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Der Chef der Technikakademie Acatech, Reinhard Hüttl, relativiert die Risiken des Klimawandels schon länger. Offenbar fällt es Geologen generell schwer, sich mit Phänomenen auseinanderzusetzen, die weniger als einige tausend Jahre umfassen.

© acatech

Klimawandel: Wie die Technikakademie Deutschlands die Risiken des Klimawandels relativiert

Erstmals haben sich Klimaforscher mit Wissenschaftlern der Technikakademie Acatech überworfen. Es geht um die Einschätzung der Klimaforschung.

Eine „Tendenz zur Dramatisierung“ sieht die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften (Acatech) in der Klimaberichterstattung. Vielleicht ist sie deshalb in ihrer am Montag veröffentlichten Position zu „Anpassungsstrategien in der Klimapolitik“ ins andere Extrem verfallen und hat dabei auch gleich etwa 99 Prozent der internationalen Klimaforschung in Zweifel gezogen. Die Acatech-Position bezieht sich nämlich nicht auf den aktuellen Stand der Klimaforschung, wie er im Weltklimarat (IPCC) repräsentiert wird, sondern stellt folgendes fest: „Das Klima, also die Statistik des Wetters, verändert sich immer und überall. Bei Änderungen über wenige Jahre kann ein konkreter Grund oft nicht angegeben werden.“ Welche Zeit die Acatech da beschreibt, geht aus dem Papier nicht hervor. Die Gegenwart kann es aber kaum sein. Denn für die Gegenwart sind sich 99 Prozent der Klimaforscher einig, dass die von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen insbesondere die Verbrennung fossiler Energiequellen wie Öl, Kohle und Gas die Ursache für die aktuell zu beobachtende globale Erwärmung sind.

Die Acatech dagegen weist im folgenden Text auf „Klimaveränderungen auf geologischen Zeitskalen“ hin, bei denen „die veränderte Sonnenaktivität sowie die Veränderung der Land-Meer-Verteilung“ eine Rolle spielten. Ob die Akademie mit dieser Beschreibung ihrem Präsidenten, Reinhard Hüttl, Chef des Geoforschungszentrums in Potsdam, oder dem ehemaligen RWE-Manager Fritz Vahrenholt, der im Leitungsgremium für die Position saß, eine Referenz erweisen will? Schwer zu sagen. Sicher ist, dass Vahrenholt Anfang des Jahres ein Buch veröffentlicht hat, das den Klimawandel auf die Sonnenaktivität zurückführt. Dabei belassen es die Autoren des Berichts dann auch nicht. Sie schreiben: „Obwohl der Wissensstand der Klimaforschung mittlerweile weit entwickelt ist, kann sich die Einschätzung bezüglich Detektion und Attribution zukünftig zumindest theoretisch noch ändern.“ Da hat es Professor Wolfgang Cramer (Institut Méditerranéen de Biodiversité et d'Ecologie marine et continentale, IMBE, Aix-en-Provence), Professor Hans von Storch (Helmholtz-Zentrum Geesthacht), Paul Becker (Deutscher Wetterdienst) und Professor Jürgen Schmidt (Fraunhofer Iwes, Kassel) dann gereicht. Sie traten aus der Projektgruppe aus. In einem Brief an Reinhard Hüttl begründeten die vier ihre Weigerung, das Papier noch mitzutragen: „Ein fundamentaler Dissens zwischen uns und den Aussagen des Papiers besteht in der Einschätzung der Belastbarkeit der Ergebnisse der physikalischen Klimaforschung.“ Im übrigen wehrten sie sich dagegen, dass die Minderung der Treibhasgasemissionen und die Anpassung an den Klimawandel in der Acatech-Position gleich gewichtet werden, obwohl es vom Ausmaß des Klimawandels abhängt, wie aufwändig die Anpassung daran ausfallen muss.

Nun ist die allerdings ungleiche Lagerbildung in der Klimadebatte auch in der deutschen Wissenschaft endgültig angekommen. Bemerkenswert daran: An der Acatech-Position hat am Ende kein Klimawissenschaftler mehr mitgearbeitet. Und die skeptischen Einschätzungen der Klimawissenschaft kommen aus anderen Forschungsdisziplinen und der Wirtschaft, die in der Acatech mitbeteiligt ist. Auf den Einfluss der Wirtschaft dürfte eine weitere etwas überraschende Einschätzung zurückgehen. Der größte Teil des Papier betont nämlich die überragende Wichtigkeit der Klimaanpassung. Und dann heißt es im letzten Satz: „Wirtschaftliche Prosperität sowie Forschung und Entwicklung sind von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Anpassungsstrategie, aber auch die notwendige Fähigkeit zur Veränderung.“ Weiter vorne wird vor „verfrühten Investitionsanstrengungen im Kontext möglicher multipler Klimaszenarien“ gewarnt.

Reinhard Hüttl versteht die Position in Verbindung mit den Acatech-Studien zur Bioenergie und der „Georessource Wasser“ als Beitrag zur politischen Politikberatung. Allerdings sind die Ratschläge sehr allgemein ausgefallen. Vieles, was Acatech fordert, passiert im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie und dem Anpassungszentrum Kompass beim Umweltbundesamt bereits seit 2011 beziehungsweise 2008. Gespräche mit dem Anpassungszentrum hat es nach Auskunft von Achim Daschkeit, Leiter von Kompass, nicht gegeben. Wobei er sich darüber gefreut hätte, denn mit den bisherigen Beratungsangeboten hat die UBA-Abteilung zwar Kommunen und Gebietskörperschaften erreicht, aus der Industrie gab es aber kaum Rückmeldung. „Vielleicht hätte die Akademie da einen besseren Zugang“, meint Daschkeit. In diesem Monat fand jedenfalls ein erster Workshop mit Industrievertretern statt, um auch in der Wirtschaft dafür zu werben, den Klimawandel in ihre Planungen einzubeziehen. Daschkeit ist zufrieden, dass die verantwortlichen Deichverbünde im Norden Deutschlands bereits angefangen haben, Klimazuschläge in ihre Deichinstandhaltungs- oder Sanierungsarbeiten einzubeziehen. In Hamburg werden die Deiche beispielsweise noch einmal um 80 Zentimeter erhöht. Angesichts der langen Planungszeiträume für solch kostspielige Infrastrukturen wie Deiche oder Jahrhunderprojekte wie einen klimawandelangepassten Waldumbau wundert sich Daschkeit über die Acatech-Einschätzung, dass der Klimawandel „langsam“ vonstatten gehe. Denn die durchschnittliche Erwärmung von etwa einem Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung in Deutschland erhöhe das Risiko von Extremwetterereignissen, die bereits heute die Schutzvorkehrungen für die Bevölkerung überfordern können.

In der Acatech-Position werden neben den möglichen Risiken auch die „Chancen für die Wirtschaft“ auf nicht näher beschriebene „neue Märkte“ betont. Als einziges konkretes Geschäftsfeld ist den Autoren das Ausflugslokal eingefallen. Als nächstes kündigen Acatech und die nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina übrigens einen „Masterplan für die Energiewende“ an.

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