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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

© dpa/picture alliance

Kirchentag in Hamburg: Merkel und Steinbrück liefern sich ihr erstes Duell

Merkel und Steinbrück haben es verstanden, den Kirchentag in Hamburg zu nutzen, um für sich und ihre Ideen zu werben. Am Freitag lieferten sich die Kanzler-Kandidaten ihr erstes Fernduell. Während Merkel im Gestus der Lenkerin auf Allgemeinplätzen verharrte, versuchte Steinbrück, nuschelnd ins Detail zu gehen.

Mehr als 100.000 Dauerteilnehmer strömen täglich in die Hamburger Messehallen, in die Kirchen und zu den Freiluftbühnen des Kirchentags. Es sind in der Regel angenehme Gäste. Sie hören geduldig zu und stellen brave Fragen, und demonstriert wird auf den Kirchentagen nur noch selten. Solche Zuhörer kommen Politikern gelegen, besonders im Wahlkampf. Und so treten sie gerne hier auf. Am Freitag kam es zum Fernduell zwischen der CDU-Kanzlerin und dem SPD-Herausforderer: Angela Merkel vormittags, Peer Steinbrück nachmittags. Merkel sprach auf der Messe vor 7000 Zuhörern darüber, „was die Schöpfung in der globalisierten Welt wert ist“. Steinbrück diskutierte mit Heiner Flassbeck, Chef-Volkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz, und Banken-Chefs über die Frage, wer das Geld regiert.

Merkel tritt oft auf Kirchentagen auf, es ist ein Heimspiel. An diesem Freitag sitzt Helen Clark mit ihr auf dem Podium, die frühere Premierministerin von Neuseeland und heutige Leiterin der UN-Entwicklungsprogramme. Es ist eine für Merkel günstige Konstellation: zwei starke Frauen, die sich einig sind und gerne gegenseitig loben. Der Moderator aus dem Kirchentagspräsidium will auch keiner der Frauen etwas Böses. Es geht um das Kyoto-Protokoll, um Millenniums-Ziele in der Klimapolitik, um blockierende Entwicklungsländer und Schwellenländer wie China, die in Merkels Wahrnehmung „langsam einsichtig werden, dass auch sie globale Verantwortung übernehmen müssen“. Sie muss es wissen, kommt viel rum, was sie auch gerne einfließen lässt: gestern Indien, morgen USA, übermorgen China.

Zuerst spricht Helen Clark mit tiefer, starker Stimme und viel Pathos. Inhaltlich bleibt sie allerdings meist in der Phrase stecken.

Stelldichein der Prominenz: Neuseelands Ex-Regierungschefin Helen Clark (l.) im Gespräch mit Kanzlerin Merkel und Kirchentagspräsident Gerhard Robbers.
Stelldichein der Prominenz: Neuseelands Ex-Regierungschefin Helen Clark (l.) im Gespräch mit Kanzlerin Merkel und Kirchentagspräsident Gerhard Robbers.

© dpa

Eine gute Vorlage für Merkel sind ihre Sätze allemal. Nun kann auch die Kanzlerin getrost bei Allgemeinplätzen verharren. Sie konzentriert sich aufs Mutmachen, appelliert ans große Ganze, erinnert so lang an die Fortschritte in der Umweltpolitik und in der weltweiten Armutsbekämpfung, bis Kritik nur noch kleinlich wirkt. „Als entwickelte Industrienation hat Deutschland eine Bringschuld“, sagt Merkel und holt zum Lob auf die Energiewende aus. „Wir müssen zeigen, dass Wachstum, Wohlstand und Nachhaltigkeit zusammengehen.“ Wenn sich jetzt manche über steigende Energiekosten empören, dann müssten sie bitte mal daran denken, wie wichtig es sei, dass die Energiewende gelingt, schließlich schaue die ganze Welt auf Deutschland.

Es ist der Gestus der Mutter, der Lenkerin, die ihre Autorität aus den täglichen Mühen der Ebenen bezieht. Sie müsse „dicke Bretter bohren“, sagt sie, „Pfade“ finden, verhandeln, Kompromisse schließen. Der indische Regierungschef habe ihr erzählt, dass er 20 Millionen Jugendliche in Arbeit bringen müsse. Sie müsse 20 Millionen Gigawatt Strom aus Sonne und Wind bereitstellen. „Raten Sie mal, wer die schwierigere Aufgabe hat?“, fragt Merkel in die Halle.

„Eigentlich bräuchten wir beide an der Spitze.“

Hier und da streut sie Selbstkritisches ein. So sei es noch ein weiter Weg, bis Deutschland die beabsichtigten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgibt. Auch wie es mit dem Zertifikate-Handel läuft, findet sie nicht gut, aber „die Bundesregierung“ sei sich leider nicht einig, wo es hingehen solle. Auf die Nachfrage, wohin sie selbst wolle, weicht sie aus. Kein Wort zur Finanzkrise, kein Wort zum schlingernden Europa. Sie sitzt entspannt im Sessel, redet mit ruhiger Stimme, macht auch mal Scherze mit dem Publikum. „Sie überzeugt mich als Mensch“, sagt eine evangelische Pfarrerin. „Ich nehme ihr ab, dass sie das, was sie sagt, auch selbst glaubt.“ Das sei schon viel bei einem Politiker.

Zu Peer Steinbrück zwei Stunden später kommen nur 2200 Menschen. Mehr gehen in den „Michel“ nicht rein, in Hamburgs Wahrzeichen. Dafür ist die evangelische Barockkirche das erhabenere Ambiente. Während die Kanzlerin schnell loslegen konnte, muss der Kandidat vier Vorredner abwarten. Zu ihnen gehört Sven Giegold, Grünen-Europaabgeordneter und Attac-Mitbegründer. Er freut sich über die geplante Finanztransaktionssteuer und sorgt sich um Europas Zukunft.

Steinbrück tritt mit blauem Kirchentagsschal ans Predigtpult, redet schnell und nuschelt am Anfang. Merkel blieb staatstragend im Allgemeinen, Steinbrück wirft sich in die Debatte, hält Rede und Gegenrede aus, argumentiert, geht ins Detail. „Ungedeckte Leerverkäufe müssen verboten werden, Handel mit Währungen und Nahrungsmitteln auch“, sagt er, aber das sei alles nicht so einfach, wie viele denken. Das mit dem Einfachen ist sein Lieblingssatz an diesem Nachmittag. Er soll ausdrücken: Hier spricht der Fachmann, der differenzieren kann. Sven Giegold fordert sehr strenge Regeln für die Bankenregulierung und hohe Eigenkapitalquoten. „So einfach geht das nicht“, sagt Steinbrück. „Wenn so viel Kapital fest gebunden ist, wovon sollen die Banken dann Staatsanleihen kaufen und die Länder stützen?“

Kanzlerkandidat Peer Steinbrück trat auf dem Kirchentag in Hamburg mit blauem Kirchentagsschal auf.
Kanzlerkandidat Peer Steinbrück trat auf dem Kirchentag in Hamburg mit blauem Kirchentagsschal auf.

© dpa

Merkel umschiffte Fragen nach konkreten Konsequenzen lieber, der Kandidat ist um klare Handlungsanweisungen nicht verlegen. Erstens: härtere Regeln für die Banken. Zweitens: Banken, die sich verzockt haben, müssen vom Markt verschwinden. Drittens: Zuerst müssen Aktionäre haften, dann die Kapitalgeber. Viertens: Sparer müssen außen vor bleiben. Die Kanzlerin wurde mit ohrenbetäubendem Applaus verabschiedet, auch Steinbrück bekommt ordentlichen Applaus. „Sind halt sehr unterschiedliche Persönlichkeiten“, sagt eine ältere Frau. Merkel wirke auf sie integerer, Steinbrück sei vielleicht der größere Experte im Detail. Ihr Fazit: „Eigentlich bräuchten wir beide an der Spitze.“

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