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"Klare Worte" heißt das Interviewbuch von Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D., das er mit dem Journalisten Georg Meck gemacht hat. Die Agenda 2010 kommt, das ist wohl keine Überraschung, ziemlich häufig vor in diesem lesenswerten, launigen und lehrreichen Buch.

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Klare Worte: Das neue Buch von Gerhard Schröder: "Putin hat beachtlichen Humor"

Anekdoten über die Mächtigen der Welt, ein sehr selbstbewusster Rückblick auf die eigene Politik, scharfe Attacken und Analysen bei den Themen Europa, Russland oder Agenda 2010 und ein bisschen Privates. Das neue Buch von Gerhard Schröder ist lehrreich, launig und lesenswert.

Natürlich ist das Buch auch eine herrliche Plattform, um sich so zu geben, wie man sich selbst am liebsten sieht. Als Macher, als politisches Instinktwesen, kraftvoll und machtbewusst. Und als ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat, der es schon immer besser wusste, und seinen Genossen auch noch heute gerne verbal einen einschenkt und ein unbequemes, stets selbst bestimmtes Parteimitglied ist, der zum sozialdemokratischen Lieblingsthema sagt: „Hätten wir die Erfolge der Agenda 2010 für uns reklamiert, dann wäre die SPD die erfolgreichste sozialdemokratische Partei in Europa.“

Und basta? Nein, so ein Buch ist das zwar auch, aber wirklich nicht nur geworden.

Im Gegenteil: „Klare Worte“, Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D., im Gespräch mit dem FAZ-Journalisten Georg Meck, ist ein absolut lesenwertes, launiges und lehrreiches Buch. Launig wird es immer dann, wenn Schröder seine Eitelkeit und sein Selbstbewusstsein demonstrativ heraushängen lässt, und man gleichzeitig etwas über „die Mächtigen“ der Welt erfährt, zu denen er sieben Jahre lang gehörte.

Bill Clinton kam immer zu spät

Tony Blair etwa, den ehemaligen britischen Premier, mochte Schröder eigentlich immer, aber „später wurde er mir ein bisschen zu salbungsvoll. Ich habe immer gesagt: Du redest wie ein Priester", sagt Schröder. Einmal spielt er auf einem internationalen Gipfel in Kanada morgens um sieben Uhr unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit gegen Blair Tennis. Schröder lästert, der Blair habe zwar seine eigene Trainerin mitgebracht, aber „hatte trotzdem keine Chance“.

An anderer Stelle erfährt man, dass es nicht George W. Bush war, der die Europäer aufregte, sondern Bill Clinton. Warum? „Bush trat unprätentiös auf, kam nicht als personifizierte Supermacht daher. Clinton ließ uns immer spüren, dass er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war… Bill Clinton kam immer zu spät. Oft ließ er uns bis zu einer Stunde warten.“

Das alles ist nett zu lesen, unterhaltsam, aber auch diese Anekdoten prägen das Buch keineswegs, sie sind relativ dezent gestreut, und sie bedienen die natürliche Neugierde und Erwartung eines Lesers, der eben wissen will, wie das so ist im Kreis der Mächtigen.

Am Donnerstagabend war Gerhard Schröder nach 2004 und 2006 zum dritten Mal in der Sendung von Reinhold Beckmann, um über das Buch und sein Leben zu sprechen.
Am Donnerstagabend war Gerhard Schröder nach 2004 und 2006 zum dritten Mal in der Sendung von Reinhold Beckmann, um über das Buch und sein Leben zu sprechen.

© dpa

Das Buch hat zwölf Kapitel, die inhaltlich zwischen Innen- und Außenpolitik, zwischen Privatem und Beruflichem wild hin und herspringen, so dass einem eigentlich nie langweilig wird. Die spezielle Gesprächsform bringt es allerdings mit sich, dass es auch zu manchen thematischen Doppelungen kommt, weil Dinge wiederholt werden.

Im Grunde bilden Schröders europapolitische Gedanken, seine Forderungen und seine geopolitische Sicht auf Russland und China den Kern des Buches. Es gibt aber auch, ebenso wie in seiner Biografie, Stellen, in denen Schröders Denken als Sozialdemokrat sehr deutlich wird: bei den Themen Bildung und Aufstiegschancen in einer modernen Gesellschaft.

Ein selbst erkämpfter Aufstieg

Man muss dazu wissen, und das erfährt man auch in diesem Buch, dass Schröder selbst zwar vom Alter her zur 68er Generation gehörte, aber nicht von seinen Überzeugungen. Schröder ist einer der wenigen verbliebenen Sozialdemokraten, die den sozialen Aufstieg durch Bildung als Erfahrung verinnerlicht haben.

Abitur über den zweiten Bildungsweg, Universitätsstipendium als Halbwaise; weg vom grauen Kittel im Eisenwarenladen, in dem er arbeitete, in den Hörsaal, wobei er in den Semesterferien auf dem Bau malochte, und später in eine juristische Kanzlei. Und schließlich nicht nur an den Zaun des Kanzleramts, sondern hinein. Das ist seine Aufstiegserfahrung, ein selbst erkämpfter Aufstieg, aber auch ein von der Gesellschaft ermöglichter. An einer Stelle sagt Schröder: „Eine Gesellschaft, die mir das ermöglichte, konnte ich nicht als Gegner betrachten.“ Anders eben als die richtigen 68er.

An einer anderen Stelle wird er deutlicher und behauptet: „Heute hat sich bei vielen jüngeren Menschen die Erfahrung festgesetzt: Wer aus der Oberschicht kommt, hat es leichter in der Schule als das Unterschichtkind. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Sie bedeutet das Ende der offenen Gesellschaft.“

Damals noch kein Kanzlerpaar, aber ein Paar. Doris Schröder-Köpf und Gerhard Schröder im Jahr 1997.
Damals noch kein Kanzlerpaar, aber ein Paar. Doris Schröder-Köpf und Gerhard Schröder im Jahr 1997.

© Imago

Und so ist es wohl auch kein Zufall, dass dieses Thema, eine Sorge, den Schluss bildet. Einen pessimistischen, nachdenkenswerten Schluss. Schröders Ansicht nach hat es nur für einen kurzen Moment ein Fenster in der gesellschaftlichen Realität gegeben, in dem es Menschen wie ihm in Deutschland, er meint natürlich die alte Bundesrepublik, möglich gemacht worden ist, Teilhabe durch Bildung zu erreichen. Das sei die Nachkriegszeit gewesen. Sein Fazit bei diesem Thema: „Ich glaube nicht, dass eine Karriere wie die meine heute noch einmal möglich wäre.“

Durch den Vorabdruck des Buches in der „Bild“-Zeitung, offiziell wird es an diesem Freitagmittag in Berlin vorgestellt, sind andere Themen bereits öffentlich gesetzt worden. Schröders aktuelle Kritik an der Rente mit 63 („falsches Signal“) oder eben die eingangs erwähnte Kritik an der eigenen Partei, was die Agenda-Politik angeht.

In den europapolitischen und geopolitischen Überlegungen knüpft Schröder in gewisser Weise an die Rede seines rot-grünen Außenministers Joschka Fischer aus dem Jahr 2000 in der Humboldt-Universität an. Es geht um die Vollendung der politischen Einheit Europas, und vor allem um die Forderung nach Souveränitätsverzicht. Eine Forderung, die in diesen Tagen auch Horst Köhler, Bundespräsident a.D., in der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert hat.

Schröder lässt nichts auf Putin kommen

Schröder findet, es sei die Aufgabe Deutschlands „zugunsten einer verstärkten europäischen Integration ein gewisses Maß an Souveränitätsverzicht zu leisten“. Er spricht von der EU-Kommission, die zu einer Regierung werden müsse, und vom EU-Parlament als zweiter Kammer. Später fordert er eine europäische Wirtschaftsregierung, ohne näher auszuführen, wie er sich eine solche Regierung als Institution vorstellt.

Fähig zur Selbstironie. Sagt Gerhard Schröder über Wladimir Putin.
Fähig zur Selbstironie. Sagt Gerhard Schröder über Wladimir Putin.

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Was Europa zu tun hat, um nicht an Macht und Einfluss zu verlieren, macht Schröder in drei Punkten deutlich: die politische Union schaffen, die Türkei aufnehmen und einen Assoziierungsvertrag mit Russland abschließen. Schröder will das aber keineswegs als Abkehr von den USA verstanden wissen, im Gegenteil, und dieses Mal kommt Bill Clinton besser weg, denn der habe ihm einmal gesagt: Es sei quasi die Aufgabe Deutschlands, ein gutes Verhältnis zu Russland herzustellen.

An dieser Stelle kritisiert Schröder die europäische Haltung und findet, dass die Politik gegenüber Russland, Deutschland schließt er mit ein, einer „anti-russischen Haltung Vorschub leistet“.

Natürlich geht es im Buch auch um Schröders Freundschaft zu Wladimir Putin und um Gazprom. Der Interviewer lässt Schröder hier, wie übrigens auch bei den anderen Themen, nie leicht davon kommen, fragt konsequent nach oder macht in seinen Fragen auf Widersprüche aufmerksam. Auch das ist ein Grund dafür, warum das Buch gelungen ist.

Oskar Lafontaine, sagt Gerhard Schröder, sei einer der begabtesten Politiker, die er kennen gelernt habe. Aber er gehöre auch zu den Leuten, "die Verantwortung scheuen, weil Verantwortung bedeutet, mal gegen den konsens der eigenen Gruppe zu verstoßen."
Oskar Lafontaine, sagt Gerhard Schröder, sei einer der begabtesten Politiker, die er kennen gelernt habe. Aber er gehöre auch zu den Leuten, "die Verantwortung scheuen, weil Verantwortung bedeutet, mal gegen den konsens der eigenen Gruppe zu verstoßen."

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Schröder legt großen Wert darauf, dass er eben kein Handlanger der Russen sei, sondern für ein europäisches Unternehmen engagiert ist. Er sei Aufsichtsratsvorsitzender des internationalen Pipeline-Konsortiums „North Stream“ – so sein Argument - und nicht beim Hauptaktionär Gazprom. Und er ist stolz auf den Erfolg der Pipeline, die bereits 2012 in Betrieb ging, „just in time“, trotz aller Kritik und Probleme, „das bislang größte Energieprojekt Europas“.

Auf Putin allerdings, ja auf Russland im Allgemeinen, lässt Schröder wenig kommen. Er erklärt ausführlich, dass nicht er, sondern der Moderator und Journalist Reinhold Beckmann in seiner Sendung 2004 die Worte vom „lupenreinen Demokraten“ in einer Frage benutzt habe. Schröder sagt zwar, er hätte besser zurückfragen sollen, was denn das sei, ein „lupenreiner Demokrat“, weil es den ja sowieso nicht gebe. Im Buch sagt er nun wörtlich: „Ich relativiere meine Haltung zu Putin nicht. Und ich nehme ihm ab, dass eine funktionierende Demokratie und ein stabiles Staatswesen seine Ziele sind.“

An anderer Stelle sagt er: „Putin entspricht nicht dem Image, das über ihn im Umlauf ist. Er ist ein entspannter Gesprächspartner mit einem durchaus beachtlichen Humor.“ Nachfrage Meck: „Zynischer Humor“? Schröder: „Nein, fähig zur Selbstironie.“

"Ich weiß, ich bin der Richtige"

Schröder hat sich mit Russlands Geschichte beschäftigt, das merkt man, und er mahnt immer wieder zur Geduld und Nachsicht. „Verlangen Sie nicht zu viel Nachsicht“, fragt Georg Meck schließlich, aber Schröder bleibt bei seiner Haltung und findet maximal, dass es „große Defizite“ im russischen Rechtswesen gebe, welches der Geschichte des Landes geschuldet sei. Deshalb müsse Europa Russland bei der Juristenausbildung unterstützen, „nicht einfach nur öffentlich maßregeln“.

An dieser Stelle wird es auch deshalb spannend, weil Schröder sehr anschaulich macht, dass ein Regierungschef anders agieren müsse als nach der reinen Lehre, die in seiner Partei, in Deutschland oder Europa zu oft als Realpolitik gefordert werde. Das gelte auch für die Sicht auf China, für das seine These lautet: „Die Dynamik der Industriegesellschaft und die Notwendigkeit der Ökonomie erzwingen eine Demokratisierung.“

Ansonsten erfährt der Leser noch ein paar Dinge, die Schröder im Laufe der Zeit immer mal wieder zum Besten gegeben hat: Dass er nicht tanzen und nicht singen könne und natürlich, dass einer, der Kanzler werden wolle, auch sagen müsse: „Ich will das. Ich will das unbedingt. Und ich weiß, ich bin der Richtige.“

Auch wenn diese Stellen aufgesetzt wirken, so sind sie wohl von der Realität nicht weit entfernt. Ein paar kleine Details aus dem Alltag eines Bundeskanzlers, von denen es im Buch nicht viele gibt, machen dann doch recht deutlich, was es bedeutet, ein solches Amt sieben Jahre lang zu führen. Schröder: „Wenn ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin Urlaub macht, dann baut der Bundesnachrichtendienst neben ihrem Zimmer seine ganze Apparatur auf…“

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

© Kai-Uwe Heinrich

Und wie hält man das nun aus? Schröder erzählt erst, dass man „permanent angespannt“ sei. „Diese Anspannung lässt Sie nie los.“ Sport sei kein Mittel dagegen. „Das wichtigste Mittel ist Verdrängung.“ Man müsse eben einfach sagen, aus Schutz sozusagen: „Ich weiß es besser. So, basta!“

Gerhard Schröder. „Klare Worte. Im Gespräch mit Georg Meck über Mut, Macht und unsere Zukunft“. Herder, 238 Seiten, 19,99 Euro. Lesen Sie auch den Text über Schröders Auftritt in der ARD-Sendung von Reinhold Beckmann.

Der Autor Armin Lehmann ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel.

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