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© imago/stock & people

Kenia: Brennender Hass

Die Zeit zerfiel in ein Vorher und ein Nachher. Was dazwischen liegt, nennt man in Kenia nur „the violence“ – die Gewalt. Zwei Monate währte das Morden, es waren die schlimmsten ethnischen Konflikte in der Geschichte des Landes. Ein Jahr danach scheint Frieden eingekehrt – doch viele trauen ihm nicht.

Die Händler sind zurück. Wo vor einem Jahr noch leere Brettergestelle die Straße säumten, türmen sich jetzt wieder Kochtöpfe und Plastikgeschirr, Verlängerungskabel, Batterien und Rucksäcke. Arsenal- und Liverpool-Fußballshirts flattern auf Kleiderbügeln im Wind, dazwischen drängen sich Kunden, weichen quietschenden Kleinbussen aus, überall plärren Hip- Hop-Songs aus Radios. George Ouma, 30, arbeitet für eine Werbeagentur als Bote, beim Gang über den Markt winkt er einem Nachbarn zu, der frische Ananasscheiben verkauft. Es ist Oumas Viertel, dieser Vorort am Rande der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Es war „vorher“ sein Viertel und blieb es „nachher“.

Was dazwischenlag, nennt George Ouma nur „the violence“, die Gewalt. Es ist der in Kenia gebräuchliche Ausdruck für die ersten beiden Monate des Jahres 2008. Damals erfasste, ausgelöst durch Betrügereien bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007, eine entsetzliche Welle der Gewalt das Land. George Ouma steckte mittendrin. „Es war furchtbar“, sagt er, und noch heute lassen die Erinnerungen seine Stimme beben. „Hier brach die Hölle los.“ Ouma saß in seiner Wohnung fest, saß in der Falle. Draußen brannten Geschäfte, brannten Menschen. Ouma hörte die Schreie von Nachbarn, die um ihr Leben rannten, tagelang lag unter dem Fenster eine Leiche, die niemand beerdigte. „Zum Glück hatte ich meine Frau und die Kinder zu meiner Mutter aufs Land geschickt“, sagt Ouma. „2012 werde ich das wieder tun.“

Wenn in Kenia von „der Gewalt“ die Rede ist, wird im gleichen angsterfüllten Atemzug auch oft über 2012 gesprochen, das Jahr der nächsten Wahlen. Würden sie heute stattfinden, würde kaum ein Politiker sein Mandat behalten. Bereits bei der letzten Wahl hatten die Kenianer drei Viertel aller Parlamentarier vor die Tür gesetzt – es war die Quittung für das, was Politiker in Kenia üblicherweise tun: sich bereichern.

Fraglich geworden ist nun aber auch, ob die Mehrheit der Bevölkerung nach dem Trauma vor einem Jahr überhaupt wieder wählen gehen würde. Etwa 1500 Kenianer verloren damals ihr Leben, 350 000 ihr Haus, ihr Land, ihre Lebensgrundlage. Bis heute sind 230 000 Flüchtlinge auf Lebensmittelhilfe angewiesen, 125 000 davon leben noch immer in Lagern, darunter viele Bauern. Ganze Landstriche liegen brach, weil niemand sie bestellt, Geschäfte und Privatbesitz im Wert von mehreren Millionen Euro wurden zerstört. Erst eine vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ausgehandelte Koalitionsregierung, die im April 2008 die Arbeit aufnahm, setzte der Zerstörung ein Ende.

Dass die Wahlen knapp ausgehen würden, war schon im Dezember 2007 allen klar. Der amtierende Präsident Mwai Kibaki klammerte sich an die Macht, er gehört zur Volksgruppe der Kikuyu, die einen Machtwechsel fürchteten, weil sie um ihre Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik bangten. Kibaki hatte die Wirtschaft liberalisiert, die Wachstumsraten lagen bei über sechs Prozent im Jahr, doch nur wenige profitierten davon: Der Mittelstand sackte ab, das Heer der Armen wuchs. Vor allem die Jugend setzte daher auf Kibakis schärfsten Rivalen Raila Odinga, der die Volksgruppe der Luo vertritt.

Am Wahltag sah es dann zunächst nach einer komfortablen Mehrheit für den Herausforderer Odinga aus. Trotzdem reklamierte Kibaki unter fragwürdigen Umständen den Wahlsieg für sich. Das Gefühl, betrogen worden zu sein, mündete schließlich in Zusammenstöße mit unübersichtlichen Fronten: Arme gegen Privilegierte, Kibaki-Anhänger gegen Odinga-Anhänger, vor allem aber: Luo gegen Kikuyu. Bald dominierte allein der ethnische Konflikt – und eskalierte zum schlimmsten in Kenias Geschichte.

„Denkt daran, dass eure Völker euch daran messen, was ihr aufbaut, und nicht daran, was ihr zerstört.“ In einer Bar in Nairobi geht ein Raunen durch die Menge. Vor allem junge Leute haben sich versammelt, um die Antrittsrede Barack Obamas zu verfolgen, dessen Vater Kenianer war. Die Rede trifft in Kenia einen Nerv: „Und denen, die sich an Korruption klammern, sage ich: Seid euch dessen bewusst, dass ihr auf der falschen Seite der Geschichte steht.“ Drei junge Männer springen von ihren Stühlen, recken die Arme in die Luft und rufen mit kaum unterdrückter Wut in der Stimme: „Kibaki!“

Wenn in Kenia ein Präsident populär ist, dann der amerikanische. Kibaki dagegen, bis heute Kenias Staatsoberhaupt, hat sämtliche Achtung verspielt. „Vorher war es schlimm, jetzt ist es schlimmer“, sagt der 43-jährige Zimmermann Joseph Marangu über die Situation vor und nach den Wahlen. „Welche Geschäfte die Regierung und ihre Handlanger auch machen, der Bürger hat nichts davon.“

Als Präsident war Kibaki gezwungen, seinen Widersacher Odinga zum Premierminister zu machen, eine Regierungskoalition sollte die Machtbalance stabilisieren. Die jedoch hat die Kenianer über alle ethnischen Grenzen hinweg enttäuscht. Kibaki wirkt – wie immer – apathisch, sein Premierminister Odinga zeigt gelegentlichen Aktionismus, doch sein Ansehen als Retter hat schwer gelitten. „Odinga ist als Löwe gesprungen und als Bettvorleger gelandet“, kommentiert trocken der deutsche Botschafter in Kenia, Walter Lindner. „Aber in einer Koalition hat man die Interessen der gesamten Regierung zu vertreten, da wird man bescheidener, das ist eine normale Entwicklung.“ Für den Diplomaten ist das Glas halb voll: „Wo standen wir denn vor einem Jahr? Am Abgrund!“

Die Kenianer haben weniger Verständnis: Letzten Umfragen zufolge sind mehr als 70 Prozent unzufrieden mit der Koalition. Dabei hatte Kofi Annan der Regierung so viele Versprechen abgerungen: institutionelle Reformen, eine neue Verfassung, Arbeitsplätze für die Jugend, Bestrafung der Gewalttäter, Ausgleich zwischen den Ethnien. „Der Schwung der ersten Monate ging verloren, sobald die ersten Schwierigkeiten auftraten“, sagt Job Ogonda, Direktor von Transparency International in Kenia. „Die Regierung wahrt den Anschein von Reformen, ist aber viel zu sehr damit beschäftigt, sich bei der Machtaufteilung zu beargwöhnen.“ Sogar Kofi Annan rügte zum Jahrestag des Friedensabkommens die Verschleppung der Reformen. Doch die Regierung regiert nicht – sie positioniert sich für die Wahlen Ende 2012.

Weil längst nicht ausgemacht ist, wer in gut dreieinhalb Jahren mit seiner Wiederwahl rechnen darf, versuchen viele Volksvertreter, schon aus dieser Amtszeit das Maximum an Profit herauszuschlagen: Bei jedem zweiten Behördengang müssen die Kenianer laut Transparency International Schmiergeld zahlen. Zudem weigern sich viele Parlamentarier, ihre Einkünfte korrekt zu versteuern, obwohl sie rund 10 000 Euro im Monat verdienen – ein Rekord in Afrika und fast 200-mal mehr als der festgelegte, aber kaum beachtete Mindestlohn. Schamlos fragte kürzlich ein Abgeordneter vor laufenden Fernsehkameras: „Sollen wir denn so arm bleiben wie die, die uns wählen?“

Dennoch hat sich Kenia verändert. Wo die Leute früher auf Politiker der anderen Ethnien einhieben und die eigenen schonten, oft gegen besseres Wissen, heißt es heute nur: die da oben, wir hier unten. „Es sind doch alles dieselben Diebe“, schimpft Joseph Marangu, der Zimmermann. „Der einzige Unterschied ist der Name der Partei.“

Gemeinsame Enttäuschung schafft jedoch noch keine Einheit. Still und fast unmerklich driften die Ethnien auseinander: Die Luo ziehen auf die eine, die Kikuyu auf die andere Seite des Viertels. Auch George Ouma, der zu den Luo gehört, verlor während der Unruhen von heute auf morgen seine Wohnung. Seinem Vermieter, einem Kikuyu, war gedroht worden: Sollte er die Luo nicht vor die Tür setzen, werde er umgebracht.

„Die Menschen ziehen in die Nähe ‚ihrer Leute‘“, sagt Ouma nachdenklich, „sie wollen sicher vor Angriffen sein.“ Doch die Spannung nehme ab, versichert er, auch wenn es langsam gehe. Er lächelt zögerlich. Wie alle in Kenia weiß er, dass die vor einem Jahr an parteinahe Milizen verteilten Waffen noch immer in Umlauf sind – und dass das Heer arbeitsloser Jugendlicher seit den Unruhen um weitere 400 000 Schulabgänger gewachsen ist. Neue Arbeitsplätze wären ein Weg zum Frieden. Doch das Geld dafür steckt in den Taschen der Politiker.

Jedes Wochenende organisiert George Ouma zusammen mit anderen jungen Leuten Gesprächsrunden in der Nachbarschaft. Am Rande von Fußballspielen, beim Müllsammeln, nach der Aids-Aufklärung reden sie darüber, dass nicht ihre Herkunft sie trennt, sondern die Manipulationen der Politiker. Und dass der Ausgang der nächsten Wahlen in ihren Händen liegt. Ouma ist zur Hoffnung gezwungen. Er hat kein anderes Land.

Anja Bengelstorff[Nairobi]

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