zum Hauptinhalt
Alle gemeinsam, jeder für sich. FDP-Chef Rösler, Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer (v. l.) verkünden ihre Pläne zur Entlastung der Bürger.

© dapd

Koalitionsgipfel: Was Sie von den Steuerbeschlüssen haben

Am Wochenende schnürte Schwarz-Gelb ein Paket aus Steuerentlastung, Betreuungsgeld und erhöhtem Pflegebeitrag. Es soll Ruhe in die Koalition bringen. Aber nützt es auch den Bürgern?

Von

Steuerentlastung

Eigentlich wollte die schwarz-gelbe Koalition ab 2013 die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Wenn Inflation und „kalte Progression“ im Einkommensteuerrecht dafür sorgen, dass die Steuerzahler jedes Jahr kleine Nettolohneinbußen hinnehmen müssen, wenn sie keine Lohnerhöhung erhalten und auch bei Lohnanhebungen einen größeren Teil des Zuverdienstes beim Finanzamt abgeben müssen, dann betreffe das vor allem sogenannte Kleinverdiener, lautete die Argumentation von Union und FDP. Keinesfalls sollten allerdings Gutverdiener entlastet werden. Dieses Ziel haben die Koalitionäre am Sonntag jedoch verfehlt. Sie haben beschlossen, 2013 und 2014 den Grundfreibetrag der Einkommensteuer anzuheben und die progressive Tarifkurve in jedem der beiden Jahre ein wenig zu verschieben. Dadurch werden zwar auch die Verdiener von kleinen und mittleren Einkommen entlastet. Die Besserverdiener aber ebenso.

Wobei die Anhebung des Grundfreibetrages ein grundgesetzliches Gebot ist. Die Verfassung stellt sicher, dass bei jedem Steuerzahler das sogenannte Existenzminimum (das sich am Sozialhilfesatz orientiert) nicht besteuert wird. Und weil Preissteigerungen dazu führen, dass sich das Existenzminimum ändert, ist die Regierung seit Ende der 90er Jahre aufgefordert, auch das steuerliche Existenzminimum alle zwei Jahre zu überprüfen und anzuheben. Derzeit beträgt es 8004 Euro für Alleinverdiener, das Doppelte bei Verheirateten. In zwei Schritten soll es nun um 110 Euro (2013) und 240 Euro (2014) angehoben werden. Gleichzeitig wird die gesamte Steuerkurve verschoben, um den einem progressiven Steuerverlauf prinzipiell innewohnenden Effekt namens „kalte Progression“ zu dämpfen.

Der Bund der Steuerzahler hat am Montag zusammengetragen, wer welche Entlastung zu erwarten hat. Ein alleinstehender Kleinverdiener, der brutto im Monat 1170 Euro (bei 12 Monatseinkommen pro Jahr) verdient, spart danach im kommenden Jahr monatlich 1,58 Euro im Monat und ab 2014 im Vergleich zu heute 61 Euro im Jahr, also 5,08 Euro im Monat. Wer rund 1670 Euro brutto im Monat verdient, darf ab 2014 mit monatlichen Einsparungen von neun Euro rechnen.

Das Bundesfinanzministerium hat am Montag zur praktischen Wirkung der Beschlüsse der Koalition vom Vortag angegeben, dass die Steuerbürger „im Durchschnitt um 20 bis 25 Euro“ entlastet würden. Nach den Berechnungen des Bundes der Steuerzahler müsste ein solcher „Durchschnittsverdiener“ nach der Definition des Finanzministers brutto rund 4580 Euro im Monat verdienen.

Im Geldbeutel richtig bemerkbar machen wird sich die Steuersenkung jedoch erst bei ledigen Steuerzahlern, deren Monatseinkommen bei brutto 5300 Euro und darüber liegt. Denn sie werden ab 2014 um monatlich 30 Euro entlastet, was sich auf eine Jahresentlastung von 364 Euro summiert. Antje Sirleschtov

Wer vom Betreuungsgeld profitiert, lesen Sie auf Seite 2 ...

Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken, sollen Betreuungsgeld bekommen.
Eltern, die ihre Kinder nicht in die Kita schicken, sollen Betreuungsgeld bekommen.

© dapd

Betreuungsgeld

Kaum hatte die Koalition am Sonntag beschlossen, mit dem Betreuungsgeld eine neue Familienleistung zu schaffen, sahen sich berufstätige oder arbeitswillige Eltern kleiner Kinder zu Wochenanfang mit einer schlechten Botschaft konfrontiert: Die Bundesländer werden voraussichtlich das Ziel deutlich verfehlen, im Jahr 2013 für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz anzubieten, meldete die „Süddeutsche Zeitung“.

Das Tempo des Ausbaus der Betreuungsplätze habe in den Ländern „eher abgenommen als zugenommen“, bestätigte der Sprecher des Bundesfamilienministeriums, das die Bundeszuschüsse für den Ausbau verwaltet. Von 2,15 Milliarden Euro, die der Bund für den Ausbau versprochen hat, wurden bis Oktober erst 1,24 Milliarden Euro abgerufen. Damit ist es unwahrscheinlich, dass es in den verbleibenden zwei Jahren bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz gelingt, weitere 250 000 Betreuungsplätze in Kitas oder bei Tagesmüttern zu schaffen und damit die Betreuungsquote von 35 Prozent zu erreichen, auf die sich Bund und Länder im Jahr 2007 verständigt hatten. Ministerin Kristina Schröder (CDU) warf den Ländern mangelndes Engagement vor und forderte sie auf, das gemeinsam vereinbarte Ziel auch zu erreichen.

Die Statistik zeigt große Unterschiede zwischen den Ländern: Während etwa Nordrhein-Westfalen bislang nur für 15 Prozent der Ein- bis Dreijährigen einen Betreuungsplatz geschaffen hat, steigerte sich das ebenfalls SPD-regierte Rheinland-Pfalz in nur einem Jahr auf 25 Prozent.

Ob im Jahr 2013, wenn viele Eltern oder Alleinerziehende weiter auf einen Betreuungsplatz für ihr Kind warten müssen, dann die Zahl der Betreuungsgeld-Bezieher drastisch steigt, kann heute niemand sagen. Der Grund: Über die künftigen Empfänger der neuen „Anerkennungs- und Unterstützungsleistung“ (so der Koalitionsbeschluss) gibt es noch keinerlei Vereinbarung. Die Streitpunkte wurden ausgeklammert. Völlig offen ist, ob nur solche Mütter oder Väter monatlich 100 Euro (ab 2013) und 150 Euro (ab 2014) erhalten, deren Kinder keine öffentliche Betreuung in Anspruch nehmen, und ob auch Teilzeitbeschäftigte in den Genuss der Zahlung kommen, wie es die Familienministerin vorgeschlagen hatte. Offen ist auch, wie Fehlanreize und Mitnahmeeffekte verhindert werden können. FDP-Generalsekretär Christian Lindner forderte, „andere Sozialleistungen“ gegenzurechnen. Stimmt die Union zu, könnten etwa Hartz-IV-Familien aus dem Kreis der Berechtigten herausfallen.

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg kündigte an, sie werde im Bundesrat, wo Schwarz-Gelb keine Mehrheit hat, gegen das Betreuungsgeld stimmen. Allerdings ist bislang auch noch völlig unklar, ob die neue Transferzahlung in der Länderkammer überhaupt zustimmungspflichtig sein wird. Hans Monath

Was sich bei der Pflegeversicherung ändert, lesen Sie auf Seite 3 ...

Pflegebeitrag

Kurz vor Ablauf des selbst ausgerufenen „Jahres der Pflege“ hat sich die Koalitionsspitze doch noch verständigen können. Die Kernpunkte: eine Beitragserhöhung um 0,1 Prozentpunkte, die von 2013 an 1,1 Milliarden Euro für die bessere Versorgung von Demenzkranken bringen soll. Die Freiheit, statt der üblichen „verrichtenden“ Pflegeleistungen auch mal nur reine Betreuung in Anspruch nehmen zu können. Und eine freiwillige, staatlich geförderte Risikoversicherung für ein wenig Besserstellung im Fall späterer Pflegebedürftigkeit.

Gesundheitsminister Daniel Bahr feiert die Einigung als „starkes Signal“. Tatsächlich aber fließt für die 1,2 Millionen Demenzkranken mit der Mini-Beitragserhöhung deutlich weniger Geld als erwartet. Und auch mit der Forderung, die Pflege-Zusatzversicherung verpflichtend zu gestalten, konnte sich die FDP nicht durchsetzen. Es sei ihm am Ende wichtiger gewesen, diese Vorsorge aus dem Umlagesystem herauszubekommen und so vor möglichem Staatszugriff zu sichern, sagte der Minister. Dafür habe er die Freiwilligkeit in Kauf genommen.

Details der Förderung blieben am Montag noch offen. Es ist aber klar, dass die Vorsorge für den Pflegefall nicht nur steuerlich abzugsfähig sein, sondern wie bei der Riester-Rente auch mit festen Förderbeträgen honoriert werden soll. Schließlich wolle man auch Geringverdiener mit ins Boot bekommen, sagt Bahr. Mit dem Angesparten lasse sich später etwa der Eigenanteil für die teure stationäre Pflege verringern. Das Geld soll aber nur fließen, wenn es benötigt wird. Die Verwendung für andere Zwecke ist ebenso wenig möglich wie ein Vererben.

Die bessere Versorgung Demenzkranker ist nicht gekoppelt an die Beitragserhöhung zum Jahr 2013. Da die Pflegekassen noch Luft haben, kann sie bereits früher erfolgen. Als Ziel nannte es der Minister, das Reformgesetz im ersten Halbjahr 2012 in Kraft treten zu lassen. Mit dem neuen „Pflegebedürftigkeitsbegriff“, der Altersverwirrte systematisch besserstellen soll, wird es allerdings deutlich länger dauern. Bahr hofft, dass der zuständige Regierungsbeirat damit in dieser Legislatur zu Ende kommt, will ihm aber keine Frist setzen. Gleichzeitig machte der FDP-Politiker deutlich, dass die 1,1 Milliarden für die angestrebte Systemänderung wohl nicht ausreichen werden. Darüber sei aber später zu entscheiden.

Der Beirat hat bereits errechnet, dass eine bessere Eingruppierung von Dementen in die Pflegeversicherung bis zu vier Milliarden Euro mehr kosten könne. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach forderte Beiratschef Jürgen Gohde zum Rücktritt auf. Nachdem feststehe, dass es für Pflegebedürftige „nicht mehr als ein Almosen“ gebe, dürfe sich der renommierte Berater nicht länger „als Feigenblatt“ instrumentalisieren lassen, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel.

Zur Startseite