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Politik: Keine Spazierfahrt

Der Castor-Transport mobilisiert die Bürger im Wendland – zu Fuß, zu Pferde und mit Skateboard

Dannenberg, evangelische Kirche, 9 Uhr: Es gibt heißen Kaffee aus Porzellantassen und belegte Brötchen. Im engen Flur des Gemeindehauses drängen sich ein paar Dutzend junge Leute am Buffet. Jemand zupft ein paar Takte auf der Klampfe. Mehrere evangelische und katholische Kirchengemeinden im Wendland haben während der Castortage ihre Räume für auswärtige Demonstranten geöffnet. Wenn der Atommülltransport im Kreis Lüchow-Dannenberg eintrifft, gibt es in manchen Kirchen Andachten.

Dannenberg, Marktplatz, 9 Uhr 30: Helfred Westerweck und Jens-Jakob Hansen schließen ihren Wohnwagen auf und stellen ein Schild „Info-Mobil“ vor den Eingang. Die beiden sind Konfliktmanager der Polizei. Bürger kommen vorbei oder rufen an: Der Mann, dessen hoch schwangere Frau im Krankenhaus liegt und der nicht weiß, wie er bei der Geburt durch Sitzblockaden und Polizeiketten hindurch in die Klinik gelangen kann. Das Urlauberehepaar, das vom Castortransport noch gar nichts wusste und nun Angst hat, sich im Getümmel zu verirren.

Langendorf, Dorfstraße, 10 Uhr 50: Vor der Kirche formieren sich Reiter, Radler und Skater zur „St. Leonhard-Prozession“. Der Schutzpatron von Vieh und Pferden hatte am 6. November seinen Namenstag. Eigentlich wird der nur im katholischen Bayern gefeiert, aber weil Demonstrationen auf der Castorstrecke verboten sind, haben die Langendorfer eben eine Prozession angemeldet. Auf den Reiterhelmen und Pferdedecken blinkt das gelbe „X“, Symbol des Castorwiderstandes. Die rund 40 Berittenen schwenken Fahnen in den Regenbogenfarben.

Breese in der Marsch, Verladestation, 11 Uhr 45: Rund 100 Radfahrer formieren sich im Nieselregen zur Protestfahrt ins 20 Kilometer entfernte Gorleben. Auf dem Gelände des Verladebahnhofs stehen schon die zwölf Tieflader, auf denen die Castorbehälter ins Zwischenlager gebracht werden sollen. Die Zufahrt ist von der Polizei mit Absperrgittern und dichtem Stacheldraht verbarrikadiert worden. Als die Radler mit lautem Geklingel aufbrechen, kommen die „Grauen Zellen“. Die meist älteren Frauen und Männer bauen Stühle auf oder hocken sich auf mitgebrachte Getränkekisten. „Alle, auch die Alten, beteiligen sich hier am Widerstand“, sagt eine Aktivistin.

Dannenberg, Esso-Wiese, 12 Uhr 40: Die Wiese ist das Hauptquartier der Atomkraftgegner. Zelte und Bauwagen und ein Greenpeace-Tieflader mit großer gelber Castor-Attrappe stehen auf dem Gelände. In den Töpfen der „Volksküche“ köchelt Suppe und Tee.

Klein Gusbon, Feldmark, 15 Uhr15: An die 200 mit Transparenten und Fahnen geschmückte Traktoren sind aufgefahren, die Schlepperparade wird bejubelt. An der größten Kundgebung des Sonntags beteiligen sich rund 1000 Atomkraftgegner. „Das hier ist keine Spazierfahrt, sondern bitterer Ernst“, sagt Georg Janssen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft.

Bietigheim-Bissingen, 17.45 Uhr: Die Polizei beendet südlich von Heilbronn eine Sitzblockade. Etwa ein Dutzend Aktivisten hatten sich auf die Gleise gesetzt und so den Castor-Zug zum Anhalten gebracht. Die Polizei nahm die Demonstranten in Gewahrsam. Der Castor-Transport konnte nach knapp anderthalb Stunden Unterbrechung seine Fahrt fortsetzen.

Wendland, am Abend: Die Atomkraftgegner verschärfen ihre Proteste. Rund 100 Landwirte blockieren mit ihren Traktoren eine der beiden Straßen, auf denendie Castor-Behälter ins Zwischenlager Gorleben rollen werden.

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