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Koalitionsstreit bei Griechenlandhilfe: Wem was dämmert

Eine Kanzlermehrheit ist auch ein Symbol, und Politik lebt von solchen Symbolen. Nun ist sie weg, hinweggefegt von der Abstimmung zur Griechenlandhilfe. Macht nichts, sagen auch die, die es besser wissen müssten.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Wahrscheinlich hat es auch daran gelegen, dass Peter Altmaier diesmal keine Zeit zum Kochen hatte. Als der Bundestag im vorigen September über den Euro-Rettungsfonds EFSF abstimmte, hat Angela Merkels Fraktionsgeschäftsführer am Vorabend eine Handvoll Zweifler zu sich eingeladen und vier komplette Gänge lang beköstigt. Wer den umfangreichen Saarländer sieht, kann leicht ermessen, wie gut der das kann. Damals hat die Koalition mit Kanzlermehrheit dem umstrittenen Rettungspaket zugestimmt.

Aber an diesem Montag ist einfach keine Zeit zum Kochen geblieben: morgens interne Sitzungen, nachmittags Sondersitzung der Fraktion, direkt danach Regierungserklärung der Kanzlerin, Debatte, Abstimmung. Und so kommt es, dass Peter Altmaier Dienstagfrüh erklären muss, weshalb eine Kanzlermehrheit so wichtig nun auch wieder nicht sei. Besonders jetzt, wo sie weg ist. „Nicht jeder Regenschauer“, sagt Altmaier, „ist der Vorbote des Weltuntergangs.“

Der kalte Guss ist am Montagabend in Gestalt des Abstimmungsergebnisses für das Griechenland-II-Paket über der Koalition niedergegangen. 330 Abgeordnete stellen Union und FDP im Bundestag. 311 Stimmen beträgt die Kanzlermehrheit, also die Mehrheit aller Sitze im Plenum. 19 Abweichler wären folgenlos geblieben. Es waren aber 20. Die verbliebene schwarz-gelbe Mehrheit hätte immer noch gereicht, um das Hellas-Paket alleine zu beschließen. Aber eben nicht mehr mit der Kanzlermehrheit.

Seither freut sich die Opposition. „Kanzlerdämmerung“ schallt es von allen Seiten. Wobei man vermerken sollte: Lautes Kampfgeschrei ist das nicht, eher süffisantes Feixen. In Europa die Königin, daheim von den eigenen Leuten angeschlagen – schöne Truppen haste, Kanzlerin!

Übrigens haben sie das Unglück vorher kommen sehen bei CDU, CSU und FDP. Schon am Freitag hat Altmaier von etlichen Abgeordneten eine SMS empfangen, dass sie die Griechen-Milliarden nicht billigen. Am Montag sind weitere gekommen und haben gesagt, Peter, damit ihr Bescheid wisst, ich mach nicht mit. Formal wäre die Meldung nicht nötig gewesen – die Arbeitsregeln der Unionsfraktion sind in diesem Punkt ein bisschen kompliziert. Aber Altmaier hat sich das Ergebnis ausrechnen können. In der Fraktionssitzung hat er dann gesagt, dass dem Milliardenpaket eine breite Mehrheit sicher sei, „das hängt nicht von einzelnen Stimmen ab“. Leider haben das einige der Nein-Sager und Enthalter dahingehend missverstanden, dass ihre Gewissensentscheidung sozusagen nichts wert sei. Es gab einige Unruhe im Saal.

Weitere Versuche, die Abweichler von der Vergeblichkeit ihres Tuns zu überzeugen, hat danach lieber keiner mehr unternommen. Ohnehin wirkte selbst die Unionsführung der ewigen Griechenland-Debatten müde, ja fast etwas resigniert. Dass der Finanzminister im Bundestag auf dem iPad Sudoku spielt, mag Zufall sein, passt aber genauso in dieses Bild wie Merkels Regierungserklärung, die keinen vom Hocker reißt.

Nur ein besonders prominenter Kurzzeit-Dissident musste vorher zurück auf Linie. Kurz vor der Abstimmung steht Hans-Peter Friedrich eingekeilt in einem Kamerapulk vor der Fraktion. Der Innenminister von der CSU hat mit zwei Sätzen im „Spiegel“ den Eindruck erweckt, dass Angela Merkel sogar schon die Kabinettsmitglieder von der Fahne gehen. Man solle doch, hatte der Franke vorgeschlagen, die Griechen vermittels geeigneter Anreize dazu bringen, von selbst die Euro-Zone zu verlassen.

Merkel lässt ihren Sprecher ausrichten, dass das nicht die Haltung der Regierung sei. Das Regierungsmitglied Friedrich muss Haltung annehmen. Doch doch, natürlich, er werde dem Hellas-Hilfspaket zustimmen: „Es ist vorläufig das Beste.“

Friedrich hat aber wirklich nicht vorgehabt, sich zu verweigern. Er hat bloß im CSU-Stimmengewirr einen Vorschlag zur Güte machen wollen zwischen den einen, die die Griechen am liebsten sofort rauswerfen würden, und den anderen, die das völlig falsch finden. Der Versuch ist gründlich schiefgegangen. Das Stimmengewirr ist ebenfalls noch da. Drei Stunden hat die CSU-Landesgruppe Montagfrüh kontrovers über das Thema debattiert. Irgendwann hat der Abgeordnete Max Straubinger sicherheitshalber nachgefragt, wofür die CSU denn jetzt eigentlich sei: für das Hellas-Paket oder dagegen? Zuletzt sind fünf auch aus der CSU dagegen.

Am Dienstagnachmittag steht Rainer Brüderle vor den Türen der FDP-Fraktion im Reichstag und erteilt stoisch Nachhilfe in Staatsbürgerkunde. „Kanzlermehrheiten braucht man für die Wahl von Kanzlern“, doziert der FDP-Fraktionschef. „Für normale Gesetze reichen normale Mehrheiten.“ Die Griechenlandhilfe sei ein normales Gesetz, dafür habe die Koalition die Mehrheit gehabt, auch ohne die ansonsten dankenswerte Unterstützung von SPD und Grünen. Der Rest sei eine „völlig deplatzierte Überhöhung“. Darüber kann man streiten, weil eine Kanzlermehrheit auch ein Symbol ist und Politik stark von solchen Symbolen lebt. Aber noch interessanter ist, was Brüderle nicht sagt. Er sagt zum Beispiel nicht: „Wir sehen mit Sorge, dass die Zustimmung zum Euro-Kurs der Bundesregierung innerhalb der Unionsfraktion ganz offensichtlich kontinuierlich schwindet.“ Mit dem Satz hat der FDP-Generalsekretär Patrick Döring am Abend vorher auf die abhandengekommene Kanzlermehrheit reagiert. Objektiv ist das richtig, bei der FDP haben nur die üblichen vier Verdächtigen mit Nein gestimmt und einer sich enthalten. Trotzdem ist es kein netter Satz. Im Klartext heißt er: Die sind schuld, nicht wir.

Brüderle sagt nicht, dass er solche Sätze im Moment für relativ dämlich hält; aber sein ganzer Auftritt legt diesen Gedanken doch nahe. In der CDU sind viele auf die FDP im Moment nicht gut zu sprechen. Dass die Freidemokraten die CDU- Vorsitzende Merkel bei der Bundespräsidentenkür blamiert haben, dafür haben die meisten noch so etwas wie professionelles Verständnis. Dass der FDP-Chef Philipp Rösler darüber vor Stolz fast platzt und das auch noch öffentlich zur Schau trägt, ärgert alle. Neulich hat Rösler in der Talkshow von Markus Lanz die Kanzlerin quasi zum Frosch erklärt, den er langsam abgekocht hat. In der FDP-Landesgruppe Baden-Württemberg verteilt jemand am Dienstag grüne Weingummifrösche.

Wie sehr dieser Triumphalismus das ohnehin dauerverhangene Koalitionsklima eintrübt, mag man an einem kleinen Wörtchen ablesen, das der sonst sehr disziplinierten CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zum Thema Fröschekochen herausrutscht: „Ich bin sicher, dass die Kanzlerin professionell mit dem allen umgeht“, sagt Hasselfeldt, und sicher sei sie auch, „... dass das Vertrauen wieder da ist.“

Wieder. Es war also weg, zwischendurch. Am Montag im Bundestag hat Merkel ihrem Vizekanzler die Hand zur Begrüßung gegeben und ihn ansonsten sich selbst überlassen. Rösler trug einen Schlips mit grünen Streifen.

Nächsten Sonntag werden die beiden sich im Kanzleramt wieder gegenüber sitzen. Die erste Koalitionsrunde im neuen Jahr wird jetzt schon von allen Seiten betont zurückhaltend als „Arbeitssitzung“ tituliert. Keine wirklich kontroversen Themen sollen auf den Tisch. Hauptzweck der Veranstaltung dürfte die Arbeit der Koalition an sich selbst werden. Denn das ist ja das Problematische an dieser Sache mit der Kanzlermehrheit: Es trifft Merkel in einem Moment, in dem ihr Regierungsbündnis auch sonst einen zerfledderten Eindruck macht. Ein kleiner Partner, der sich mokiert, ein Minister, der auf Abwegen scheint, eine Fraktion, in der die Zustimmung sachte bröselt.

„Es ist keine Erosion!“, sagt Altmaier trotzig. „Es ist ein ganz normaler Prozess!“ Und außerdem liege bei den Abweichlern „ein hohes Maß an Stabilität und Vorhersehbarkeit“ vor – will sagen: die waren schon länger gegen Merkels Euro-Rettungskurs. Das stimmt ja. Aber die verlorene Kanzlermehrheit passt in das trübe Gesamtbild. Sicher, ein Regenschauer ist nicht der Vorbote des Weltuntergangs. Selbst zwei kalte Güsse machen noch keine Sintflut. Aber wen sie ohne Rettungsschirm erwischen, der steht hinterher ziemlich begossen da.

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