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Klimakonferenz: Prophet aus dem falschen Land

Der Amerikaner Al Gore wird auf der Klimakonferenz wie ein Star gefeiert, die offizielle US-Delegation steckt dabei längst in der Rolle des Buhmanns.

Der Ballsaal im Westin Hotel auf Bali ist schon lange voll mit Menschen. Als der Klima-Star hereinkommt, springen alle von ihren Stühlen und klatschen. Al Gore, frisch mit dem Friedensnobelpreis belohnt, winkt und lacht, schüttelt Hände, springt auf die Bühne ans Rednerpult. „Die Naturkatastrophen können nicht ignoriert werden“, sagt er. Und: „Unser Planet steckt in einer Notlage.“

Es sind Sätze, die alle schon kennen von ihm, dem ehemaligen US-Vizepräsidenten, der als Privatperson viel mehr erreicht hat als während seiner Politkarriere. Gore hat zusammen mit den Wissenschaftlern des Weltklimarats, des IPCC, mit denen er sich den Nobelpreis teilt, den Klimawandel zu einem der wichtigsten Themen der Welt gemacht. Deshalb begrüßt er auch IPCC-Chef Rajendra Pachauri. Der springt auf die Bühne. Die beiden Männer umarmen sich. „Ich spreche hier auf Bali als eine Person, ohne Verpflichtung diplomatische Nettigkeiten zu beachten“, sagt Gore leise, „ich spreche als Vater, als Großvater. Und auch als Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.“ Und dann, laut: „Mein Land, die USA ist hauptsächlich verantwortlich für das Behindern von Fortschritt hier auf Bali.“

Die USA lehnen den seit Tagen vorliegenden Entwurf einer Bali-Abschlusserklärung ab, weil dort von der Notwendigkeit die Rede ist, dass die Industriestaaten ihre Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 25 bis 40 Prozent unter das Niveau von 2000 bringen sollen. „Lassen Sie bei diesem Punkt einfach eine leere Stelle in der Abschlusserklärung, und regeln Sie alles andere“, empfiehlt Gore. Im Publikum sitzen auch mehrere Delegationsleiter. „Emissionsziele müssen Teil eines neuen Klima-Protokolls sein. Später, bevor es 2009 unterschrieben wird, füllen Sie ein, was an die jetzt noch leere Stelle gehört. In zwei Jahren werden die USA an einem Punkt sein, an dem sie jetzt noch nicht sind. In einem Jahr und 40 Tagen wird ein neuer Präsident vereidigt.“

Während Al Gore spricht, stehen auf den Fluren des Kongresszentrums von Nusa Dua Delegierte in Trauben vor Flachbildschirmen, auf denen die Rede zu hören und zu sehen ist. Gore steht für ein anderes Amerika. Das Amerika der Bürgermeister, die in ihren Städten die Kyoto-Kriterien einhalten, obwohl ihr Land das Protokoll nicht ratifiziert hat. Das Amerika der Hybrid-Autos und Solar-Anlagen, die nur noch etwas billiger werden müssen.

Um 14 Uhr, knapp sechs Stunden vor dem Gore-Auftritt, hat eine junge Frau von der Umweltgruppe „Friends of the Earth“ Flugblätter vor dem Saal verteilt, in dem gleich die Delegation der US-Regierung sprechen wird: „Was ist die wahre Agenda der USA in Bali?“ steht darauf. Und: „Die US-Regierung will Fortschritt bei den Klimagesprächen kippen“. Die Chefin der US-Delegation ist Paula Dobriansky aus dem Außenministerium. Sie kommt in bunten Kostümen, klingt meist leicht genervt, liest vorbereitete Texte ab und hat Sätze auf Lager wie: „Wir wollen eine gemeinsame Vision, wir wollen Wege erkunden, wir wollen alle dabei haben.“ Neben Dobriansky sitzt James Connaughton, der Umweltberater von Präsident George W. Bush, der sich anhört wie George Bush selbst: „Wir werden führen, wir werden weiterhin führen, aber Andere müssen folgen.“ Am Mittwoch hat er gesagt, er wolle „mit einem neutralen Papier“ aus Bali abreisen. Und dass beim Major-Economies-Meeting, dem Treffen der 20 größten Verursacher von Treibhausgasen, das auf Initiative seines Chefs Ende September zum ersten Mal in Washington zusammengekommen war, „praktische Lösungen“ erarbeitet werden sollen.

Mit der Ankündigung, das nächste Treffen solle Ende Januar in Honolulu stattfinden, hat Connaughton die meisten Teilnehmer der ersten Zusammenkunft ziemlich überrascht. Umweltminister Sigmar Gabriel hatte schon am Mittwoch gesagt: „ Also ich fliege bestimmt nicht Ende Januar nach Honolulu.“ Da schloss er allerdings nicht aus, einen seiner Klimaexperten hinzuschicken. Am Donnerstag sagt er dann: „Wenn wir hier auf Bali keinen Erfolg haben, hat ein Major Economies Meeting keinen Sinn.“

Die Franzosen, die Gastgeber des zweiten Termins im Februar hätten sein sollen, sind so verärgert, dass sie darüber nachdenken, alle wieder auszuladen. Der Chef des UN-Klimasekretariats Yvo de Boer sagt auf die Frage, ob er nach Honolulu fliegt: „Ich habe gehört, ich sei eingeladen und stünde auf dem Programm.“ Kleine Pause. „Vermutlich liegt die Einladung auf meinem Schreibtisch in Bonn.“ Der Sitz des UN-Klimasekretariats ist im früheren Bonner Regierungsviertel.Die Europäer wollen dem Termin fern bleiben, „wenn hier nichts Substanzielles beschlossen wird“, sagt EU-Umweltkommissar Stavros Dimas. Dann habe das Treffen „keinen Sinn“. Schließlich sollen die Ergebnisse dem Klimaprozess zuarbeiten. „Aber man kann nichts beitragen, wenn es nichts gibt“, sagt de Boer.

Das Major-Economies-Meeting gehört auf Bali zu den Schimpfworten. Nicht nur bei den Nichtregierungsorganisationen gibt es den Verdacht, dass sich Bush doch noch nicht von der Idee verabschiedet haben könnte, daraus eine Gegenveranstaltung zu den UN-Klimaverhandlungen zu machen. Jennifer Morgan von der Umweltorganisation E3G sagt: „Die Amerikaner wollen damit beweisen, dass sie das Thema ernst nehmen.“ Auf den Fluren werden Befürchtungen diskutiert, die USA könnten versuchen China mit immer neuen Nadelstichen gegen die Interessen der Entwicklungsländer in die Blockade zu treiben, um einen Schuldigen präsentieren zu können. Und dann würde Bush seine Major-Economies wieder aus dem Hut ziehen, um als Klimaretter in die Geschichte einzugehen.

Aus der US-Delegation ist dagegen zu hören, dass die Europäer mit ihrer Sturheit ein Scheitern auf Bali riskierten. Sigmar Gabriel fühlt sich in seiner Rolle als „Amerikaner-Schreck“ sichtlich wohl. Die Europäer, „die in der Luft zerrissen werden, wenn sie mit nichts nach Hause reisen“, wie der Stephan Singer von der Umweltstiftung WWF sagt, sind aus Sicht der Nicht-Regierungsorganisationen und einer größeren Zahl von Entwicklungsländern die „Guten“. Sie kämpfen für ein ambitioniertes Ziel. Sie wollen unbedingt die wissenschaftlichen Erkenntnisse des IPCC als Leitlinie für ein neues Klimaschutzabkommen in das Verhandlungsmandat aufnehmen. Gabriel ist die Rolle des vorlauten EU-Rambos zugefallen. „Es ist Zeit zum Handeln! Ich kann den Satz nicht mehr hören“; schimpft er. Denn in nahezu jeder Rede eines Umweltministers vor dem Plenum, ist diese Floskel gefallen. Jetzt müssten die „ Elefanten, die hier im Laden stehen auch mal nach ihren Landesfarben benannt werden“, sagt Gabriel, „und wir müssen auch mal sagen, wie sie sich im Porzellanladen verhalten.“ Er meint das offizielle Amerika, Russland, Japan, Indien und Kanada, die alle am Donnerstagabend noch wenig Neigung zeigten, sich auf die EU-Forderungen einzulassen.

Das hatte US-Chefunterhändler Harlan Watson im Übrigen gleich gesagt. Watson ist der wohl einzige Mann, der bei der Konferenz vom ersten bis zum letzten Tag, Tropenhitze und entspannte Kleiderordnung hin oder her, tagsüber immer im Anzug auftritt. Konstanz ist seine Stärke. Und sein Übel. „Wir sind entschlossen, an Verhandlungen teilzunehmen, an deren Ende 2009 ein neues Klimaabkommen steht, das umweltfreundlich und wirtschaftlich tragbar ist. Es muss alle großen Verursacher von Treibhausgasen mit einschließen“, hatte Watson am ersten Tag gesagt. Über Emissionsziele solle nicht jetzt sondern später geredet werden. Daran hat sich nichts geändert.

Als Gipfel-Gastgeber Indonesien zusammen mit Australien und Südafrika den Entwurf einer Abschlusserklärung vorlegten und darin Emissionsziele für Industriestaaten standen, sagte Harlan Watson knapp: „Wir wollen keine Zahlen in dem Text. Sie könnten den Ausgang von Verhandlungen vorwegnehmen.“ Er muss sagen, was George Bush im aufträgt. Al Gore kann sagen, was er will. Irgendwo dazwischen steht John Kerry. Der US-Senator wurde wie Gore von Bush im Präsidentschaftswahlkampf geschlagen. Er ist mit einer Senats-Delegation von Washington aus nach Bali geflogen und steht jetzt im Auditorium von Balis Westin-Hotel: „Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, dass die USA sich ändern.“ Kerry steigt nicht nach oben auf die Bühne, sondern geht langsam unten vor der erste Stuhlreihe auf und ab. Offenes Hemd, in der linken Hand ein Mikro, die rechte ist in der Hosentasche. Kerry spricht ohne Notizen: „Bei uns wird gerade aus grüner Lokalpolitik grüne Bundesstaatpolitik.“

Das sei ja schön, sagt ein indischer Journalist: „Aber wir sind wegen des Entwurfs eines neuen internationalen Klimaabkommens hier und ihr Land stößt am meisten CO2 aus. Würden die USA sich unter einem demokratischen Präsidenten zu Emissions-Reduzierungen verpflichten?“ Kerry erinnert daran, dass der US-Kongress internationale Verträge ratifiziert, im Senat mit notwendiger Zweidrittelmehrheit. Daran scheiterte unter dem früheren Präsidenten Bill Clinton die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls. Die Senatoren wollten nichts unterschreiben, was die USA einschränkt, während das aufstrebende China, im Kyoto- Vertrag und auch in der aktuellen Debatte als Entwicklungsland eingestuft, keine Verpflichtung eingehen muss. Daran hat sich nichts geändert, Senator Kerry macht dies deutlich: „Die USA werden einen Politikwechsel vollziehen, aber der Prozess muss ein globaler sein und letztlich zu bindenden Emissions-Reduzierungen aller Staaten führen. Die industrialisierte Welt kann das nicht alleine machen.“ Auch Kerry nennt keine Zahlen.

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