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Klarer Sieger: Was bedeutet der Wahlausgang in Indien?

Indien, die größte Demokratie der Welt, hat gewählt – mit einem unerwarteten Ergebnis. Die regierende Kongresspartei gewann klar. Welche Folgen hat der Wahlausgang?

Indien hat wieder alle überrascht. Und am meisten sich selbst. Völlig unerwartet räumte die regierende Kongresspartei nun bei den Wahlen ab. Jetzt hofft das Land erstmals seit langem auf eine starke Regierung, die die Kraft zu Reformen hat.

Wie ist die Wahl genau ausgegangen?

Wegen der Größe Indiens und aus Sicherheitsgründen fand die Wahl seit dem 16. April in fünf Phasen statt. Von den 1,1 Milliarden Einwohnern Indiens waren 714 Millionen wahlberechtigt. Die Kongresspartei erreichte 206 von insgesamt 543 Sitzen. Es war ihr bestes Ergebnis seit 18 Jahren und der deutlichste Erfolg einer einzelnen Partei in Indien seit fast zwei Jahrzehnten. Die von der Kongresspartei geführte Koalition kam auf insgesamt 262 Sitze. Am Sonntag liefen Gespräche mit einigen kleineren Parteien, um die für eine Parlamentsmehrheit noch notwendigen zehn Stimmen zusammenzubekommen.

Die wichtigste Konkurrentin der sozialdemokratischen Kongresspartei, die hindu-nationalistische Partei Bharatiya Janata (BJP), räumte ihre Niederlage ein. „Wir akzeptieren die Entscheidung des Volkes“, sagte BJP-Führungsmitglied Arun Jaitley. Das Parteienbündnis unter Führung der BJP wurde deutlicher als erwartet distanziert und kam insgesamt nur auf 157 Sitze. Umfragen hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhergesagt. Die Regierung muss bis zum 2. Juni stehen. Als heißer Anwärter auf einen Kabinettsposten gilt Rahul Gandhi. Er ist der 39 Jahre alte Sohn der Kongressparteichefin Sonia Gandhi und gilt als möglicher Nachfolger des 76-jährigen Ministerpräsidenten Manmohan Singh.

Welche innenpolitischen Folgen hat das

Wahlergebnis?

Die von der Kongresspartei geführte Minderheitenkoalition schlingerte zuletzt am Rande der Handlungsunfähigkeit entlang. Das lag nicht an Regierungschef Singh, sondern vor allem an seinem Koalitionspartner, den Kommunisten. Die haben mit ihrer anachronistischen Weltanschauung den ambitionierten Ökonomen ausgebremst. Doch die Kommunisten wie auch die Linkspartei erlitten starke Verluste. „Jetzt könnten wir seit vielen Jahren eine der stabilsten Regierungen in Indien bekommen“, sagt der Politikwissenschaftler und Indienexperte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Doch das heißt laut Wagner auch, dass es nun keine Ausreden mehr für wichtige Reformen und Problemlösungen gibt. Wagner zählt neben einigen Reformen im Sozial- und Wirtschaftsbereich auch Infrastrukturprojekte und die Integration der Muslime, die größte religiöse Minderheit in Indien, zu den wichtigsten Aufgaben.

Die Regierung bedachte zuletzt zwar Bauern und Arme mit milliardenschweren Hilfsprogrammen und bescherte dem Millionenheer der Beamten Gehaltssprünge. Außerdem lockten sie die indische Mittelschicht mit Steuererleichterungen. Doch eins gelang der wackeligen Regierungstruppe bisher nicht: Die Massenarmut wirklich an ihren Wurzeln zu packen, die wuchernde Korruption und Bürokratie einzudämmen und die marode Infrastruktur schnell auszubauen, die als größtes Hemmnis für den Aufstieg gilt. Singh hat nun eine zweite Chance. Doch er wird mit Widerstand rechnen müssen, weil nicht alle in Indien Armut wirklich bekämpfen wollen.

Im Westen wird Indien gerne unkritisch als strahlendes Gegenmodell zum autoritären China romantisiert. Doch auch im Gandhi-Land liegt einiges im Argen. Geld wird immer mehr zum Schmieröl von Indiens Mega-Demokratie. Die unglaubliche Summe von drei Milliarden Dollar steckten Parteien und Politiker in den Wahlkampf. Das ist mehr als in den USA. Oft werden Wähler einfach gekauft. Das Geld stammt nicht selten aus schwarzen Kassen.

Und die Politiker erwarten die zehnfache Rendite. Die politische Kaste erinnert in Teilen an eine Polit-Mafia, die den Staat als Beute nimmt. Im letzten Parlament wimmelte es von Gangstern: 25 Prozent der Abgeordneten waren vorbestraft oder hatten Verfahren gegen sich laufen. Bis hin zu Vergewaltigung und Mord reichten die Anklagen. Natürlich gibt es Ausnahmen und Lichtgestalten. Aber Teile der Mächtigen haben wenig Interesse daran, den Status Quo zu ändern. Die Armen sehen sie als Stimmvieh an, das man nur alle fünf Jahre hofieren muss, um es dann wieder sich selbst zu überlassen. Politik ist vor allem Geschäft. Um das zu ändern, braucht es zuallererst auch Reformen in den Parteien. Diese lassen Außenseitern kaum eine Chance. Innerparteiliche Demokratie ist ein Fremdwort. Die Kongresspartei ist seit Jahrzehnten in der Hand der Nehru-Gandhi-Dynastie. Bis auf die Hindu-Partei BJP werden auch fast alle anderen Parteien wie Privatbesitz von autoritären Führungsfiguren regiert. Rahul Gandhi, der Hoffnungsträger der Kongresspartei, scheint das erkannt zu haben. Er versucht, die verknöcherte Partei zu öffnen. Sein Vorstoß könnte auch Indiens Demokratie wieder beleben.

Wie wirkt sich der Wahlausgang auf die wirtschaftliche Entwicklung aus?

„Für den Markt wird ein Traum wahr. Besser hätte es nicht ausfallen können“, sagte Samir Arora, Fondsmanager bei Helios Capital in Singapur der Nachrichtenagentur Reuters. Die Wirtschaft setzt auf den Ökonomen Singh, der Anfang der achtziger Jahre noch Chef der indischen Notenbank war. In seiner Regierungszeit ging es bisher stetig bergauf. Allerdings zieht die Weltwirtschaftskrise auch an Indien nicht spurlos vorüber. Die Wachstumsprognosen werden permanent nach unten korrigiert. Während die indische Regierung bis zuletzt immer noch von rund acht Prozent Wachstum in diesem Jahr ausging, rechnen Experten nur noch mit etwa fünf Prozent. Auch gehen Ökonomen davon aus, dass die Auswirkungen der weltweiten Krise erst nach den Wahlen deutlich zu spüren sein werden. Die Staatskasse ist bereits unter Druck. Nur mit Mühe konnte Indien ein Konjunkturpaket von acht Milliarden Euro auflegen.

Was bedeutet der Sieg der Kongresspartei für das Verhältnis Indiens zum Westen?

Zur Zeiten des Kalten Krieges stand Indien der Sowjetunion näher. In den letzten Jahren hat sich Indien stark dem Westen angenähert. Vor allem der frühere US-Präsident George W. Bush hatte Indien heftig hofiert, weil er die südasiatische Macht als Gegengewicht zu China aufbauen wollte. Die Regierung von Premier Singh dürfte ihren westfreundlichen Kurs fortsetzen. Die Frage ist eher, ob Bushs Nachfolger Barack Obama Indien den gleichen Stellenwert einräumt. In der globalen Krise scheinen sich die USA weg von Delhi stärker nach China auszurichten. „Das sieht man in Indien sehr kritisch“, sagt Wagner, „aber trotzdem dürfte das Wahlergebnis das Verhältnis zwischen den USA und Indien eher verbessern.“ Grund dafür sei die Schwächung der Kommunisten, die das Verhältnis zu den USA immer wieder belasteten.

Wie wirkt sich die Wahl auf die Beziehungen zu Pakistan aus?

Pakistan hat Truppen von der Grenze zu Indien abgezogen, um sie im Kampf gegen die Taliban und Al Qaida im Swat-Tal einzusetzen. „Das zeigt, wie sich das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Staaten verbessert hat“, sagt Wagner. Grund dafür sei auch das relativ besonnene Verhalten der Inder auf die Anschläge in Bombay Ende November 2008. Damals wurden 174 Menschen getötet. Die indischen Behörden vermuten hinter den Attentätern Terroristen aus Pakistan. Neu-Delhi brach darauf hin die Friedensgespräche mit Pakistan ab. „Allerdings ließen sie die Situation nicht eskalieren und mobilisierten auch keine Truppen an der Grenze“, sagt Wagner, der davon ausgeht, dass auch die Gespräche zwischen beiden Seiten bald wieder aufgenommen werden.

Welche Entwicklungen sind im Verhältnis zu Sri Lanka zu erwarten?

Laut gesagt wird es nicht, aber dem Vernehmen nach soll Delhi Colombos Offensive gegen die Tamilen-Rebellen der LTTE unterstützt und gedeckt haben. Aus zwei Gründe: Zum einen leben in Indien 60 Millionen indische Tamilen, die teilweise mit dem Kampf der LTTE sympathisieren. Zum anderen hat die LTTE den früheren Premierminister Rajiv Gandhi ermordet. Es gibt Gerüchte, dass LTTE-Kämpfer von Sri Lanka nach Indien flüchten, um unterzutauchen. Indiens Geheimdienst warnt bereits vor Racheanschlägen. Als gefährdet gelten vor allem die Gandhi-Familie und Singh. „Sri Lanka ist im Moment für Indien außenpolitisch die größte Herausforderung“, sagt Wagner. Auch er geht davon aus, dass die nun erfolgte militärische Lösung des Konflikts in Sri Lanka den Indern entgegengekommen ist. „Dass sich Indien nun nach der Wahl verstärkt politisch in Sri Lanka engagieren wird, glaube ich aber nicht“, sagt Wagner.

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