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Kenia: "Das Land rutscht in die Anarchie“

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Kenia erschüttern blutige Kämpfe das Land. Kenia befinde sich an einem "Scheideweg", die Stimmung wird als explosiv beschrieben. Nun will die UN eingreifen.

Trotz der Vermittlungsgespräche des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan gehen die Unruhen in Kenia weiter. Am Dienstagabend trafen sich Vertreter von Regierung und Opposition zu ersten formellen Gesprächen über die Nach-Wahlkrise. Seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 27. Dezember 2007 erschüttern blutige Kämpfe das Land. Rund 1000 Menschen wurden getötet, 300 000 befinden sich nach Angaben des Roten Kreuzes auf der Flucht. Sowohl Präsident Mwai Kibaki (PNU) als auch Oppositionsführer Raila Odinga (ODM) sprachen sich für ein Ende der Gewalt aus und bekräftigten ihre Bereitschaft zum Dialog. Annan forderte beide Seiten auf, die Unruhen im Land so schnell wie möglich zu beenden.

Kibaki sprach von einem „Scheideweg“, an dem sich die Nation befinde. Es müsse dringend ein Weg gefunden werden, um die Stabilität in Kenia wiederherzustellen, sagte er. Oppositionsführer Odinga bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Regierung weiterhin. Er werde jedoch nichts unversucht lassen, der Vermittlungsmission zum Erfolg zu verhelfen. „Der Prozess muss den Menschen möglichst schnell zeigen, dass Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit greifbar sind“, sagte Odinga. Die nächsten Schritte werden erwartet, „sobald PNU eine offizielle Antwort auf den Verhandlungsvorschlag von Kofi Annan einreicht“, sagte ODM- Sprecher Salim Lone der Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch.

Am Rande des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union in Addis Abeba sagte die Afrikabeauftragte der US-Regierung, Jendayi Frazer, über die Krise: „Es handelt sich eindeutig um eine ethnische Säuberung. Ich betrachte es nicht als Völlermord.“ Sie forderte eine Untersuchung. Ruandas Präsident Paul Kagame sagte der Agentur Reuters, er halte ein militärisches Eingreifen für geboten: „Wir haben keine Zeit für Nettigkeiten und Debatten, wenn das Morden anhält.“

In Nairobi war es am Dienstag erneut zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Oppositionsanhängern und Polizeikräften gekommen. Häuser brannten in den Slums, Sicherheitskräfte reagierten mit Tränengas und scharfer Munition, vier Menschen starben. Auch in den Straßen von Kisumu, Kakamega und Eldoret lieferten sich Demonstranten Gefechte mit der Polizei. Auslöser für die erneuten Kämpfe, bei denen mindestens 16 Menschen ums Leben kamen, war die Ermordung des ODM-Parlamentsabgeordneten Mellitius Mugabe Were. In der Nacht zum Dienstag wurde er vor der Einfahrt zu seinem Grundstück in Nairobi erschossen.

Were war gerade mal 39 Jahre alt und bei den Menschen in seinem Viertel geachtet, weil er Stipendien für benachteiligte Jugendliche finanziert hat und im Gegensatz zu anderen Politikern nicht nur gierig eingesackt hat. Präsident Kibaki verurteilte den Mord, während Odinga ein „hinterhältiges Spiel der Gegner“ vermutet. „Diejenigen, die Were erschossen haben, wollen dass die Gewalt eskaliert“, sagte Odinga. „Das Land rutscht in die Anarchie.“

Die Unruhen dauern auch in den seit Tagen umkämpften Städten Nakuru und Naivasha an. Dort hatten Gikuyu und die mit dem Stamm verbundene paramilitärische Gruppierung der Mungiki-Sekte zu Rachefeldzügen gegen Luo und Kalenjin aufgerufen. „Der Anblick der Menschen, die mit ihrem Eigentum aus dem Rift Valley nach Nairobi flüchten, hat uns sehr wütend gemacht“, sagte ein 28-jähriger Bewohner Naivashas. Die Zerstörung sei eine Reaktion auf die Vertreibung der Gikuyu. In Nakuru besteht weiterhin eine nächtliche Ausgangssperre. In Teilen von Nairobi zirkulieren Mungiki-Flugblätter, mit denen Luo und Luhya aufgefordert werden ihre Häuser innerhalb von 24 Stunden zu verlassen.

Nach wochenlangem Dauereinsatz kann die Polizei die Ausschreitungen kaum noch kontrollieren. Kurz nach Beginn der Beratungen zwischen Kibaki und Odinga erhielt die Polizei einen Schießbefehl: Gegen Gruppen, „die Eigentum plündern, Häuser niederbrennen, Waffen tragen oder Straßenblockaden errichten“, werde die Polizei mit aller Härte vorgehen, sagte ein Polizeikommandeur der Nachrichtenagentur AFP. Am Mittwoch kündigte Verteidigungsminister Yussuf Hagi an, die Armee verstärkt im Landesinneren einzusetzen, um die „Sicherheit zu gewährleisten“. Die Opposition kritisierte den Schießbefehl.

Alexander Glodzinski

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