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Politik: Klinsmanns Krise

Nach der 1:4-Niederlage gegen Italien hieß es, die jungen Spieler seien vielleicht dem Druck nicht gewachsen. Inzwischen steht fest, dass das gesamte Land dem Druck der FußballWeltmeisterschaft nicht gewachsen ist.

Nach der 1:4-Niederlage gegen Italien hieß es, die jungen Spieler seien vielleicht dem Druck nicht gewachsen. Inzwischen steht fest, dass das gesamte Land dem Druck der FußballWeltmeisterschaft nicht gewachsen ist. Vor ein paar Tagen forderten mehrere Bundestagsabgeordnete, dass sich der Bundestrainer in einer Mischung aus Rürup-Kommission und Moskauer Schauprozess vor ihnen rechtfertige. Darauf nahm ihn der Innenminister mit den Worten in Schutz: „Jürgen Klinsmann hat mein Vertrauen.“ Als wenige Tage später Klinsmann von Franz Beckenbauer kritisiert wurde, weil er nicht an einem Fifa- WM-Workshop teilgenommen hatte, stellte sich ein Staatssekretär desselben Innenministeriums hinter die Kritik: „Ich kann Herrn Beckenbauer in diesem Punkt absolut verstehen.“

93 Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft hat das Innenministerium noch nicht entschieden, ob Jürgen Klinsmann der Retter Deutschlands ist oder ein schlecht erzogener Aufschneider, der viel verspricht und wenig hält. Dem einen oder anderen geht es ähnlich. Und so wird alles, was gerade passiert, hochgerechnet auf die WM: Deisler spielt gegen Italien schlecht? Deisler wird auch bei der WM versagen! Klinsmann trägt bei der Pressekonferenz einen Seemannspulli? Klinsmann nimmt die WM nicht ernst! Klinsmann sitzt in Kalifornien am Strand, während wir hier den Schnee von den Plätzen schippen? Klinsmann brennt nicht!

Der Druck wird größer, denn dieser Druck ist nichts anderes als Glaube und Liebe und Hoffnung. Wie schön wäre es, wenn die deutsche Nationalmannschaft sich einmal nicht bis ins Finale durchschummelte, sondern sich an einem lauen Juliabend mit mutigen, eleganten Spielzügen im eigenen Land den Titel sicherte? Das ist der große, banale Wunsch. Im Fußball bündelt sich alles, was Deutschland an nationalem Ehrgeiz, an nationaler Leidenschaft noch geblieben ist. Es wäre in der Tat trostlos, wenn die große Erwartung nun zusammensacken würde zur Devise: Augen zu und durch, wir haben leider keine besseren Spieler.

Dieser Druck macht Angst, und die scheint im Moment nicht nur bei den deutschen Spielern zu überwiegen. So groß ist die Angst, dass sogar Trainerstars wie Klaus Toppmöller Ratschläge geben dürfen. Schuld daran trägt sicher auch Jürgen Klinsmann. Wenn dessen undiplomatischer Umgang mit dem DFB, Franz Beckenbauer oder auch der „Bild“ irgendwelche Rückschlüsse zulässt, dann die: Er ist ein schlechter Taktiker. Wendet man das auf die WM an, dann müsste man befürchten, er ließe die Mannschaft gegen Brasilien ohne Abwehr auflaufen. Lässt man die Hochrechnerei, dann ist wieder alles offen.

Dass Klinsmann seine Prinzipienfestigkeit durch Sturheit belegen muss, indem er nicht nach Deutschland zieht, ist eitel, aber egal. Dass seine Taktik nicht aufging und Matthias Sammer gegen seinen ausdrücklichen Willen Sportdirektor des DFB – und damit höchstwahrscheinlich sein Nachfolger – wurde, ist aber auch Ergebnis seiner Umgangsformen. Diplomatisches Fingerspitzengefühl ist für einen Bundestrainer hilfreich, aber schließlich auch nicht notwendig: Wie sonst hätte Franz Beckenbauer je Weltmeister werden können? Und auch soziale Kompetenz ist nicht unbedingt notwendig: Wie sonst hätte es der Trainer Berti Vogts geschafft, Europameister zu werden?

Auch auf Beckenbauer, sonst die Leichtigkeit in Person, scheint dieser Druck inzwischen zu wirken. Er, für den alle Kritik an der WM-Vorbereitung immer nur Schlechtmacherei ist, kritisiert wiederholt den Bundestrainer als schlecht erzogen. Doch seit wann muss man gut erzogen sein, um eine Mannschaft zum Erfolg zu bringen?

Die WM ist, wie Jürgen Klinsmann sagt, Beckenbauers „Baby“. Vermutlich ist Klinsmann selbst dann der Geburtshelfer. Dass die Eltern und Ärzte nun beim Ultraschall 93 Tage vor der Geburt ins Streiten geraten, sogar die Begabung ihres eigenen Kindes in Frage stellen, ist sogar verständlich. Der Druck, die großen Erwartungen. Es ist aber trotzdem sinnlos. Hochrechnen lässt sich schließlich nichts.

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