zum Hauptinhalt

Politik: Koalition der Willigen

Von Gerd Appenzeller

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel das Kabinett heute über die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels informiert, ist ihre Regierung genau vier Wochen im Amt. Eine von dringenden Entscheidungszwängen freie Einarbeitungszeit hat ihr die politische Agenda nicht gegeben. Neben dem Planbaren, aber alles andere als routinebehafteten wie den Antrittsbesuchen bei den Nachbarn war plötzlich im Streit um die europäischen Finanzen ein Vermittlertalent der deutschen Regierungschefin gefordert, das sie bis dahin noch nicht unter Beweis stellen musste. Vor allem aber die CIA-Affäre und die Entführung von Susanne Osthoff im Irak ließen Merkel und ihren Ministern, allen voran Frank-Walter Steinmeier und Wolfgang Schäuble, keine Ruhepause.

Dennoch wirkt Merkels Mannschaft nicht außer Atem, sondern macht den Eindruck großer Professionalität. Beim EU-Gipfel hat die deutsche Regierung offenbar wieder zu jener Politik der Vertrauensbildung und des Ausgleichs zurückgefunden, die in den Zeiten Helmut Schmidts und Helmut Kohls verlässliche Orientierungspunkte für die europäische Integration waren. Die Geiselnahme kam zu einem guten Ende, der Krisenstab des Auswärtigen Amtes hat – das sei zu Ehren Joschka Fischers angemerkt – in der seit Jahren gewohnten Diskretion und mit hoher Kompetenz gewirkt. Lediglich bei der CIA-Affäre, von der sozialdemokratische Regierungsmitglieder aus früheren Tätigkeiten Kenntnis hatten, bleibt das Gefühl, hier sei das Falsche im Richtigen toleriert worden. Weil die Regierung Schröder inhaltlich mit der Ablehnung des Irakkrieges gegenüber den USA bis an die Grenze ging, im Stil aber deutlich über diese hinaus, fehlte ihr offenbar doch der Mut, Unrecht auch als Unrecht zu benennen.

Anders als bei Rot-Grün 1998 hat man diesmal nicht den Eindruck, die neue Regierung stolpere in die Verantwortung hinein. Natürlich müssen sich gerade Journalisten, wenn sie am Ende der Ära Schröder/Fischer aus ihrem Missmut kein Hehl mehr machten, nun hüten, vorschnell-devot die Nachfolgeregierung zu verklären. Aber vor sieben Jahren war unverkennbar, dass die SPD sich nach anderthalb Jahrzehnten Opposition erst wieder an Verantwortung gewöhnen musste, während die Grünen Pflichten im Bund überhaupt zum ersten Mal zu tragen hatten. Für Union und SPD war nun, Ende 2005, alles weniger oder überhaupt nicht neu – und so zeigte sich denn auch niemand überfordert.

Noch etwas ist anders. Die neue Regierung tritt von Anfang an bescheidener auf als die alte, nüchterner, sachlicher. Der viel zu weite Wintermantel, in dem Angela Merkel mit dem Premierminister von Singapur eine Ehrenformation der Bundeswehr abschritt, ist auf geradezu rührend-sympathische Weise Symbol dafür. Es war in jeder Beziehung das Gegenstück zu dem von Gerhard Schröder bevorzugten Brionituch – wobei nichts gegen elegant gekleidete Kanzler spricht.

So wie sich Angela Merkel in der Europapolitik vom Vorbild ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl leiten lässt, ist Frank-Walter Steinmeier Erbe von Helmut Schmidt. Für Kanzlerin und Außenminister hat Regierungshandeln unaufgeregt, pragmatisch und zielorientiert zu sein. Ihr Auftreten entspricht schwieriger gewordenen Zeiten. Wo Rot-Grün sich 1998 noch als zukunftsgestaltendes Projekt sah, bescheiden sich Union und Sozialdemokraten nun damit, zunächst einmal die Gegenwart zu ordnen – eine Koalition der Willigen ganz anderer Art.

-

Zur Startseite