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Voll Stoff. Das Kopftuch hat für deutsche Gesetzgeber Gefahrenpotenzial.

© dpa

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht: Der Streit um das Kopftuch ist zurück

Zwei muslimische Frauen, beide im Schuldienst in Nordrhein-Westfalen, haben das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit durch das Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen verletzt sehen.

Ein paar Jahre lang war Ruhe an dieser Front. Und das, obwohl fast alle Landesgesetze, die nach dem Karlsruher Grundsatzurteil von 2003 erlassen wurden, Vorgaben der höchsten Richter zu ignorieren schienen. Zum Fall der Lehrerin Fereshta Ludin, die in Baden-Württemberg wegen ihres Kopftuchs nicht in den Schuldienst durfte, hieß es, dass Verbote religiöser Symbole im öffentlichen Dienst in Ordnung seien. Es brauche dafür aber ein Gesetz. Und der Gesetzgeber dürfe keine Unterschiede machen: „Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität“ heißt es im Urteil. „Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren.“

Die Botschaft kam nicht überall an: Praktisch alle der seit 2004 folgenden acht Ländergesetze waren Anti-Kopftuchgesetze und nahmen von der Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität – mal der Lehrenden, mal aller öffentlich Bediensteten – christliche Symbole ausdrücklich aus. Nur Bremen und Berlin verordneten allen Zurückhaltung am Arbeitsplatz.

Dass dennoch lange Ruhe herrschte, mag auch an lokalen Arrangements gelegen haben, die die Härten der Gesetze milderten. So setzt inzwischen die ein oder andere Lehrerin, mit Zustimmung von Eltern und Gerichten, im Unterricht eine Mütze auf. Und die Landesregierungen wähnen sich seit Verabschiedung ihrer Gesetze in Sicherheit – bis hin zu ihren roten und grünen Nachfolgerinnen, die kürzlich erklärten, dass sie am Kopftuchtabu nicht rütteln werden. Es gebe ja keine aktuellen Fälle, sagt Baden-Württembergs sozialdemokratische Integrationsministerin Bilkay Öney. Und Sylvia Löhrmann, grüne Schulministerin von Nordrhein-Westfalen, die vor ihrer Berufung ins Ministeramt die Kopftuchgesetze als diskriminierend kritisierte, will auf Karlsruhe warten. „Priorität hat für uns die Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentlichem Unterrichtsfach“, sagt ihr Sprecher.

Gerade dafür könnten allerdings die Kopftuchverbote ein großes Problem werden. Auch muslimischen Religionslehrerinnen das Kopftuch zu verbieten, dürfte schwierig werden – einige Ländergesetze schließen dies bereits ausdrücklich aus. Auch sie klären aber nicht, was dies konkret bedeuten würde: Tuch auf im Religionsunterricht, Tuch ab, wenn die Lehrerin ein anderes Fach unterrichtet oder im Lehrerzimmer sitzt?

Der Erlanger Juraprofessor und Islamwissenschaftler Mathias Rohe wies schon vor Jahren darauf hin, dass solche Ungereimtheiten früher oder später wieder in Karlsruhe landen würden. Für das kommende Urteil könne er sich auch in puncto Neutralität „vorstellen, dass das ein Thema wird“, sagte Rohe dem Tagesspiegel. Es gehe schließlich „um Gesetze, deren Neutralität zweifelhaft ist. 2003 wurde klar formuliert, dass der Gesetzgeber sich für mehr oder weniger Religion in der Schule entscheiden kann, dass aber die Religionen gleich behandelt werden müssen. Das ist im einen oder anderen Landesgesetz schwer zu erkennen.“

Die Bremer Pädagogik-Professorin Yasemin Karakasoglu war 2003 Gutachterin in Karlsruhe. Sie erläuterte damals, welche Bedeutungen das Tuch für seine Trägerin haben kann, eben nicht nur als Zeichen der Unterdrückung und feindseligen kulturellen Abgrenzung. Doch als solches wird es nach ihrer Ansicht in der Öffentlichkeit weiterverhandelt: „Wie differenziert dieses Zeichen ist, ist nicht wirklich angekommen; die Kopftuchgesetze haben es vielmehr vollends festgelegt, auf die Bedeutung ‚gefährlich‘.“

Rohe ist optimistischer. „Richter sind ziemlich resistent gegen Stimmungen.“ Es habe schließlich jüngst „sachlich-nüchterne Urteile zugunsten von Muslimen“ gegeben, „die böse Post an Gerichtspräsidenten ausgelöst haben“. Eine Prognose wage er nicht: „Die Entscheidung war damals knapp und der zuständige Senat ist neu besetzt.“ Jedoch: „Damals sahen viele das Abendland durch das Kopftuch bedroht. Diese Funktion scheint es inzwischen an Minarette und Moscheen abgetreten zu haben.“

Voraussichtlich im nächsten Jahr wollen die Richter entscheiden – zum zweiten Mal in dieser Sache.

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