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Politik: Keine Wahl beim Wählen

Abstimmung in Vietnam: Die Parlamentskandidaten hat die KP handverlesen– aber sie werden kritischer

Vietnam wählt – doch ein Akt politischer Willensbildung oder gar Ausdruck eines politischen Wettbewerbs ist die Abstimmung nicht. Die Nationalversammlung, das Parlament des kommunistischen Staates, zu deren Neubestimmung seit Sonntag 60 Millionen Menschen aufgerufen sind, hat im Ein-Parteien-Staat Vietnam wenig zu sagen. Das hat vielmehr die kommunistische Partei, genauer das 14-köpfige Politbüro und das aus 200 Mitgliedern bestehende Zentralkomitee.

Dennoch bemühten sich die Behörden, die Wahl als großes Ereignis zu präsentieren. Die staatlichen Fernsehsender berichteten schon seit Tagen über die Vorbereitungen. „Geht wählen!“ schallte es aus Hanois berühmten Propagandalautsprechern. Die Straßen in allen großen Städten des Landes waren mit roten Flaggen und Bannern dekoriert. Viele Vietnamesen nehmen jedoch die unzähligen Propagandaplakate gar nicht mehr wahr.

Auch wenn in einigen Wahlbüros schon kurz nach deren Öffnung um 7 Uhr früh die ersten Wähler auftauchten, war den meisten Wählern nur wenig von dem staatlich propagierten Enthusiasmus anzumerken. „Ganz ehrlich, ich interessiere mich überhaupt nicht für die Kandidaten, die gewählt werden. Es ändert nichts für mich“, sagte Pham Thanh Thuy, eine 32-jährige Bankangestellte, einer Nachrichtenagentur. Sie sei nur gekommen, weil es gesetzlich vorgeschrieben sei.

Die Wahl ist Teil eines politischen Rituals, das alle fünf Jahre wiederkehrt und im Januar mit dem Parteikongress begonnen hat. Früher galt die Nationalversammlung als Schein-Parlament, das die Entscheidungen der Regierung durchgewunken hat. Das hat sich in den vergangen Jahren jedoch geändert. Bereits die letzte Nationalversammlung hat immer häufiger Entscheidungen der Regierung offen infrage gestellt. Beobachter hoffen, dass diese Entwicklung zunimmt.

Vietnams Behörden erklärten, dass etwa ein Zehntel der Sitze an unabhängige Kandidaten vergeben werden sollen, die nicht der kommunistischen Partei angehören. Jedoch wurden alle 827 Kandidaten zuvor wochenlang von den Sicherheitsdiensten durchleuchtet. Alle bis auf 15 wurden von der „Vaterlands-Front“, einer einflussreichen Schirmorganisation der kommunistischen Partei, aufgestellt. Allzu kritische Stimmen oder gar Gegner des Systems dürfte es im neuen Parlament daher nicht geben.

Dabei wäre Diskussionsbedarf da. In Vietnam klafft – wie überall in Asien – durch das rasante wirtschaftliche Wachstum die Schere zwischen Arm und Reich immer stärker auseinander. Die Preise für Grundnahrungsmittel, Strom und Treibstoff sind explodiert. Vietnam leidet unter einer der höchsten Inflationsraten in ganz Asien.

Schuld daran haben auch die vielfach massiv unrentablen Staatsbetriebe. Dennoch hält der Staat an ihnen fest. Analysten vermuten, dass die Führung der kommunistischen Partei befürchtet, an Bedeutung zu verlieren, sollte sie die Staatsbetriebe und damit die eigene Schlüsselrolle in Vietnams Wirtschaft aufgeben.

Und auch gegenüber Kritikern zeigt sich der Staat weiterhin unnachgiebig. Amnesty International beschreibt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht, wie Vietnams Behörden immer häufiger auf die Anklage „des Versuchs zum Umsturz der staatlichen Ordnung“ zurückgriffen, wenn sie gegen „friedliche Dissidenten“ vorgingen.

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