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Politik: „Keine Vorstellungskraft“

Trotz aller Kritik: Die Kommission zum 11. September sagt nicht, der Terror wäre zu verhindern gewesen

Seine Warnung war in den Wind geschlagen worden. „Stellt euch den Tag danach vor“, forderte Richard Clarke, der Anti Terror-Berater des Weißen Hauses, wenige Tage vor dem 11. September 2001. Den Tag nach einem Terroranschlag mit Hunderten von Toten. Das schrieb er in einem Memorandum an Condoleezza Rice, die US-Sicherheitsberaterin. Doch die Regierung von Präsident George Bush hatte andere Prioritäten, die Raketenabwehr zum Beispiel. Frustriert quittierte Clarke vor Monaten seinen Job.

Inzwischen arbeitet er für den nationalen TV-Sender „ABC“. Am Donnerstag wurde er dort zu dem Abschlussbericht der unabhängigen Untersuchungskommission zum 11. September befragt. Clarke war enttäuscht. Kontroversen seien vermieden worden, sagte er. Um den Bericht einstimmig verabschieden zu können, bleibe vieles unerwähnt, „zum Beispiel, welchen Effekt der Irakkrieg auf unseren Kampf gegen den Terrorismus hat“. Harte Aussagen seien der Öffentlichkeit erspart wordem. „Dabei ist unser Land nicht sicherer geworden seit damals, weil unsere Irak-Invasion zu einem Anstieg der Terrorgefahr geführt hat.“

Doch mit solchen Äußerungen hätte die 9/11-Kommission ihre Kompetenzen überschritten – sie sollte die Vorgeschichte der Anschläge aufarbeiten. Gut 19 Monate befassten sich fünf Republikaner und fünf Demokraten mit dem Mammutprojekt. Ihr rund 600-Seiten-Bericht gipfelt in dem Vorwurf, der Clinton- wie der Bush-Regierung habe es an „Vorstellungskraft gefehlt“, das Ausmaß der Bedrohung durch Osama bin Laden und dessen Al Qaida zu verstehen. Hinzu kamen schwere institutionelle Fehler und Pannen der Geheimdienste. Weder sagt die Kommission explizit, die Anschläge hätten verhindert werden können, noch zielen die Fahrlässigkeitsvorwürfe auf die jeweiligen Regierungen.

„Die Terroristen überwanden die Verteidigung der mächtigsten Nation der Welt“, sagte der Vorsitzende Thomas Kean. „Sie verursachten in der Bevölkerung unfassbare Traumata und stellten die internationale Ordnung auf den Kopf.“ Zu den Empfehlungen gehört die Ernennung eines Geheimdienstministers, der über den Chefs von CIA und FBI steht. 15 Geheimdienste hatten vor den Anschlägen kaum miteinander kommuniziert. Zehn verpasste Gelegenheiten werden aufgelistet, die Verschwörung aufzudecken. Zwei der Attentäter hatte die CIA Monate vorher im Visier, sie informierte aber weder die Bundespolizei FBI noch den Grenzschutz, dass die Männer in die USA einreisen wollten.

Einen Tag, bevor die Kommission ihre Ergebnisse präsentierte, hatte ein Überwachungsvideo neue Sicherheitspannen offenbart. Vier der fünf Flugzeugentführer, die den American-Airlines-Flug 77 ins Pentagon steuerten, hatten zuvor, beim Sicherheitscheck am Flughafen in Washington, Alarm ausgelöst. Daraufhin wurden sie mit Handmetalldetektoren erneut überprüft. In mindestens einem Fall wurde das Handgepäck durchsucht. Schließlich durften sie alle einsteigen.

Die Einrichtung der Kommission geschah gegen den Willen der Bush-Regierung. Im Verlaufe der Ermittlungen musste immer wieder die Herausgabe vertraulicher Unterlagen angemahnt werden. Nur zögernd erklärte sich Sicherheitsberaterin Rice zur Aussage bereit. Bush wollte nur im Beisein seines Vize, Dick Cheney, und hinter verschlossenen Türen aussagen. „Wenn wir nur eine Ahnung gehabt hätten, dass Terroristen unser Land angreifen wollen“, sagte Bush am Donnerstag, „hätten wir Himmel und Erde bewegt, um Amerika davor zu schützen.“ Er sei sicher, Präsident Clinton hätte dasselbe getan. „Jeder Präsident hätte das.“ Wegen der Pannen war Ex-CIA- Chef George Tenet vor wenigen Monaten zurückgetreten. Damit scheint für die Regierung die Sache erledigt zu sein.

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