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In sich gekehrte Bundeskanzlerin. Angela Merkel am Montag im Plenarsaal des Bundestages.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Koalitionsgespräche: Wie eng Merkels Spielraum ist

Die Union hält am Ergebnis der Sondierungen mit der SPD als Gerüst eines Koalitionsvertrags fest. Über „Details“ aber will sie reden.

Von Robert Birnbaum

Wolfgang Steiger ist auf seine Art ein Extremist. Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats verficht einen Kurs, der mit „Firmen first“ noch freundlich beschrieben wäre. Außerdem kann er Angela Merkel nicht leiden. In den vergangenen Wochen hat Steiger einen neuen Weg gefunden, beide Leidenschaften zu verbinden. Praktisch im Tagestakt fordert er die Kanzlerin auf, lieber mit Minderheit zu regieren als noch mal mit der SPD. Auch der Montag nach dem gequälten Ja des SPD- Parteitag zu Verhandlungen über eine große Koalition macht da keine Ausnahme. Vordringlich erscheint Steiger jetzt freilich eine andere Botschaft: Wenn denn schon wieder eine Groko für die Wirtschaft zum „enorme Belastungstest“ werden solle, dann ohne weitere Zugeständnisse an die Sozialdemokraten.

Gilt es oder gilt es nicht?

Auf den ersten Blick scheint er damit im Mainstream der Union zu liegen. „Das Sondierungsergebnis gilt“, sagt etwa der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier; auch andere CDU-Spitzenleute bis hin zur Chefin selbst zeigen sich abweisend. Das CSU-Präsidium in München fasst sogar einen förmlichen Beschluss. „Ich sehe da keine Möglichkeit“, kommentiert Parteichef Horst Seehofer die drei Nachforderungen der SPD.

Schaut man allerdings genauer hin, lassen die CDU-Stimmen allerlei Raum. „Wer jetzt versucht, einzelne Teile wieder komplett aufzumachen, der macht das gesamte Paket wieder auf, und das wird nicht gelingen“, sagt etwa Bouffiers saarländische Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer. Von „komplett“ ist in den SPD-Beschlüssen aber gar keine Rede. Merkel selbst hatte in einer ersten Reaktion das Sondierungspapier als „Rahmen“ bezeichnet, über dessen „Details“ noch zu reden sei – auch diese Formel öffnet Raum. Am Weitesten geht am Montag früh im Deutschlandfunk der neue sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer: „Man kann über alles reden.“

Entgegenkommen der Union - um die SPD-Basis zu befrieden

Tatsächlich galt in der CDU-Führung schon vor dem SPD-Parteitag in Bonn als ausgemacht, dass man dem alten und neuen Partner in den Koalitionsverhandlungen noch entgegenkommen muss, um am Schluss die Zustimmung der sozialdemokratischen Basis zu sichern. Niemand will bestätigen, dass bei den Sondierungen bewusst Luft gelassen worden ist; aber gemessen daran, wie intensiv vorher in der CDU-Führung etwa über die Gesundheitspolitik beraten worden ist, fällt das Kapitel im Sondierungspapier doch recht knapp aus.

„Regieren hat seinen Preis“, fasste einer aus der CDU-Spitze vorige Woche schulterzuckend zusammen. Dass Martin Schulz in Bonn nur knapp am Untergang vorbeischrammte, lässt den Preis noch steigen. Der SPD-Chef, angeschlagen und immer öfter mit genervt zuckenden Mundwinkeln, muss Erfolge liefern. Kein Verantwortlicher in der CDU will riskieren, dass die SPD-Mitglieder die Groko doch noch platzen lassen.

Merkel hatte das Szenario offenbar vor Augen, als sie nach der langen Schlussnacht der Sondierungen vorhersagte, die Koalitionsverhandlungen würden nicht weniger hart. Die CDU-Chefin selbst hat zwar wenig Probleme mit Zugeständnissen, wenn sie dabei helfen, Regierungschaos und Neuwahlen abzuwenden. Um so kritischer aber wird sie in den eigenen Reihen beäugt.

Die Landtagswahlen wirken wie ein Damoklesschwert

Der hartnäckigste Widerstand gegen sozialdemokratische Nachbesserungen zeichnet sich auch in der zweiten Halbzeit der Groko-Gespräche wieder aus Bayern ab. Der CSU sitzt die Landtagswahl im Oktober im Nacken und mit ihr die Angst, dass die AfD nach ihrem Triumph bei der Bundestagswahl im Süden weiter stark bleibt. Aber auch Bouffier muss in Hessen noch in diesem Jahr in eine Wahl ziehen, bei der seiner schwarz-grünen Koalition das Aus droht. Dass er sich härter zeigt als andere Christdemokraten, hängt sicher auch damit zusammen, dass sein SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer- Gümbel den Nachforderungskatalog der SPD mit ausgeheckt hat.

Hauptsache: Überhaupt eine Regierung

Merkel steht also wieder vor einem Balanceakt. Für Seehofer wird jedes Zugeständnis noch schwerer. Aber für beide steht nach Jamaika-Aus und den schwierigen Sondierungen letztlich das Ziel im Vordergrund, dass überhaupt eine Regierung zustande kommt. Nicht um jeden Preis natürlich. Aber dass Steiger und sein Wirtschaftsrat wieder jeden roten Heller beklagen werden, das ist im Preis seit Jahren schulterzuckend inbegriffen.

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