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Die "Kleinen" beim TV-Duell

© dpa/Bernd von Jutrczenka

"Kleine" TV-Debatte zur Bundestagswahl: Warum die Kleinen politische Riesen sind

Die TV-Debatte der Spitzenkandidaten von FDP, CSU, Linken, AfD und Grünen erhält weniger Aufmerksamkeit als die große. Dabei haben die "Kleinen" massiv an politischem Einfluss gewonnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Es wird die „kleine Debatte“ genannt. Am Montagabend, einen Tag nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz, traten in der ARD Vertreter von AfD, CSU, FDP, Grünen und der Linken gegeneinander an. Doch „klein“ war diese Debatte ganz und gar nicht. Denn „die Kleinen“ sind mittlerweile zuständig für die Richtung in der deutschen Politik – und verdienen daher Aufmerksamkeit.

Bei den Kleinen sind noch Weltanschauungen erkennbar

Martin Schulz und Angela Merkel sind Pragmatiker. Im Duell wie im politischen Leben streiten sie lediglich um die effektivere Lösung und die Priorisierung der Probleme. Sie kommen dabei ohne Ideologien aus. Bei den „Kleinen“ hingegen, das hat der „Fünfkampf“ gezeigt, ist der Streit der Weltanschauungen noch klar erkennbar. Im Schlagabtausch um die Rente etwa standen sich Liberalismus und Sozialstaatlichkeit klar gegenüber. Sahra Wagenknecht will endlich alle, auch Beamte und Freiberufler, in der Rentenkasse sehen, Christian Lindner setzt auf Befähigung zur Privatvorsorge. In der Flüchtlingspolitik argumentierten Wagenknecht und Özdemir wertorientiert (humane Abschiebepraxis, Familiennachzug), AfD, FDP und CSU hingegen realpolitisch (Obergrenze, Selektion nach Arbeitsmarktkriterien). Im Streit um die Rolle Europas, sei es um die Nullzinspolitik oder die Zuwanderung, hob sich kosmopolitisches von nationalistischem Denken ab. Die Kleinen haben noch Haltung – und können so auch radikaler denken. Sie können über eine völlige Entbürokratisierung, das Grundeinkommen oder den Austritt aus der EU reden. Als Koalitionspartner oder Opposition wirken sie so dem großkoalitionären Zug zum grenzenlosen Pragmatismus entgegen. In den „Volksparteien“ sterben Ideologien, Ideen und Utopien den Tod der Mitte. Bei den Kleinen erhalten sie Artenschutz.

Dreierbündnisse sind Normalfall geworden

Seit die SPD an Bedeutung verliert und sich mit der AfD das Sechsparteiensystem verfestigt, wächst gleichzeitig auch ihr echter Einfluss als Orientierer. In den Ländern sind sie längst groß im Spiel, gerade in Ostdeutschland, wo die SPD neben der Linken von der AfD zweistellige Konkurrenz bekommt und kaum mehr als Volkspartei zählen kann. In Sachsen wurde die Linke 2014 zweitstärkste Kraft hinter der CDU. In Sachsen-Anhalt kam die SPD 2016 nach CDU, AfD und Linkspartei nur auf Platz vier. Dort gibt es jetzt eine „Kenia-Koalition“. In Rheinland-Pfalz regiert die Ampel, in Schleswig-Holstein Jamaika. Im Sechsparteienland Deutschland sind Dreierbündnisse das neue Normal. In Baden-Württemberg stellen die Grünen darüber hinaus bekanntlich den Ministerpräsidenten und in Bayern regiert eine CSU, die im Zuge der Flüchtlingskrise inhaltlich eigenständiger geworden ist.

Orientierung für die großen Pragmatiker

Als Mit-Regierer drücken die „Kleinen“ der Landespolitik ihren weltanschaulichen Stempel auf. In Schleswig-Holstein liegt der Anteil der Erneuerbaren deutlich über dem Bundesdurchschnitt, wegen der Küsten, aber auch wegen der Grünen. In Bayern wird Sicherheitspolitik radikal gedacht, Gefährder können dort unbefristet in Haft genommen werden. Und auch die AfD hat, obwohl sie nirgends regiert, indirekt Einfluss auf die Migrationspolitik.

Die rechnerische Wahrscheinlichkeit für Jamaika im Bund beträgt 87 Prozent. Wahrscheinlicher ist eine GroKo. Doch auch, wenn in Berlin nach der Wahl keine kleine Partei beteiligt wird: An ihnen orientieren sich die großen Pragmatiker. Im nächsten Bundestag werden die „Kleinen“ 30 bis 40 Prozent der Wähler vertreten.

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