Kosovo-Krieg regt sich niemand auf. Über Mündigkeit und Würde werde kaum noch diskutiert. Stattdessen herrsche "Tralala und Zerstreuung" mit Stefan Raab und Gerhard Schröder. Fragen haben sich aufgestaut in Reinhard Schult. Er würde gern mehr tun. Deutschland, seine Heimat? "Das steht in meinem Pass, aber es hat keinen Inhalt."

Angela Kowalczyk träumt davon, ihre Ruhe zu haben. Sie lässt keine Fremden mehr in ihre eigenen vier Wände. Die 35-Jährige fühlt sich verfolgt. "Mein ganzes Leben lang wurden mir Steine in den Weg gelegt", sagt sie. Die allein erziehende Mutter sitzt in ihrer Neubauwohnung und schaut auf ein Leben voller Enttäuschungen zurück. Die deutsche Einheit gehört dazu.

Ihren 17. Geburtstag verbrachte Kowalczyk im Stasi-Knast. Damals war sie eine Punkerin, und solche Leute wollte die SED nicht auf den Straßen sehen. Ihre Vernehmer haben sie gedemütigt, die Behörden wollten ihr den Sohn wegnehmen. Nach der Haft war sie einer der nicht existenten Arbeitslosen der DDR. Sie schlug sich mit Nebenjobs durch, war Beiköchin oder Aushilfe im "Konsum"-Laden. "Viele haben mein Leben für sich benutzt", sagt Kowalczyk. Irgendwann hat sie keinem mehr vertraut.

Den Umbruch und die Öffnung der Mauer hielt Kowalczyk für eine Inzenierung der Stasi. Sie traute sich nicht über die Grenze. "Ich dachte, wenn ich rübergehe, schnappen die meinen Sohn." Und als sie doch den "goldenen Westen" besuchte, gab es dort nicht mal grüne Haarfarbe zu kaufen.

Sie hat ihr Glück versucht, als Zahnarzthelferin, als Autorin und als Wahrsagerin auf einer 0190-Telefonnummer. Doch immer gab es Ärger - mit Ämtern, Vermietern, der Telekom. Ihre einstigen Stasi-Vernehmer hat sie vor Gericht wiedergetroffen. Sie wurden frei gesprochen und haben gelacht. Seitdem hält Kowalczyk das Rechtssystem für einen "Witz". Den Behörden wirft sie Willkür vor - wie früher. Heimat? "Das kenne ich nicht, das habe ich nie gehabt."

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