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Politik: „Keine weiteren Anschläge auf Zivilisten“ Palästinensische Intellektuelle rufen zum Widerstand gegen Terror auf

Von Andrea Nüsse, Amman Mohammed Al-Ghoul glaubt, er habe dem palästinensischen Befreiungskampf einen Dienst erwiesen. Der Selbstmordattentäter, der am Dienstagmorgen einen Bus in Jerusalem in die Luft sprengte und 19 Menschen tötete, wollte „töten und getötet werden für das Leben der nächsten Generation".

Von Andrea Nüsse, Amman

Mohammed Al-Ghoul glaubt, er habe dem palästinensischen Befreiungskampf einen Dienst erwiesen. Der Selbstmordattentäter, der am Dienstagmorgen einen Bus in Jerusalem in die Luft sprengte und 19 Menschen tötete, wollte „töten und getötet werden für das Leben der nächsten Generation". Dies schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Doch auch, wenn der Rückhalt für Angriffe auf Zivilisten in Israel unter Palästinensern noch immer hoch ist, mehren sich die Stimmen, die solche Taten verurteilen.

Am Mittwoch haben 50 palästinensische Intellektuelle in einem Aufruf in der palästinensischen Tageszeitung „Al-Quds“ die israelische Besatzungspolitik scharf kritisiert, sich aber auch klar gegen Selbstmordanschläge auf Zivilisten in Israel ausgesprochen. Zu den Unterzeichnern gehören die ehemalige Sprecherin der Arabischen Liga, Hanan Ashrawi, der Jerusalembeauftragte der PLO, Sari Nuseibeh, sowie der ehemalige palästinensische Verhandlungsführer Haider Abdel Shafi. Diese innerpalästinensische Debatte ist nicht neu, gewinnt aber in den vergangenen Wochen an Gewicht. Dies mag ein Ergebnis der massiven israelischen Militäroffensive vom April sein, die nach israelischen Angaben als Reaktion auf die Anschläge in Netanja erfolgte. Der Fatah-Führer in Ramallah, Marwan Barghuti, hat stets beteuert, andere palästinensische Gruppen von Selbstmordanschlägen abhalten zu wollen, da sie der palästinensischen Sache nur schadeten. Er glaubte allerdings, dass man diese Taten nicht durch Zwang verhindern kann, sondern mit Überzeugungsarbeit und einer politischen Perspektive. Auch in der arabischen Presse wird mittlerweile offen über die Moral und Legitimität der Angriffe auf Zivilisten debattiert. In Meinungsumfragen ist die Zustimmung zur Gewalt in den letzten Wochen leicht zurückgegangen.

Das Palästinensische Zentrum für Politik und Umfragen hat Mitte Mai ermittelt, dass 52 Prozent der 1317 Befragten die Anschläge rechtfertigen, während es im Dezember noch 58 Prozent waren. Dabei war die Unterstützung unter Hamas-Mitgliedern mit 70 Prozent wesentlich höher als bei Fatah-Mitgliedern (47 Prozent). Ein großes Problem scheint zu sein, dass viele Palästinenser nicht zwischen Anschlägen auf Zivilisten in Israel und dem Kampf gegen Besatzungssoldaten unterscheiden: Laut einer Umfrage des Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrums (JMCC) von Anfang Juni unterscheiden 47,9 Prozent der 1179 Befragten nicht zwischen Operationen in Israel und in den besetzten Gebieten. Als Erklärung führen Palästinenser meist an, dass auch die israelische Armee nicht zwischen palästinensischen Kombattanten und Zivilisten unterscheide. Der beste Beweis dafür sei die hohe Zahl von palästinensischen Kindern, die an Checkpoints oder bei Demonstrationen durch israelische Gewehrkugeln starben.

Der Offene Brief der palästinensischen Intellektuellen könnte nun dazu beitragen, unter Palästinensern die Sensibilität dafür zu schärfen, was Widerstand gegen die Besatzung und was Terrorismus ist.

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