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Klimawandel: Klima? Katastrophe!

Die Finanzkrise hält die Welt in Atem. Eine andere dramatische Entwicklung droht dabei in Vergessenheit zu geraten – der Klimawandel. Was kommt da noch auf uns zu?

Die Lehre aus der Finanzkrise liegt für Hans-Joachim Schellnhuber auf der Hand: „Das kurzfristige Optimierungsdenken hat abgewirtschaftet. Eine Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftsweise ist ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.“ Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ist sich sicher, dass die Klimaschäden „am Ende nicht mit 500 Milliarden Euro zu reparieren sind“. Im Gegensatz zu seinem amerikanischen Kollegen Veerabhadran Ramanathan, der als Professor an der Universität San Diego in Kalifornien arbeitet, hält Schellnhuber es aber noch für möglich, eine globale Erwärmung über zwei Grad hinaus im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung (um 1870) zu vermeiden. Steigt die globale Durchschnittstemperatur noch weiter an, halten die meisten Klimaforscher die Folgen nicht mehr für beherrschbar. Wobei zwei Grad keine Lappalie sind: Nach Einschätzung des Weltklimarats (IPCC) würden bei zwei Grad beispielsweise sämtliche Gletscher der Anden schmelzen – mit katastrophalen Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung in Lateinamerika. Zudem könnten zwei Grad genug sein, um das arktische Sommereis dauerhaft schmelzen zu lassen. Schellnhuber beschreibt das als ein „Kippelement im Klimasystem“, das durch negative Rückkoppelungen den Erwärmungsprozess noch weiter beschleunigen könnte. Deshalb sagt Schellnhuber auch, dass „das Rennen zwischen der Klimadynamik und der Klimapolitik knapp werden wird“.

Ramanathan dagegen hält dieses Rennen eigentlich schon für verloren. Denn nur die Ozeane und ein unbeabsichtigter „faustischer Pakt“ mit der weltweiten Luftverschmutzung hätten es bisher verhindert, dass die 2,4 Grad globaler Erwärmung, die gemessen an den vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen schon hätte eintreten müssen, vermieden worden seien. Bei einem Besuch des Potsdam-Instituts berichtete Ramanathan, dass etwa 0,5 Grad noch nicht eingetretener Erwärmung der Speicherkapazität der Weltmeere zu verdanken seien. Nach seinen Berechnungen senkt die Luftverschmutzung (atmosphärische braune Wolken) die Erwärmung um weitere 1,6 Grad. Zwar enthalten auch die braunen Wolken Partikel – vor allem Ruß –, die zur Erwärmung beitragen, weil sie Sonnenlicht aufnehmen. Zudem legt sich der Ruß im Himalaja auf die Gletscher, färbt sie grau und trägt so dazu bei, dass sie noch schneller schmelzen. Doch es gibt eben auch Partikel, die das Sonnenlicht reflektieren wie Milliarden winziger Spiegel. Die Luftverschmutzung „maskiert“ den Treibhauseffekt.

An diesen Erkenntnissen zweifelt auch Hans-Joachim Schellnhuber nicht. In einem Kommentar zu Ramanathans Arbeit nennt er diesen Maskierungseffekt eine der „unangenehmsten Wahrheiten“, die im Sachstandsbericht des IPCC vom vergangenen Jahr verborgen seien. Doch aus Schellnhubers Sicht überschätzt Ramanathan das Tempo der Luftreinhaltepolitik. Zwar hat gerade das Beispiel Deutschlands gezeigt, dass beispielsweise Schwefel schnell aus den Abgasen verschwinden kann, wie das nach den ersten Nachrichten über das Waldsterben passiert ist. Doch im Gegenzug hat sich Westeuropa mit seiner erfolgreichen Luftreinhaltepolitik auch schneller erwärmt als Osteuropa oder Ostasien, wo die Abgase zum Teil noch ziemlich ungebremst in die Luft geblasen werden. Zudem traut Schellnhuber den Regierungen der Welt durchaus noch zu, dass sie Ende 2009 einen globalen Klimapakt schließen, der eine Wende möglich macht. Dazu müsste aber der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen zwischen 2015 und 2020 erreicht sein. Danach müssten die Emissionen sinken, um 2100 bei null anzukommen.

Warum Ramanathan daran nicht recht glauben kann, zeigt ein Blick auf die aktuelle Emissionsentwicklung. Der Berliner Energieforscher Hans-Joachim Ziesing hat in seiner Fortschreibung der Entwicklung des Kohlendioxid-Ausstoßes (CO2) festgestellt, dass im vergangenen Jahr mit knapp 30 Milliarden Tonnen CO2 ein neuer Rekord erreicht worden ist, 2,8 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zwar ist der CO2-Ausstoß der Industrieländer, die sich im Kyoto-Protokoll zu einer Verminderung ihrer Emissionen verpflichtet haben, um 0,7 Prozent im Vergleich zu 2006 gesunken, im Vergleich zu 1990 sogar um 16 Prozent. Doch in den USA, die für das Jahr 2006 erstmals einen sinkenden CO2- Ausstoß gemeldet hatten (minus 1,6 im Vergleich zu 2005), sind die Emissionen wieder um etwa ein Prozent gestiegen. Von einer Trendwende in den USA kann also keine Rede sein, auch wenn die Regierung von George W. Bush das Anfang des Jahres so verkaufen wollte. Angesichts dieser Fakten fragt sich Ramanathan, ob die Menschheit nicht bald vor schwierigen ethischen Entscheidungen stehen wird.

Eine davon ist die Frage, ob aus Klimagründen der Ausstoß reflektierender Luftschadstoffe nicht noch zehn Jahre fortgesetzt werden müsste, „um die nötige Zeit zu kaufen“. Die Konsequenz wäre, die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Menschen, die unter der Luftverschmutzung leiden, hinzunehmen. Ramanathan fühlt sich mit einem solchen Vorschlag sichtlich unwohl. Deshalb arbeitet er an einem Projekt, mit dem er Daten über die Effekte von „sauberen Kochmethoden“ in Indien und China auf das Klimasystem ermitteln will. Würden auf dem Land in Südasien nicht Holz, Kuhdung oder Holzkohle verbrannt, käme weniger Ruß in die Atmosphäre. Zudem hätte das einen unmittelbaren gesundheitlichen Nutzen für die Menschen. Jedes Jahr sterben nach UN-Angaben rund 1,6 Millionen Menschen an Krankheiten, die durch die Abgase offener Feuer in Hütten verursacht werden. Ramanathan hofft, mit seinem Großversuch in den kommenden zwei Jahren eine Antwort darauf geben zu können, was das dem Klima bringt. Ob die Olympischen Spiele in Peking den Klimawandel weiter angetrieben haben, kann er wohl in etwa einem Jahr beantworten. Ramanathan durfte während der Spiele, als in Peking ein Großteil der Industrie stillgelegt war und großflächige Fahrverbote für Autos bestanden, die Luftverschmutzung messen. Die Auswertung der Daten dauere allerdings etwa ein Jahr.

Für Schellnhuber ist die Lehre aus dem „Biotreibstoff-Desaster“, dass Klimapolitik immer positive und negative Nebenwirkungen haben kann. Ramanathan weist darauf hin, dass die Vorstellung, Energiepflanzen könnten ja auf degradierten Böden angepflanzt werden und stünden dann in keiner Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion, schnell zur negativen Klimarechnung werden kann. Denn die Aufnahme der Sonnenstrahlung verändert sich, wenn verwüstete Böden dunkle Pflanzen tragen. Ob diese Pflanzen so viel CO2 speichern können, dass dieser Effekt wettgemacht werden kann, ist noch unklar. Auch die Wiederaufforstung von entwaldeten Gebieten könnte so schnell zum klimapolitischen Bumerang werden.

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