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Politik: Keiner schlägt Sobjanin

Kreml-Kritiker Nawalny unerwartet erfolgreich – aber Putins OB-Kandidat für Moskau siegt.

Moskau - 53 Prozent für Amtsinhaber Sergei Sobjanin, 32 für Kremlkritiker Alexei Nawalny. So lauteten die ersten Ergebnisse des Abends, die Exitpolls – Befragungen unmittelbar nach der Stimmabgabe – bei der Oberbürgermeisterwahl in Moskau, die das staatsnahe Allrussische Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 20 Uhr (18 Uhr MESZ) vorlegte. Bei Befragungen des ebenfalls kremlnahen Zentrums für politische Technologien kamen Sobjanin und Nawalny auf 56 und 29 Prozent; später war von 26 Prozent die Rede.

Sobjanin dürfte bis dahin eine unangenehme Zeit gehabt haben. Nach Lage der Dinge – Nawalny zweifelt die offiziellen Zahlen als zu niedrig an – ist der Amtsinhaber, der formell als Unabhängiger antrat, aber der Mann von Staatspräsident Putin ist, nur knapp an einer Stichwahl vorbeigeschrammt. Sie wird nötig, wenn keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang 50 Prozent plus eine Stimme erzielt. Nach den Exitpolls, die der Stab von Gegenkandidat Nawalny veröffentlichte, kam Nawalny auf mehr als 35, Sobjanin dagegen nur auf 46 Prozent. Diese Zahlen würden einen zweiten Wahlgang nötig machen.

Es war das erste Mal seit fast zehn Jahren, dass die Moskauer ihr Stadtoberhaupt direkt wählen konnten. Putin hatte sich 2004 vom handzahmen Parlament Verfassungsänderungen genehmigen lassen, mit denen der Präsident das Recht bekam, die bis dahin direkt gewählten Verwaltungschefs der Regionen und der Oberbürgermeister von Großstädten de facto zu ernennen. Sein Nachfolger auf Zeit Dmitri Medwedew kippte die Regelung zwar; das straff zentralistische System Putin hat die Opposition aber so weit zurückgestutzt, dass sie vorerst keine Gefahr mehr darstellt für den Status quo. Auch in Moskau nicht.

Umfragen kurz vor dem Wahltermin schienen dies zu bestätigen. Mehr als 15 Prozent für Nawalny, einen der Gründerväter der Protestbewegung, sah selbst das regierungskritische Lewada-Zentrum nicht. Tatsächlich fuhr Nawalny nun fast das Doppelte ein. Beobachter erklären das mit mehr oder minder fairem Wahlkampf. Weil der Kreml sich vom Vorwurf der Wahlfälschung freihalten wollte, durfte auch Nawalny ins Rennen gehen, der im Juli wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen fünf Jahre Haft kassierte.

Dass er auch in zweiter Instanz verurteilt wird, gilt als sicher. Er wird nicht mehr gebraucht als Feigenblatt für eine pseudodemokratische Abstimmung. Dass er das Spiel überhaupt mitspielte, obgleich er es von Anfang an durchschaute, ist zudem Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker in den eigenen Reihen, die ihn für allzu ehrgeizig hielten. Das war allerdings vor dem Prozess, an dessen Ende Nawalny in seinem Schlusswort drohte, er und seine Freunde würden nicht eher ruhen, bis Russland vom „Feudalsystem befreit ist, bei dem 83 Prozent des nationalen Reichtums einem halben Prozent der Bevölkerung gehören“. Elke Windisch

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