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Hoch hinaus? Die Chancen für Kinder im reichen Deutschland sind noch immer sehr ungleich verteilt.

© Julian Stratenschulte/dpa

Kinderarmut in Deutschland: Damit Alex eine Zukunft hat

Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen. Eine Studie des Kinderhilfswerks zeigt, dass eine Lösung des Problems nicht allein mit Geld zu tun hat.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zeigte sich vor der Presserunde leicht überrascht über den jungen Fragesteller: „Musst du nicht zur Schule?“, wollte er von dem Kinderreporter eines TV-Senders wissen. „Nö, ich bin krank“, sagte der zehnjährige Alex aus Berlin. Das war keck. Alex’ Mutter ist alleinerziehend und bezieht Hartz IV, und so wollte der Junge vom SPD-Politiker Weil wissen: „Was tun Sie, damit Kinder wie ich bessere Chancen haben?“

Er sei mit „Versprechen vorsichtig“, sagte Weil. Das war ehrlich. Doch geht es um eine entscheidende Frage. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen, sprich: Seine Eltern verdienen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Das Thema Kinderarmut „ist in einem der reichsten Länder der Welt ungelöst“, gestand Weil am Freitag als Schirmherr bei der Vorstellung des Kinderreports 2018 in Berlin.

Für die repräsentative Studie des Kinderhilfswerks wurden 1621 Menschen zur Lage der Kinder in Deutschland befragt, darunter 620 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahre. Der Bericht zeichnet ein überraschend differenziertes Bild. Die Ursachen der Kinderarmut liegen demnach für 50 Prozent der befragten Erwachsenen in zu niedrigen Löhnen im Land, 47 Prozent gaben an, für Alleinerziehende, wie für Alex’ Mutter, werde zu wenig getan. Doch geht es um mehr als nur Geld. So gaben zwar jeweils 72 Prozent der befragten Erwachsenen an, mit mehr Kindergeld oder höheren Hartz-IV-Sätzen ließe sich die Kinderarmut im Land am besten bekämpfen. Viel wichtiger waren den Befragten aber kostenlose Schulbücher (94 Prozent), kostenlose Kita und Ganztagsschule (87 Prozent) sowie Bildungsgutscheine für Musikschulen oder Sportvereine (81 Prozent). Weil unterschied deshalb zwischen Einkommens- und Teilhabearmut. „Wir müssen am Anfang einer Bildungskarriere in Kita und Grundschule gleiche Startchancen für alle schaffen“, sagte Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerks.

Der Zugang zur Bildung macht’s. Das wurde auch am Freitag klar. Am Abend zuvor hatten sich Union und SPD auf Milliardeninvestitionen in die Bildung geeinigt, unter anderem für den Ausbau von Ganztagsschulen. Kultur ist Ländersache in Deutschland, die aber nehmen nun das Geld vom Bund für ihre Schulen und Kitas. Er freue sich über das „De-Facto- Ende des Kooperationsverbots bei der Bildung zwischen Bund und Ländern“, sagte Weil.

"Es geht nicht nur um Hardware"

„Wichtig ist, dass sich die Lage für Kinder wie mich verbessert“, meinte Alex pragmatisch. So sah es auch Thomas Krüger. Der Präsident des Kinderhilfswerks war früher Jugendsenator in Berlin, heute ist er hauptberuflich Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Als solcher wird er hellhörig, wenn Politiker wie Manuela Schwesig, SPD-Regierungschefin von Mecklenburg-Vorpommern, von Bildungskette sprechen, wenn sie Ergebnisse der Koalitionsgespräche präsentieren. „Es geht nicht allein um Hardware, sondern auch um Software“, sagte Krüger. Sprich: Digitale Klassenzimmer und schnelles Internet für Schulen sind schön. Aber nicht alles. Hinter Gigabits und Megahypes geht es immer noch um Kinder. „Wir dürfen nicht allein den Homo economicus heranziehen, sondern müssen auch den Homo politicus fördern, nämlich selbstbewusste, mündige und engagierte Menschen“, sagte Krüger.

Auch mit Blick auf Ökonomie und Politik war die Umfrage aufschlussreich. Anhänger der AfD wünschten sich (wie die Wähler der Linken) ein stärkeres Engagement des Staates beim Kampf gegen Kinderarmut. Doch im Gegensatz zu den Anhängern aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien lehnten nur die AfD-Wähler mit 53 Prozent mehrheitlich mögliche Steuererhöhungen für eine bessere Kinderpolitik ab. Die Solidarität kennt dann eben doch Grenzen.

Plädoyer für eine Kindergrundsicherung

Krüger und Weil sprachen sich für eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz aus. „Da ist im Moment Bewegung bei den Koalitionsgesprächen“, verriet Weil. Beide Politiker plädierten auch für eine Kindergrundsicherung. „619 Euro pro Kind im Monat“, erklärte Krüger. Das Kinderhilfswerk hat entsprechende Pläne schon mal durchrechnen lassen. Würde im Gegenzug das Ehegattensplitting gekappt, müssten zusätzlich 22,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Kindergrundsicherung aufgebracht werden, erläuterte Krüger.

Peter Riesbeck

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