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Politik: Klaus Naumann, ehemaliger Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, über Fehler und Perspektiven (Interview)

Klaus Naumann (60). Der Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr war bis Mai 1999 Chef des Nato-Militärausschusses.

Klaus Naumann (60). Der Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr war bis Mai 1999 Chef des Nato-Militärausschusses. Der General schied am 25. Mai 1999 aus dem aktiven Dienst aus.

Wie ist Ihre Bilanz des Kosovo-Krieges, mit einem Jahr Abstand?

Es war richtig, dass wir gehandelt haben. Wir haben erreicht, dass die vertriebenen Menschen in ihre Heimat zurückkehren konnten. Und wir haben einen Flüchtlingsstrom nach Europa verhindert, der uns große Schwierigkeiten gemacht hätte, auch innenpolitisch, denn wir wären das Hauptempfängerland geworden.

Hat die Nato Fehler gemacht?

Ja. Und da ich beteiligt war, waren das auch meine Fehler. Fehler in erster Linie beim Krisenmanagement. Das primäre Ziel haben wir nicht erreicht: einen Waffengang zu vermeiden. Ob wir die Chance hatten, da mache ich ein Fragezeichen. Aber wir haben nicht alle Möglichkeiten genutzt, weil es in unseren Gesellschaften nicht durchzusetzen war.

Sie meinen die Androhung des Einsatzes von Bodentruppen?

Unter anderem. Es war vor allem ein Fehler, den Verzicht öffentlich zu erklären, weil es Milosevic vor einer Ungewissheit in seiner Kalkulation bewahrte. Für die Allianz war es auch eine schwere Aufgabe, diese Operation ohne Mandat der UN durchzuführen und ohne dass für die am Einsatz beteiligten Nationen vitale nationale Interessen auf dem Spiel standen. Das ist in der Regel Voraussetzung für die Bereitschaft zum Waffeneinsatz. Wir haben jedoch auch in der militärischen Durchführung Fehler gemacht.

Die so genannten Kollateralschäden, wie der Beschuss eines Eisenbahnzuges auf einer Brücke und der chinesischen Botschaft. Ist eine gewisse Fehlerquote unvermeidbar?

Einige Fälle wären gewiss vermeidbar, etwa der Beschuss der Botschaft. Doch Kollateralschäden wird es bei einem solchen Unternehmen immer geben, vor allem unter den Bedingungen, unter denen wir operieren mussten: die Flughöhe, die miserablen Wetterbedingungen. Militärtechnisch gesehen war es eine ungewöhnlich erfolgreiche Operation: 38 000 Einsätze, nur zwei eigene Flugzeuge verloren und keinen einzigen Toten auf unserer Seite. Statistisch ist nur ein Prozent der Munition daneben gegangen. Für die Opfer am Boden ist die Statistik natürlich kein Trost: für die armen Menschen in dem Zug oder in dem Traktor-Konvoi mit Flüchtlingen, der versehentlich beschossen wurde. Wir müssen noch besser werden.

Welche Probleme wurden nicht gelöst?

Es gibt keine mittel- und langfristige Perspektive für eine Lösung der albanischen wie der serbischen Frage. Sie sind politisch offen geblieben. Ob der Ansatz, multiethnisches Zusammenleben zu schützen, gelingt, kann ich nicht sagen. Aber ich weiß auch nichts Besseres. Der multiethnische Ansatz bedeutet, dass wir über viele Jahre dort bleiben, unheimlich viel Geduld haben und auch eine Menge investieren.

Hat dieser Ansatz nach den Erfahrungen in Bosnien und im Kosovo eine Perspektive, oder müssen die Nationen, wie in Mitteleuropa nach dem Weltkrieg, getrennt werden, um später zu friedlichem Miteinander zu finden?

Aussiedlung und Vertreibung in Mitteleuropa wurden unter ganz anderen Bedingungen hingenommen. Nach zwei Generationen gehen die Menschen nicht mehr zurück. Das auf den Balkan zu übertragen, hieße, ethnisch reine Staaten zu sanktionieren. Ich glaube nicht, dass das ein Modell ist. Deshalb ist meine Antwort, nach der Helmut-Schmidt-Taktik die Gegenfrage zu stellen: Wissen Sie ein besseres Modell für den Balkan als den multiethnischen Ansatz mit Geduld zu versuchen?

Steht der Balkan vor einem neuen Krieg: Montenegro will sich von Serbien lösen, dann die Spannungen in Mitrovica und die Kämpfe der UCK und Milosevics Milizen?

In der Tat habe ich diese Sorge. Wir stehen vor einem sehr schwierigen Frühjahr. Über Montenegro möchte ich nicht spekulieren. Ich sehe die Spannungen um Mitrovica im Kosovo und im Presevo-Tal in Serbien, wo Albaner im Stil der Vergangenheit Serben provozieren und die Spirale der Gewalt auslösen. Dazu kommt die Erfahrung, dass ein Mann wie Milosevic von der Krise lebt. Ich kann nur hoffen, dass die internationale Gemeinschaft mit großer Entschiedenheit reagiert und gegen beide Seiten, Albaner wie Serben, eine harte Hand zeigt.

Kann das im Extremfall eine erneute Intervention bedeuten?

Das wäre Spekulation. Aber wer mit dem Feuer spielt, der sollte nicht den Fehler wiederholen, den Milosevic gemacht hat: Er glaubte, die Nato werde nicht handeln.

Sind die UN durch die Intervention der Nato ohne Mandat des Sicherheitsrats geschwächt? Oder gestärkt, weil die Blockade per Veto nicht mehr funktioniert?

Die Allianz hat die Frage hinterher diskutiert, und eine große Mehrheit war der Ansicht, handeln dürfe sie nur, wenn der Sicherheitsrat tatsächlich, wie im Kosovo, blockiert ist. Der erste Weg sollte immer ein Mandat der Vereinten Nationen sein. Sonst öffnet man anderen Nachahmern die Tür.

Sie schließen eine erneute Intervention der Nato nicht kategorisch aus?

Das können nur die Regierungen der Nato-Staaten beantworten. Mein Rat an die Politik: Ungewissheit über die Reaktion dient der Abschreckung und ist Teil des Krisenmanagements. Dazu gehört, die Entschlossenheit zu zeigen, dass man im Notfall handelt.Das Interview führte Christoph von Marschall

Wie ist Ihre Bilanz des Kosovo-Krieges[mit einem]

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