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Aussichtslos. Kein Verlass sei auf Bürgermeister Christoph Ahlhaus und seine CDU, klagt Senatorin Christa Goetsch von den Grünen. Glücklich sahen die beiden schon länger nicht mehr aus.

© p-a/dpa

Koalitions-Aus: Schwarz-grüne Kollision in Hamburg

Das erste Bündnis der beiden Parteien auf Landesebene: CDU und Grüne in Hamburg, das war eine Chance – und ein Experiment. Eines, das scheiterte. Die Grünen steigen aus, fordern Neuwahlen. "Machttaktik", ätzt die Konkurrenz in Berlin und im Land.

Von Robert Birnbaum

Mit großen Worten haben sie’s nicht so in Hamburg. „Dies ist kein Experiment, sondern eine Chance“, hat Ole von Beust vor zweieinhalb Jahren gesagt, als er seine Unterschrift unter den Vertrag setzte. Man hätte ihm das sogar fast glauben können, wenn dem CDU-Mann und der Grün-Alternativen Anja Hajduk dabei nicht von hinten, in Öl gemalt, einige Herren aus früheren Jahrhunderten mit steifgefältelter Senatorenhalskrause streng über die Schulter geschaut hätten.

Es war ein Experiment. Seit diesem Wochenende hat es keine Chance mehr. Schwarz-Grün an der Elbe ist gescheitert. Die Gründe sind banal. Die Folgen sind es nicht.

„Wir streben Neuwahlen an“, sagt Jens Kerstan, Fraktionschef der Grün-Alternativen Liste (GAL). Die Pressekonferenz am Sonntagmittag im Orient-Saal eines schicken Hotels in Eimsbüttel kommt aus heiterem Himmel. Eine wirkliche Überraschung ist sie allerdings nicht.

Im Sommer war von Beust zu dem Schluss gekommen, dass er jetzt genug wertvolle Lebenszeit der Politik geopfert hat. Knapp einhundert Tage später, sagt Kerstan, müsse man feststellen, dass der Neustart unter dem neuen CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus nicht gelungen sei. „Absprachen und Abmachungen waren nicht belastbar“, klagt Schulsenatorin Christa Goetsch. Auch in der Sache, ergänzt Justizsenator Till Steffen, habe es zunehmend Entfremdung gegeben: Streit über den CDU-Sparkurs in der Kultur, Zank über die Ablösung von Dirk Jens Nonnenmacher, des Chefs der Krisenbank HSH Nordbank.

Zuletzt ausgelöst hat den Bruch der fünfte CDU-Rücktritt in nur acht Monaten, der des Finanzsenators Carsten Frigge, – oder, um genauer zu sein: die Umstände, unter denen er ausschied. Frigge musste gehen, weil die Staatsanwaltschaft in seiner Heimat Rheinland-Pfalz ihn in die dortige CDU-Parteienfinanzierungsaffäre verwickelt sah. Die Grünen fanden den Mann sowieso eine Fehlbesetzung. Aber dass die CDU glaubte, den Koalitionspartner erst eine Viertelstunde vor Frigges Rückzug informieren zu müssen, war zu viel.

Als sich Fraktion und Landesvorstand der GAL am Samstag zur Klausur trafen, gab es dort niemanden mehr, der für ein Weiter so plädierte. Spät am Abend hoben alle die Hand für den Ausstieg. „Es gab nicht den großen Punkt, an dem sich der Unmut entzündet hätte“, sagt ein Teilnehmer der Sitzung. „Es hat einfach nur nicht mehr funktioniert.“ Weniger eine Frage der Inhalte also, sondern eine Frage der Mechanik. Von Beust und seine Leute hätten selbst dann noch ein inneres Vertrauensverhältnis aufrechterhalten, als das Bündnis in der Volksabstimmung über die Schulpolitik eine schwere Niederlage hinnehmen musste. Unter dem Nachfolger Ahlhaus, bis dahin Innensenator, erodierte der Zusammenhalt.

„Selbst wenn wir uns auf etwas verständigt hatten, hatten wir das Gefühl, die würden es wieder nicht richtig umsetzen“, sagt ein Grün-Alternativer. Aus bösem Willen? Nein, sagt der Mann. Aus Unfähigkeit. Die CDU hat es ja nicht mal geschafft, über den Rücktritt des Finanzsenators ihre eigenen Bürgerschaftsabgeordneten vollzählig zu informieren. Einige haben es von der SPD erfahren.

So banal kann ein Experiment scheitern. Abgenutzt, genervt, aufgerieben im Alltag. Aber – das gehört der Vollständigkeit halber erwähnt – auch ohne starkes Motiv, trotzdem weiterzumachen. Jeder der Partner mag für sich das eine oder andere Projekt gehabt haben, das er gerne zu Ende geführt hätte. Gemeinsam hatten sie keins mehr.

„Ich bin überrascht und enttäuscht“, sagt Christoph Ahlhaus am Sonntag, bevor er in den eilends einberufenen CDU-Landesvorstand entschwindet. Überrascht sind sie alle, auch in Berlin. Enttäuscht allerdings – nein, dass die politische Szene der Republik enttäuscht wäre über das Ende dieses Muster-Bündnisses, das kann man nun wirklich nicht sagen.

Christian Lindner ist der Erste, der in Berlin die Sprache wiedergefunden hat. Das ist kein Wunder. Für die FDP ist Schwarz-Grün die Mesalliance in Reinform. „Aus purer Machttaktik“, ätzt der Generalsekretär, hätten die Hamburger Grünen das Bündnis gesprengt, „um noch schnell die guten Umfragen im Bund zu nutzen, bevor die Blase platzt.“ Lindner wartet auf nichts sehnlicher als auf diesen zweiten Knall. Dass die Grünen den historischen Platz der Freidemokraten als Partner der Union einnehmen könnten, gehört zu den übelsten unter den liberalen Albträumen.

Der FDP-Mann also hat allen Grund zur Freude. Er bleibt nicht der Einzige. Dieser Sonntag ist der Tag derer, die es immer schon gewusst haben. Die meisten von denen haben allerdings recht durchsichtige Motive. Kurt Beck zum Beispiel. Der SPD-Mann will Ende März eine Landtagswahl in Rheinland-Pfalz gewinnen. Wenn irgendetwas ihn ernsthaft am Weiterregieren hindern könnte, dann wäre das ein schwarz-grünes Bündnis. „Es gibt keine zukunftsfähige und tragfähige politische Schnittmenge zwischen Grünen und CDU“, sagt Beck.

Oder nehmen wir den baden-württembergischen SPD-Spitzenkandidaten, der Nils Schmid heißt, was aber bisher selbst im Ländle erst wenige wissen. „Hamburg zeigt ganz klar: Schwarz-Grün ist tot, nicht nur in Hamburg“, frohlockt Schmid.

Oder lassen wir Hannelore Kraft zu Wort kommen, die SPD-Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, die den Schritt der Grünen „konsequent“ findet und im Übrigen ganz allgemein den Beweis geführt sieht, „dass bei schwarz-grünen Koalitionen die gemeinsame Basis fehlt“. Was, um den Reigen erst mal abzuschließen, ihr Landsmann Wolfgang Bosbach trotz CDU-Parteibuch ausnahmsweise genauso sieht: „Hamburg ist nun wirklich kein Indiz dafür, dass Schwarz-Grün ein Erfolgsmodell wäre.“

Das klingt ja plausibel, zumal die Distanz zwischen Schwarzen und Grünen in der letzten Zeit ohnehin gewachsen ist. Da ist die Atompolitik. Da sind die Protestaktionen von Gorleben bis Stuttgart 21. Da ist die Kanzlerin, die ihrem Parteitag mitgeteilt hat, dass es ein „Hirngespinst“ wäre, von Schwarz-Grün als Alternative zu Schwarz-Gelb zu träumen. Das klang allerdings kategorischer, als es gemeint war – die CDU-Chefin will bloß verhindern, dass noch mehr bürgerliche Wähler mit gutem Gewissen bei den Grünen ihr Kreuzchen machen statt bei der CDU. Dass Merkel, wo immer sie kann, neuerdings die Grünen als politische Konjunkturritter hinstellt, die Ökostrom fordern und zugleich gegen Ökostromleitungen demonstrieren, gehört in die gleiche Abteilung: Vorwahlkampf.

Vielleicht ist es deshalb ja auch ein bisschen zu früh, Schwarz-Grün nach dem Hamburger Debakel gleich zum Muster ohne Wert zu erklären? Vielleicht hat es ja seine Gründe, dass die Berliner Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast sagt, die Hamburger Grünen hätten „eine mutige und richtige Entscheidung für Hamburg“ getroffen – mit hörbarer Betonung auf diesem „für Hamburg“? Vielleicht ist es auch kein Zufall, dass der baden-württembergische Grünen-Spitzenmann Winfried Kretschmann erst mal gar nichts zu den Vorgängen an der fernen Nordseeküste sagt?

Dort geben sie sich jetzt zunächst, was hilft es, kämpferisch. Ahlhaus sagt, dass er keine Angst vor Neuwahlen habe, was wahrscheinlich nicht stimmt. Erstens überlegt nämlich die Bürgerinitiative gegen die schwarz-grüne Schulreform noch, ob sie ihren überraschend klaren Erfolg nicht in eine Partei-Neugründung ummünzen soll. Dass es dafür ein hinreichend großes Potenzial an rechtskonservativen Wählern in der Hansestadt gibt, ist seit den Erfolgen von Irrlichtern wie der Schill- und der Statt-Partei aktenkundig. Zweitens ist der Zeitpunkt für die CDU ungünstig, weil sie in den Umfragen an der Elbe nicht gut dasteht. Und es bleiben nur wenige Wochen, daran etwas zu ändern. Nach dem von der Verfassung diktierten Zeitplan sieht alles nach einem Wahltermin am 20. Februar aus.

Die GAL steht aber übrigens auch nicht wirklich gut da – die letzte Umfrage sah sie um die zehn Prozent, weit unter den demoskopischen Höhenflügen der Bundespartei. Der Vorwurf, die Grünen hätten die Koalition gesprengt, um von der günstigen Stimmung zu profitieren, geht im konkreten Fall deshalb leicht daneben. Die besten Chancen kann sich die SPD ausrechnen.

Am Nachmittag tritt Olaf Scholz im Kurt-Schumacher-Haus, der SPD-Zentrale seiner Heimatstadt, vor die Presse. Der SPD-Bundesvize hat sich lange nicht festlegen wollen, ob er antritt; jetzt muss er sich entscheiden. „Ich will Bürgermeister werden“, sagt Scholz. In Hamburg, wie gesagt, haben sie’s mit großen Worten nicht so.

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