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Koalitionsverhandlungen: Es ist angerichtet

Beide wollten das nicht, was sie jetzt tun. Aber was hilft es? Regiert muss werden. Und weil man sich ja schon ganz gut kennt, geht es beim Verhandeln schnell voran. Noch zwei, drei solche Runden, eine lange Nacht, dann werde man fertig sein. Wenn der große Streit es nicht verdirbt.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Dunkel ist es geworden draußen vor dem Bundesumweltministerium, aber drinnen, wenn man das mal so sagen darf, ist ein Lichtlein aufgeschienen. Hannelore Kraft jedenfalls wirkt regelrecht erleichtert. Als die NRW-Ministerpräsidentin zum ersten Treffen der Koalitionsarbeitsgruppe Energie hier vorgefahren ist, haben sie vor der Tür empörte Greenpeacer empfangen und hinter der Tür die Vertreter der Union in ähnlich düsterer Erwartung.

Ausgerechnet die Kohle-Kraft soll für die SPD die Energiewende verhandeln, die Hüterin der Strom-Dinosaurier an der Ruhr! Kraft hat angespannt gewirkt, auch trotzig. Sechs Stunden später lächelt sie. „Wirklich sehr konstruktive Gespräche“ seien das gewesen. Noch zwei, drei solche Runden, ergänzt Peter Altmaier, eine lange Nacht, dann werde man fertig sein.

Der Umweltminister weiß die ganze Zeit nicht so recht wohin mit seinen Händen, schließlich stopft er sie in die Hosentaschen. Dadurch wirkt er noch massiger neben der kleinen Ministerpräsidentin, aber auch ein wenig verlegen. Wie sie so dastehen, verkörpern sie gut den Zwischenstand dieser Koalitionsverhandlungen. Kraft hat sich gegen das schwarz-rote Bündnis gesperrt. Altmaier ist ein historischer Schwarz-Grüner. Beide wollten das nicht, was sie jetzt tun. Aber was hilfts? Regiert muss werden, die Energiewende duldet keinen Aufschub, und schließlich, sagt Altmaier: „Wer soll das schaffen, wenn nicht eine große Koalition?“

Der Satz klingt selbstverständlicher, als er ist. Das liegt aber daran, dass die Situation vielen Roten und vielen Schwarzen nicht neu ist. Das war vor acht Jahren ja ganz anders, als sich CDU, CSU und SPD schon einmal zusammenraufen mussten. Damals lag noch lange der Pulverdampf des Wahlabends in der Luft, an dem der gefühlte Wahlsieger Gerhard Schröder der gefühlten Verliererin Angela Merkel die Kanzlerschaft abgesprochen hatte. Damals breitete sich zugleich das wechselseitige Staunen aus darüber, dass Christ- respektive Sozialdemokraten auch Menschen sind.

Vier Jahre später kennt man sich noch, besonders in den oberen Parteietagen. Merkel war nicht zum ersten Mal im Willy-Brandt-Haus. Und nicht einmal, als Horst Seehofer Dienstagfrüh dem SPD-Chef Sigmar Gabriel eröffnet, dass er ihm beim ersten Treffen der großen Koalitionsrunde in der Bayern-Landesvertretung einen Platz links unter der Büste von Franz Josef Strauß reserviert hat, wirkt Gabriel sonderlich befremdet. Der SPD-Chef schaut bloß seine Generalsekretärin Andrea Nahles an und vermerkt: „Er hat halt Sinn für Humor.“ Später begrüßt Seehofer seine Gäste in „unserer kleinen, bescheidenen Vertretung“, was Gabriel mit der launigen Anmerkung kontert, bei ihm daheim im Norddeutschen verstehe man Bescheidenheit anders.

Aber bevor jetzt der Eindruck entsteht, dass diese Koalitionsgespräche ein einziges Idyll darstellen: Nein, das sind sie nicht. „Es wird noch richtig hart werden“, sagt einer aus der Steuerungsgruppe, jenem Sechserkreis um die Generalsekretäre, der als Schaltstelle zwischen den Arbeitsgruppen, den Partei- und Fraktionschefs und dem großen 75er-Kreis fungiert. Noch ist ja fast nichts passiert. Die 16 Arbeits- und Unterarbeitsgruppen haben sich mittlerweile alle getroffen. Manche sind noch nicht über das Stadium hinaus, dass man einander gegenseitig vorgestellt und den Themenplan aufgelistet hat. Andere liefern erste Ergebnisse ab. Aber weil die Arbeitsgruppenchefs schon aus gruppendynamischen Gründen nicht die schwierigen Dinge an den Anfang stellen, war für ernsthaften Streit noch gar kein Anlass.

Der kommt noch. Spätestens, wenn es ums Geld geht. Die Finanz-Arbeitsgruppe ist übrigens die einzige, aus der jetzt schon eine gewisse Missstimmung gemeldet wird. Die SPD-Vertreter würden dort gerne schon mal dies oder jenes bereden. Die Unionsseite aber, so die Kurz-Zusammenfassung eines angenervten Sozialdemokraten, erinnere immer bloß daran, dass sie die Wahl gewonnen hätten und also von ihnen aus finanzpolitisch eigentlich alles so bleiben könne, wie es sei.

Aber die Finanzexperten kommen schon noch zum Zug – später. Wenn die Arbeitsgruppen ihre Wunschlisten vorgelegt haben, wird addiert. Und dann, erinnert CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Dienstag freundlich, aber bestimmt, werde im Lichte der Kassenlage geprüft: „Was ist zwingend, was ist nice to have?“ Ob vor dieser Prüfungskommission mit ihrer „F-Liste“ – F wie Finanzierbar – zum Beispiel der Minister Peter Ramsauer bestehen kann mit seinem Vortrag, dass sich das von den Baupolitikern vereinbarte Programm dank der „Multiplikatoren und volkswirtschaftlichen Akzeleratoren“ quasi von selbst finanziere – ungewiss. Da kann es noch knallen.

"Die Maut wird kommen!"

Richtig geknallt hat es bisher nur einmal. Schuld war Peer Steinbrück. Der Ex-Kanzlerkandidat spielt ansonsten keine Rolle in den bisherigen Treffen. Auch in der ersten Arbeitssitzung der großen Runde im Willy-Brandt-Haus saß Steinbrück vorige Woche mit eher sauertöpfischer Miene stumm am Tisch. Bis die Rede auf die Finanztransaktionssteuer kam und Wolfgang Schäuble anmerkte, dass diese Steuer zwar wünschenswert, in Brüssel aber schwierig durchzusetzen sei.

Da polterte Steinbrück los: Man müsse einfach endlich einmal richtig Druck machen auf unwillige Partner, statt sich nur devot jedem Widerstand zu beugen! Er hat wirklich „devot“ gesagt. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich Schäubles Gesichtsausdruck in diesem Moment vorzustellen.

Der zweite Moment der Irritation ging – na, gewiss doch – in derselben Sitzung von der CSU aus. „Als Horst Seehofer sich mit verschränkten Armen zurücklehnte und der Söder loslegte, da war klar, wie das Spiel geht“, berichtet ein Augen- und Ohrenzeuge. Seehofer zeigt sich neuerdings als der große Versöhner. Als die schwarz-roten Sondierungen bei der SPD klemmten, redete der CSU-Chef öffentlich von 8,50 Euro Mindestlohn und räumte Gabriel damit den Weg frei. Für das bajuwarische Poltern hat er sich einstweilen den Markus Söder mitgebracht.

Der bayerische Finanzminister also trug der verblüfften Runde das CSU-Wahlkampfprogramm für die Europawahl 2014 vor. Draußen vor der Presse machte Söder gleich weiter. Der forsche Auftritt hat dazu beigetragen, dass Angela Merkel für diesen Donnerstag alle Arbeitsgruppenchefs zum Rapport bei der Unionsspitze bestellt hat. Es geht da auch um sachliche Zwischenergebnisse. Nebenher aber geht es darum, die Reihen zu schließen. Dass die CSU mit verteilten Rollen und auf eigene Faust agiert, hat der CDU-Chefin nicht gefallen.

Überraschung Sigmar Gabriel, diesmal "keine Dampfwalze"

Ganz verhindern wird sie das nicht können. Seit Seehofer öffentlich geschworen hat, dass er die Pkw-Maut durchsetzen wird, hat Merkel an diesem Punkt innerlich kapituliert. Dass sie sich im Fernsehduell mit Steinbrück zu dem Satz drängen ließ, eine Pkw-Maut werde es mit ihr nicht geben, hat sie wahrscheinlich in der Sekunde danach schon geärgert. Jetzt muss ihr Regierungssprecher dummes Zeug von angeblichen Zusammenhängen reden, in denen dieser Satz gelesen werden müsse, während CSU-General Alexander Dobrindt ungerührt verkündet: „Die Maut wird kommen.“ Na klar wird sie kommen. Das Thema ist schließlich viel zu klein, um daran eine Koalition scheitern zu lassen. Genau deshalb hat es Seehofer zur CSU-Ehrensache aufgeblasen. Er liebt solche sicheren Siege.

Aber kann sie nicht an anderem doch noch scheitern, diese Koalition? An der SPD zum Beispiel? Nicht denen da oben, sondern denen da unten, der Basis?

Am vergangenen Samstag steht Sigmar Gabriel vor dem SPD-Landesparteitag in Berlin. Die Berliner gelten in der SPD als links, einige sogar zusätzlich als ein bisschen linke Typen. Dass der SPD-Vorsitzende hier im Congress-Center am Alexanderplatz als Ehrengast eine Rede hält, ist normal. Wie er sie hält, ist es nicht.

Gabriel redet seiner Basis ins Gewissen, hart, direkt, schonungslos. „Wir sind nicht Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, damit es uns gut geht und wir uns wohlfühlen“, ruft der Parteichef in den Saal. Verbesserungen für die Menschen, das müsse der Maßstab sein, nicht 100 Prozent SPD im Koalitionsvertrag bei 25,7 Prozent als Wahlergebnis. Allzu selbstbezogen sei die eigene Partei oft, allzu schnell zufrieden damit, sich im Recht zu glauben, „hermetisch“ um sich selbst kreisend: „Wenn Frau Merkel nicht in der CDU wäre, wäre es da ähnlich!“

Gabriel, sagen sie in CDU und CSU, sei die größte Überraschung dieser Koalitionsverhandlungen. „Der gibt überhaupt nicht die Dampfwalze“, hat nach dem ersten Kennenlerntreffen der Unterhändler im Konrad-Adenauer-Haus, ein Christdemokrat, gestaunt. Dampfwalze – das war das Bild, das sie sich spätestens seit dem Wahlkampf von dem Mann gemacht hatten; ein unsteter Machtmensch, rotziger Jargon, irgendwie unangenehm.

Der Gabriel, den sie erleben, ist das pure Gegenteil. Ein ernster, aber freundlicher Verhandlungsführer sitzt ihnen da gegenüber, der die Gegenseite mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt, zur Selbstironie fähig ist und Angela Merkel so oft respektvoll als „Frau Bundeskanzler“ anspricht, dass es auffällt. Jenseits des Protokolls tauschen die zwei sich praktisch ununterbrochen per SMS aus. Die Kommunikation per Daumen liegt beiden.

Beide wollen den Erfolg. Beide wissen, dass sie den nur bekommen, wenn sie aufeinander Rücksicht nehmen. Gabriel hat neulich öffentlich ein paar Punkte genannt, ohne die eine SPD nicht in die Regierung gehen könne: Die 8,50 Euro Mindestlohn sind darunter, die Eindämmung von Leih- und Zeitarbeit, mehr Geld für Bildung und Gemeinden. Maßgebliche Leute in der eigenen Partei lesen das als Indiz dafür, dass der Chef unter sechs Augen von Merkel und Seehofer prinzipielle Zusagen bekommen hat.

Jetzt muss nur Merkel auch noch sehen, dass die eigene Partei bei all dem Rücksichtnehmen nicht hinten runterfällt. Gelegentlich ist leises Murren zu hören: Der Horst kriegt die Maut, der Sigmar den Mindestlohn – und wir? Die großen Forderungen der Union – keine Steuererhöhungen, kein Kurswechsel in Europa – sind ja quasi schon eingepreist. Vielleicht, sagt einer aus der CDU, wird zuletzt beim großen Postenroulette noch einmal deutlich werden, wer die Wahl gewonnen hat. Aber vielleicht sagt der das auch nur deshalb, weil er an diesem Gewinn dann gerne selbst beteiligt würde.

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