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Politik: Keine Zeit für Mörder

Die drei Männer hatten die grausame Tat gestanden. Sie wurden beschuldigt, ihr Opfer enthauptet zu haben.

Die drei Männer hatten die grausame Tat gestanden. Sie wurden beschuldigt, ihr Opfer enthauptet zu haben. Dennoch hat das Oberlandesgericht (OLG) im nordrhein-westfälischen Hamm die Häftlinge am 19. Februar dieses Jahres aus formalen Gründen freigelassen. Eine Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sei ungerechtfertigt.

Freilassung wegen eines überzogenen Zeitlimits - damit sei auch künftig zu rechnen, befürchtet der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes (DRB), Geert Mackenroth. Wie aus einer Studie der Unternehmensberatung Arthur Andersen hervorgeht, fehlen in Deutschland rund 1500 Richter und Staatsanwälte. Dies entspricht etwa der Anzahl der Richter in Baden-Württemberg. An der Erhebung nahmen nach DRB-Angaben 35 Gerichte und elf Staatsanwaltschaften aus sieben Bundesländern teil. 1900 Richter und Staatsanwälte listeten sechs Monate lang jeden Arbeitsschritt in 850 000 Zeiterhebungskarten auf.

Wegen des Personalmangels kämen die Richter auf bis zu 60 Arbeitsstunden pro Woche, sagt der DRB-Vorsitzende. Angesichts dessen sieht er die Arbeit der Gerichte in Gefahr. "Die Qualität bleibt auf der Strecke", warnt Mackenroth und sieht die Ursache für die Entscheidung des OLG Hamm in der dünnen Personaldecke begründet. Bei einer ausreichenden Zahl an Justizbeamten wären die drei Männer wohl nicht auf freien Fuß gekommen. Dass Bund und Länder neue Stellen schaffen, hält Mackenroth aber für "blauäugig". Der Trend geht in eine andere Richtung. Waren am 1. Januar 1995 noch 22 134 Richter in Amt und Würden, ist ihre Zahl auf heute 20 880 geschrumpft.

Nach den Berechnungen einer Kommission, die auf Weisung der Länderjustizministerien den Bedarf an Richtern für jedes Bundesland ermittelt, benötigt Berlin 2050 Richter und Staatsanwälte. 1625 Stellen sind nach Angaben der Senatsverwaltung für Justiz besetzt. Die Mehrarbeit wird Jünemann zu Folge auf die bestehenden Kammern abgewälzt. Ein Verfahren, das bisher "leidlich" funktioniert habe. "Kurz bevor eine Kammer abgesoffen ist, hat die Stadt einen weiteren Richter eingesetzt", sagt Jünemann.

In punkto Neueinstellungen dürfe man sich "keine Illusionen machen", meint die Sprecherin des Bundesjustizministeriums, Maritta Strasser. Sie setzt auf das Umschichten von Aufgaben: "Die Arbeitskräfte sind nicht optimal eingesetzt." Nach ihren Angaben betreut ein Richter am Amtsgericht jährlich rund 700 Fälle, ein OLG-Bediensteter 70. Folglich könnte man mehr Richter bei Amtsgerichten einsetzen, schlussfolgert Strasser. Den Spielraum für Umschichtungen sieht die Sprecherin durch die Experimentierklausel gegeben, die 2001 im Zuge der Zivilprozessrechts-Reform im Bundesrat gebilligt worden war. Die am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prämisse erlaubt den Ländern, Berufungen gegen die Entscheidungen der Amtsgerichte nicht den Landgerichten, sondern direkt dem OLG zuzuweisen. Für Jünemann hingegen ist die Experimentierklausel eine "Totgeburt", die nichts bringe. "Kein Bundesland hat von ihr Gebrauch gemacht", meint der Berliner DRB-Obmann. Man könne zwar Berufungen an das OLG abtreten, aber die Anzahl der Fälle werde dadurch nicht weniger.

Mackenroth sieht Bund und Länder in der Pflicht. Von gesetzgeberischer Seite sei "nicht viel passiert", um Richter und Staatsanwälte zu entlasten. Möglichkeiten sieht der DRB-Bundesvorsitzende zur Genüge. Beim Strafrecht würde er gern das Beweisantragsrecht straffen, um zu verhindern, dass Verteidiger kistenweise fragwürdige Beweisanträge einreichen. Für Mackenroth ist das "Prozess-Sabotage", die Zeit raubt. Etwa für Verhandlungen, wie die um das mörderische Trio aus Westfalen. Doch obwohl das OLG Hamm die Täter aus der Untersuchungshaft entlassen musste, war es ihnen nicht lange vergönnt, den Duft der Freiheit zu riechen. Wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen atmeten zwei von ihnen wenige Tage später wieder Zellenmief.

Daniel Freudenreich

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